Berlin, den 07.07.2021. In der Corona-Pandemie wird offensichtlich, dass sehr viele Solo-Selbständige im Kultur- und Medienbereich nur äußerst geringe Einkommen erwirtschaften und daher, wenn Aufträge entfallen, unmittelbar in existentielle Not geraten. Was jetzt deutlich zu Tage tritt, ist aber nicht neu, sondern ein strukturelles Problem. Die Vergütung vieler Solo-Selbständiger aus der Kultur- und Medienbranche ist unzureichend – dies gilt im Übrigen auch für viele unständig Beschäftigte, kurz befristet Beschäftigte oder andere im Kultur- und Medienbereich Tätige. In dieser Stellungnahme konzentriert sich der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, auf die Solo-Selbständigen.
Der Deutsche Kulturrat hat sich schon im Jahr 2015 das erste Mal mit seiner Stellungnahme „Freiberufliche Leistungen im Kulturbereich angemessen vergüten“ positioniert. Mit dieser Stellungnahme aktualisiert und präzisiert er seine Forderungen. Wie in der o.g. Stellungnahme geht er dabei nicht auf Gemeinsame Vergütungsregeln gemäß § 36 Urheberrechtsgesetz ein, die festlegen, dass Mindeststandards für angemessene Vergütungen zwischen Vereinigungen von Urhebern mit Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern vereinbart werden können.
Arbeiten im Kultur- und Medienbereich
Die Arbeitswelt im Kultur- und Medienbereich ist durch unterschiedliche Formen der Erwerbstätigkeit geprägt. Im Vergleich zu anderen Branchen zeichnet sie sich durch einen hohen Anteil an Selbständigen unter den Erwerbstätigen aus. Diejenigen, die die Kriterien erfüllen, sind in der Künstlersozialversicherung versichert. Dies gilt auch dann, wenn die Betreffenden für längere Zeit ausschließlich für einen Auftraggeber arbeiten, weil der Umfang des Auftrags dies gebietet. Überdies gehört die Selbständigkeit zum Selbstverständnis von vielen Künstlerinnen und Künstlern. Des Weiteren brauchen Kultur- und Medienunternehmen bzw. Kultur- und Bildungseinrichtungen im Wechsel verschiedene inhaltlich prägende und hoch spezialisierte Persönlichkeiten für begrenzte Zeiträume und spezifische Aufgaben. Der projektbezogene Einsatz wechselnder Freiberuflerinnen und Freiberufler ist daher üblich. Er darf allerdings nicht dazu führen, Tätigkeiten, die üblicherweise von angestelltem Personal ausgeübt werden, aus Kostengründen auf Freiberuflerinnen und Freiberufler auszulagern und dadurch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung abzubauen sowie Strukturen der Scheinselbständigkeit zu entwickeln.
Der Deutsche Kulturrat setzt sich für gute Arbeitsbedingungen im Kultur- und Medienbereich ein. Solo-Selbständige haben ähnlich anderen Selbständigen, Freiberuflern und abhängig Beschäftigten das Recht und den Anspruch auf angemessene Vergütung.
EU-Wettbewerbsrecht
Derzeit steht das EU-Wettbewerbsrecht Kollektivverhandlungen von Solo-Selbständigen zur Durchsetzung fairer und angemessener Vergütungen entgegen. Davon ausgenommen sind lediglich Regelungen im Urheberrecht, die ausdrücklich kollektive Vereinbarungen zulassen. Die Generaldirektion Wettbewerb hat im Jahr 2021 ein Konsultationsverfahren (Collective bargaining agreements for self-employed – assessing the scope application of EU competetion rules) durchgeführt, ob und inwieweit das EU-Wettbewerbsrecht dahingehend geändert werden soll, dass Honorarregelungen im Rahmen von Kollektivverhandlungen von Solo-Selbständigen getroffen werden können. Der Deutsche Kulturrat begrüßt diesen Vorstoß der Generaldirektion Wettbewerb und hat hierzu konkret am 28.05.2021 Stellung bezogen.
- Der Deutsche Kulturrat fordert die Bundesregierung auf, sich auf der europäischen Ebene für die Initiative der Generaldirektion Wettbewerb einzusetzen, um eine Verbindlichkeit von Vergütungs- und Honorarregelungen zu ermöglichen. Diese Möglichkeiten müssen im Anschluss an eine europäische Regelung in nationales Recht übersetzt werden, so dass Gewerkschaften und Verbände für Solo-Selbständige über die urheberrechtlichen Regelungen hinaus Vergütungs- und Honorarregeln aufstellen können.
Wert künstlerischer und kultureller Arbeitsleistungen
Viele drücken ihre Wertschätzung gegenüber Kunst und Kultur im Allgemeinen sowie den in diesem Bereich Tätigen im Besonderen in anerkennenden Worten zur Reflexions- und Gestaltungskraft von Kunst und Kultur aus. Sie basiert auf der Arbeit von Künstlerinnen und Künstler sowie anderen Kulturakteuren, deren Leistungen fair und angemessen vergütet werden müssen. Solo-Selbständige zählen ebenso wie Unternehmen aus dem Kultur- und Medienbereich zur Kultur- und Kreativwirtschaft und müssen einen ökonomischen Ertrag aus ihrer Arbeit ziehen können. Ihre kreativen Leistungen sind die Grundlage für die weitere Wertschöpfungskette in der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie im öffentlich finanzierten Kultursektor.
Künstlerische und kreative Tätigkeiten sind Arbeit. Sie verlangen oftmals eine lange Ausbildung, auf die in einigen Berufen bereits im Kindesalter vorbereitet wird. Zur künstlerischen Arbeit gehört die stetige weitere Auseinandersetzung mit dem Material, den Ausdrucksformen und aktuellen Entwicklungen. In der Vergütung von Solo-Selbständigen muss sich auch das unternehmerische Risiko und die hohe Unsicherheit künstlerischer und kreativer Arbeit widerspiegeln. Die angemessene Vergütung der Leistungen von Solo-Selbständigen muss daher eine Selbstverständlichkeit sein. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Präsentationen, Konzeptionen, Beratungen sowie künstlerische Leistungen im Kontext von Ausstellungen vergütet und bei Ausfall von Veranstaltungen die vereinbarten Honorare bezahlt werden.
Ferner müssen künstlerische und kreative Leistungen, die im digitalen Raum präsentiert werden, fair und angemessen vergütet werden. Im Kontext der Corona-Pandemie hat die digitale Präsentation künstlerischer und kreativer Arbeit noch einmal an Bedeutung gewonnen. Die Monetarisierung gelingt allerdings bislang völlig unzureichend.
Ein großer Teil der Solo-Selbständigen aus dem Kultur- und Medienbereich erzielt ein sehr geringes Einkommen. Dies wurde vom Deutschen Kulturrat in diversen Studien belegt – zuletzt im Jahr 2020 in „Frauen und Männer im Kulturmarkt“. Dieser Sachverhalt trifft auch auf das Jahr 2021 zu, in dem die in der Künstlersozialkasse versicherten Künstler und Publizisten ein Jahresdurchschnittseinkommen von 16.737 Euro gemeldet haben. Dem jüngsten Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 ist zu entnehmen, dass die Mehrzahl der Selbständigen dieser Branche einen Umsatz unter 17.500 Euro im Jahr erzielen. Beide Durchschnittswerte zeigen an, dass ein Problem in der Vergütung von Solo-Selbständigen besteht.
Die Verbesserung der Einkommenssituation ist daher aus Sicht des Deutschen Kulturrates die zentrale Stellschraube, um die soziale und wirtschaftliche Lage von Solo-Selbständigen zu verbessern. Denn sie hat auch einen unmittelbaren Einfluss auf deren soziale Absicherung.
- Der Deutsche Kulturrat fordert darum, dass die Sicherung einer angemessenen Vergütung für Selbständige im Kultur- und Medienbereich in den Mittelpunkt der kulturpolitischen Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen gerückt wird. Darüber hinaus müssen die Rahmenbedingungen, speziell in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, verbessert werden.
Branchenspezifik berücksichtigen
Generell ist zu beachten, dass es sich bei der Vergütung Solo-Selbständiger sowohl beispielsweise um einen Stundensatz, Tagessatz, Seiten- oder Zeilenhonorare als auch um die pauschale Vergütung eines Werkes oder einer Dienstleistung handeln kann. Eine Vergütung bezieht sich auch auf die Projektentwicklung. Die Einräumung von Nutzungsrechten ist entweder gesondert zu vergüten oder bei der Höhe der Vergütung angemessen zu berücksichtigen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Selbständige mit ihren Einnahmen Betriebskosten wie bspw. ein Büro, Versicherungen, Mobilitätskosten usw. finanzieren müssen und im Vergleich zu Angestellten während ihres Urlaubs oder einer Krankheit keine Einnahmen haben. Die Vergütung künstlerischer und kreativer Leistungen beinhaltet daher verschiedene Komponenten.
Die verschiedenen künstlerischen und kreativen Leistungen setzen je nach Sparte unterschiedliche Vorleistungen voraus. Verschiedene Berufsverbände und Gewerkschaften haben unverbindliche Honorarempfehlungen für die jeweiligen Sparten oder Branchen erarbeiten. In ihnen wird in der Regel erläutert, welche Leistungen mit dem jeweiligen Entgelt abgegolten sind und für welche gegebenenfalls zusätzliche Vereinbarungen getroffen werden müssen. Diese branchenspezifischen Empfehlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von der Expertise der jeweiligen Akteure und der Kenntnis des Marktes geprägt sind. Sie erlauben eine realistische Einschätzung von Angeboten oder von Projektanträgen und tragen damit zur Transparenz bei. Auftraggeber und Zuwendungsgeber können so Angebote besser einschätzen.
- Der Deutsche Kulturrat regt an, dass die Branchenverbände von Solo-Selbständigen der Kultur- und Medienbranche, die noch keine Honorar- bzw. Vergütungsempfehlungen formuliert haben, dies nachholen. Auf diese Vorarbeit könnte aufgebaut werden, wenn marktwirksame Honorar- oder Vergütungsregelungen nach EU-Recht zulässig sind.
Verantwortung aller
Alle, die künstlerische oder kreative Leistungen nutzen oder beauftragen, müssen diese fair und angemessen vergüten. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für Vereine, privatwirtschaftliche Unternehmen aller Branchen, die öffentliche Hand, die Digitalwirtschaft, aber auch für Privatpersonen, die beispielsweise für eine Feier Künstlerinnen oder Künstler beauftragen.
Vorbild: Öffentliche Hand
Die öffentliche Hand steht in einer besonderen Verantwortung. Sie muss gewährleisten, dass bei den Aufträgen oder Zuwendungen eine angemessene Vergütung vorgesehen ist. Sollte dies nicht der Fall sein, muss eine Überarbeitung von Kosten- und Finanzierungsplänen angefordert werden. Im Ergebnis sollten nur solche Förderanträge genehmigt oder Aufträge erteilt werden, in denen eine angemessene Vergütung aller Beteiligten vorgesehen ist.
- Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die öffentliche Hand eine Vorbildfunktion bei der Vergütung von Solo-Selbständigen übernimmt. Ähnlich wie Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich tariftreu verhalten oder zumindest den Mindestlohn einhalten, sollte auch bei der Vergütung von Solo-Selbständigen eine angemessene und faire Vergütung Fördervoraussetzung oder Grundlage für die Beauftragung sein. Soweit hieraus Mehrkosten entstehen, müssen die Kulturetats von Bund, Ländern und Kommunen entsprechend angepasst werden. Eine unzureichende Kulturfinanzierung darf nicht auf dem Rücken von Solo-Selbständigen ausgetragen werden.