Deutscher Kulturrat benennt Anforderungen für Listen zum nationalen immateriellen Kulturerbe

Berlin, den 06.12.2013. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass die Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr die UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes ratifiziert hat. Damit setzt Deutschland innerhalb der UNESCO-Gemeinschaft ein deutliches Signal zum Schutz des Immateriellen Kulturerbes und unterstreicht damit die Bedeutung der immateriellen Kulturerbetraditionen für Kunst und Kultur in Deutschland. Neben der Erstellung nationaler Listen zum immateriellen Kulturerbe ist die Bundesrepublik Deutschland nunmehr auch vorschlagsberechtigt für die internationalen Listen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes.

 

Laut UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes wird unter immateriellem Kulturerbe folgendes verstanden: „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume – […], die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen. Dieses immaterielle Kulturerbe, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, wird von den Gemeinschaften und Gruppen in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, in ihrer Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte fortwährend neu gestaltet und vermittelt ihnen ein Gefühl von Identität und Kontinuität, wodurch die Achtung vor der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität gefördert wird.“ In der UNESCO-Konvention wird ausgeführt, dass das so beschriebene immaterielle Kulturerbe „unter anderem in folgenden Bereichen zum Ausdruck gebracht“ wird:
„a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger des immateriellen Kulturerbes;
b) darstellende Künste;
c) gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste;
d) Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum;
e) traditionelle Handwerkstechniken.“

 

Bereits heute sind über 250 immaterielle kulturelle Ausdrucksformen auf der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO verzeichnet, dazu zählen z.B. die Heilig-Blut-Prozession in Brügge, die tibetanische Oper in China, der argentinische Tango und anderes mehr. Weiter werden aktuell von der UNESCO 31 Ausdrucksformen auf der Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes geführt. Dazu zählen unter anderem der vietnamesische Ca trù-Gesang, der Kulturraum der katholischen Minderheit der Suiti in Lettland und der Ojikanje-Gesang aus Kroatien.

 

Hinter der Idee der Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes stehen, neben dem Schutz von Habitus und Habitat der Akteure, im Wesentlichen zwei Überlegungen: Erstens, dieses Wissen so aufzubereiten, dass es zugänglich wird, archiviert und für kommende Generationen bewahrt werden kann. Zweitens soll auf den besonderen Wert dieser kulturellen Praxen hingewiesen und den jetzigen sowie nachfolgenden Generationen ein weltweiter und dauerhafter Zugang zu diesem Erbe geschaffen werden.

 

Der Deutsche Kulturrat ist erfreut, dass aus den Reihen seiner Mitglieder mehrere Vorschläge in die aktuelle Bewerbungsrunde für die nationale Liste zum Immateriellen Kulturerbe eingebracht wurden.

 

Die Mitglieder des Deutschen Kulturrates erhoffen sich von der Eintragung in die Liste des immateriellen Kulturerbes eine stärkere Wertschätzung dieser immateriellen Formen des kulturellen Erbes, die durch mündliche Traditionen in den jeweiligen Gemeinschaften weitergegeben werden. Der Deutsche Kulturrat erwartet, dass dem mündlich weitergegeben immateriellen Kulturerbe nicht zuletzt durch die nationalen Listen immateriellen Kulturguts auch in der kulturpolitischen Debatte mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

 

Anders als bei dem aus Baudenkmälern und (Kultur-)Landschaften bestehenden materiellen Weltkulturerbe oder dem Dokumentenerbe existiert das immaterielle Kulturerbe genau genommen nicht als solches. Es manifestiert sich vielmehr immer nur im flüchtigen Moment der von lebendigen Menschen durchgeführten Performanz. Den audiovisuellen Medien kommt daher hinsichtlich der Vermittlung und der Archivierung des immateriellen Kulturerbes eine besondere Bedeutung zu. Es müssen neue transmediale Formen der Denkmalpflege entstehen. Der Deutsche Kulturrat unterstreicht, dass hierfür die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt werden müssen und sieht neben den öffentlichen Händen insbesondere die öffentlich-rechtlichen Kulturproduzenten in einer besonderen Verantwortung.

 

Mit Blick auf die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie den Kulturaustausch erwartet der Deutsche Kulturrat aus dem Diskussionsprozess um das nationale immaterielle Kulturerbe in der Zusammenarbeit mit Staaten und Völkern, deren kulturelle Tradition stärker vom immateriellen als vom materiellen Kulturerbe geprägt ist, neue Impulse.

 

Die Vorauswahl der immateriellen Ausdrucksformen, die in die nationale Liste immateriellen Kulturguts aufgenommen werden, trifft eine von der Deutschen UNESCO-Kommission eingesetzte Expertenkommission. Der Deutsche Kulturrat appelliert an die Mitglieder dieser Expertenkommission, bei ihrer Auswahl immaterieller kultureller Ausdrucksformen auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Künsten, Folklore und Brauchtum zu achten. Der Deutsche Kulturrat sieht kein Erfordernis, Kulinaria in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufzunehmen.

 

Der Deutsche Kulturrat wird den weiteren Beratungsprozess zur nationalen Liste immaterieller kultureller Ausdrucksformen weiter begleiten.

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