Berlin, den 22.06.2010. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die EU-Kommission mit dem Grünbuch „Erschließung der Kultur- und Kreativindustrien“ die Bedeutung dieses Wirtschaftssegments für die Volkswirtschaft in Europa unterstreicht.
Dennoch greift aus Sicht des Deutschen Kulturrates das Grünbuch der EU-Kommission „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativwirtschaft“ zu kurz. Der Deutsche Kulturrat kritisiert insbesondere, dass der Kultur- und Kreativwirtschaft vor allem eine dienende Funktion zur besseren Leistungsfähigkeit der Informations- und Telekommunikationswirtschaft (IKT) zugemessen wird. Die Informations- und Telekommunikationswirtschaft ist auf attraktive Inhalte angewiesen, damit die Netze genutzt werden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird in dem Grünbuch vor allem als ein Inhaltslieferant für die Informations- und Telekommunikationsbranche gesehen und damit funktionalisiert. In ähnlicher Weise wird im genannten Grünbuch darauf abgehoben, dass im Kunst- und Kulturbereich Ausgebildete auch in anderen Wirtschaftsbranchen tätig sind und hier wichtige Impulse geben. Auch hier wird der Kulturbereich nur funktional gesehen.
Der Eigenwert der Kultur- und Kreativwirtschaft, die Besonderheit kultureller Güter und Dienstleistungen sowie ihr Doppelcharakter als Kultur- und Wirtschaftsgut werden zwar im Grünbuch erwähnt, finden in den Ausführungen aber keinen adäquaten Niederschlag.
Der Deutsche Kulturrat bedauert ebenso, dass die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im genannten Grünbuch keine ausreichende Berücksichtigung findet. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird auf jene Branchen reduziert, die Inhalte für die Informations- und Telekommunikationsindustrie liefern können, also digital arbeiten. Andere kulturelle Güter und Ausdrucksformen finden keine Berücksichtigung. Kunst und Kultur existierten aber bereits vor der Digitalisierung. Eine Verkürzung der Kultur- und Kreativwirtschaft auf jene Bereiche, die Inhalte für die Informations- und Telekommunikationsindustrie liefern, bedeutet mittelfristig eine Verarmung der Debatte um die Kultur- und Kreativwirtschaft und ist wenig nachhaltig.
Gerade mit Blick auf eine kohärente Kulturpolitik, die nicht zuletzt mit der EU-Kulturagenda angestoßen werden sollte, ist es bedauerlich, dass die Chance einer europaweiten Debatte zur Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativwirtschaft mit diesem Grünbuch verschenkt wurde.
Der Deutsche Kulturrat kommt daher zu der Auffassung, dass das Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“ die Kultur- und Kreativwirtschaft unzureichend erfasst und auf jene Branchen reduziert, die für die Informations- und Telekommunikationsbranche von Relevanz sind. Damit wird das Grünbuch der Vielfalt in der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht gerecht.
Im Folgenden nimmt der Deutsche Kulturrat zu einzelnen im Grünbuch aufgeworfenen Fragen Stellung. Dabei konzentriert sich der Deutsche Kulturrat auf die Fragen, in denen es um die Verbindung von Kultur- und Kreativwirtschaft und Informations- und Telekommunikationsbranche geht.
Wie kann dem Experimentieren, der Innovation und dem Unternehmergeist in den KKI (Kultur- und Kreativindustrien) mehr Raum gegeben und mehr Unterstützung geboten werden? Anders gesagt, wie kann der Zugang zu IKT-Dienstleistungen bei/für kulturelle(n) und kreative(n) Aktivitäten verbessert und die Nutzung ihrer kulturellen Inhalte verstärkt werden? Wie können IKT zu einer treibenden Kraft neuer Geschäftsmodelle für einige KKI werden?
Aus Sicht des Deutschen Kulturrates ist vor allem ein durchsetzungsstarkes Urheberrecht unabdingbar, damit sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in der digitalen Welt entwickeln kann. Es muss auch im Interesse der Informations- und Telekommunikationsindustrie sein, sich für ein durchsetzungsstarkes Urheberrecht einzusetzen, damit die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, deren Güter und Dienstleistungen von der Informations- und Telekommunikationsindustrie verbreitet und genutzt werden, einen ökonomischen Ertrag daraus ziehen können.
Wie können Partnerschaften zwischen Kunst- und Designschulen einerseits und Unternehmen andererseits als ein Weg forciert werden, um Unternehmensgründungen, Jungunternehmen und Unternehmergeist sowie die Entwicklung von IKT-Kompetenzen zu fördern? Wie kann Peer-Coaching in den KKI auf EU-Ebene gefördert werden?
Die bestehenden Kooperationen und digitalen Plattformen sollten ausgebaut und finanziell unterstützt werden.
Wie können Anreize für private Investoren geschaffen und der Zugang der KKI zu Kapital verbessert werden? Können Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene die Bemühungen auf nationaler und regionaler Ebene unterstützen und ergänzen und damit einen Mehrwert generieren? Wenn ja, wie? Wie kann die Investitionsbereitschaft von KKI-Unternehmen erhöht werden? Welche besonderen Maßnahmen können ergriffen werden und auf welcher Ebene (regional, national, EU-weit)?
In der Praxis erweisen sich eher die Hausbanken als Problem bei der Kreditbeschaffung als die Förderprogramme. Insofern könnte ein Mikrokreditprogramm der EU-Kommission, das nicht über Hausbanken vergeben wird, bei der Kapitalbeschaffung von Klein- und Kleinstunternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft eine wichtige unterstützende Funktion leisten.
Wie lässt sich die Integration der KKI in die strategische regionale/lokale Entwicklung verstärken? Welche Instrumente und welche Partnerschaften erfordert ein integrierter Ansatz?
Gerade die Stadtentwicklungspolitik bietet zahlreiche Chancen für die eher kleinteilig organisierte Kultur- und Kreativwirtschaft. Hier sollte ein stärkeres Gewicht auf interdisziplinäre Ansätze gelegt werden. Ebenso stellt sich oftmals das Problem, dass die erforderlichen Kofinanzierungsmittel von den Ländern nicht aufgebracht werden können. In solchen Fällen müssen Lösungen zur Finanzierung von Maßnahmen in strukturschwachen Regionen gefunden werden. Dabei wäre es auch denkbar auf die Kofinanzierung zu verzichten.
Welche neuen Instrumente sollen aktiviert werden, um die kulturelle Vielfalt mit Hilfe der Mobilität kultureller und kreativer Werke, von Künstlerinnen und Künstlern sowie von Kulturschaffenden innerhalb der EU und darüber hinaus zu fördern? Inwieweit können virtuelle Mobilität und Online-Zugang zu diesen Zielen beitragen?
Der Deutsche Kulturrat hat bereits in verschiedenen Stellungnahmen Vorschläge zur Verbesserung der Besteuerung ausländische Künstler vorgeschlagen. Ziel der Reform muss ein verständliches und praktikables System sein, dass einen Beitrag zum Abbau von Bürokratie leistet und den Kulturaustausch erleichtert. Der Deutsche Kulturrat fordert daher:
- in Anlehnung an das niederländische Modell der Besteuerung ausländischer Künstler sollen Künstler aus Staaten, mit denen ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, künftig die Einkommenssteuer in ihrem Wohnsitzland zahlen. Die Besteuerung im Wohnsitzland kann durch ein Kontrollmeldeverfahren sichergestellt werden. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens wäre eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung.
- Künstler aus Staaten, mit denen kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht – dieses trifft nur auf wenige Fälle zu –, sollen die Kosten für ihren Auftritt in Deutschland vollständig abziehen können. Damit können langwierige Erstattungsverfahren und zusätzliche Bürokratie vermieden werden.
Die europaweite Einführung eines solchen Systems würde einen wichtigen Beitrag zur Mobilität der Künstler leisten.
Eine weitere Öffnung der EU-Kulturförderprogramme für Klein- und Kleinstunternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft könnte ebenso zur Mobilität der Künstler beitragen.
Welche Instrumente sollten auf EU-Ebene vorgesehen oder verstärkt werden, um Zusammenarbeit, Austausch und Handel zwischen den EU-KKI und Drittländern zu fördern?
Auch hier stellen bürokratische Hindernisse bei der Besteuerung ausländischer Künstler oder auch Visumsfragen ein Problem bei der Zusammenarbeit europäischer Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft mit Drittländern dar. Diese bürokratischen Hemmnisse sollten beseitigt werden. Der Deutsche Kulturrat unterstreicht, dass auch in der Beziehung mit Drittländern die Wahrung urheberrechtlicher Standards unabdingbar ist.
Wie können die externen Effekte der KKI auf andere Industrien und die Gesellschaft als Ganzes beschleunigt werden? Wie können wirkungsvolle Mechanismen für diese Art der Wissensverbreitung entwickelt und umgesetzt werden? Wie können „kreative Partnerschaften“ zwischen den KKI und Bildungseinrichtungen/Unternehmen/Verwaltungen gefördert werden? Wie können der stärkere Einsatz bestehender zwischengeschalteter Stellen und die Entwicklung einer Reihe unterschiedlicher zwischengeschalteter Stellen als Mittlerinnen zwischen Künstler- und Kreativgemeinschaften und den KKI auf der einen Seite und Bildungseinrichtungen/Unternehmen und Verwaltungen auf der anderen Seite gefördert werden?
Der Deutsche Kulturrat betont, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft mit dem gesamten kulturellen Leben verwoben ist. Dazu gehört die u.a. Aus- und Weiterbildung an Hochschulen, Akademien, im dualen Ausbildungssystem ebenso wie die öffentliche Kulturförderung und der gemeinnützige Kulturbereich. Diese Verflechtung gilt es sowohl von kulturpolitischer Seite aber auch hinsichtlich anderer Politikfelder stärker in den Blick zu nehmen und hieraus eine konsistente Kulturentwicklungspolitik abzuleiten. Gerade der öffentliche Kultursektor sowie die gemeinnützigen Kulturvereine leisten einen wesentlichen Beitrag als Auftraggeber und Abnehmer kultur- und kreativwirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen. Einsparungen in diesem Bereich wirken sich unmittelbar auf die Ertragschancen der Kulturwirtschaft aus.