Fortsetzung: Wie unterstützen die Bundesländer jetzt die Kultur?

Anmerkung: Diese Beiträge wurden zuerst in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, veröffentlicht. Für den Schwerpunkt „Corona versus Kultur“ in der Ausgabe 4/2020 von Politik & Kultur wurden alle Kulturministerinnen und Kulturminister der 16 Bundesländer für Beiträge angefragt. Für die Ausgabe 4/20 antworteten Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz mit Beiträgen. Lesen Sie diese Beiträge hierDie Bundesländer Berlin, NRW, Saarland, Sachsen und Thüringen antworteten erst in der Ausgabe 5/2020. Lesen Sie diese Beiträge untenstehend.

 

Berlin

 

Berlin vor Corona: Fünf von sieben Berlin-Besuchenden aus aller Welt kommen wegen der kulturellen Angebote in die Stadt, Berlinerinnen und Berliner nutzen ihre Kulturlandschaft ausgiebig: Museen, Theater, Clubs und eine riesige Freie Szene. Probleme gibt es, an Lösungen arbeiten wir – aber sonst pulsiert das kulturelle Leben.

 

Berlin mit Corona: Die Stadt steht still, zumindest, was die unmittelbare Wahrnahme auf Straßen und Plätzen angeht. Das gilt genauso für die Kultur. Sehr früh hat Berlin Bühnen, Museen und Gedenkstätten für den Besucherverkehr komplett geschlossen – stets in Abstimmung mit Intendantinnen und Leitern der öffentlichen Einrichtungen. 

 

Und auch im Bewusstsein, was das für viele kleine, private Kulturorte, Clubs und die überwiegend soloselbständigen Künstlerinnen und Künstler bedeutet: den kompletten Verlust von Einnahmen und damit verbunden existenzielle Nöte. Nahezu parallel zum „Runterfahren“ haben wir begonnen, Maßnahmen zur Soforthilfe für die Betroffenen zu planen – und umzusetzen. Klar war, die Hilfe muss schnell und unbürokratisch zu denen, die sie brauchen. Und, sie muss den Spezifika der Berliner Kulturszene gerecht werden: Kaum einer ist hier in der Lage, Hilfskredite abzuzahlen. Das Liquiditätsproblem in der Corona-Krise darf kein Verschuldungsproblem für die Ewigkeit werden.

Das Berliner Soforthilfeprogramm II war ein gewährter Zuschuss in Höhe von 5.000 Euro für Künstler und andere Freiberufler. Anders als die Soforthilfen des Bundes und anderer Bundesländer durfte das Geld auch für die Sicherung der persönlichen – und nicht nur der wirtschaftlichen – Existenz genutzt werden. Rückmeldungen sagen uns, dass dies vielen geholfen hat, ihre Miete und Lebensnotwendiges zu bezahlen. Binnen fünf Tagen wurden so 600 Millionen Euro ausgezahlt. 

 

Wir haben uns in der Verwaltung recht schnell darauf geeinigt, auch Verfahrensvereinfachungen im Zuwendungsrecht auf den Weg zu bringen. Mit öffentlichen Geldern geförderte Kunst und Kultur unterliegt für die Geförderten strengen Richtlinien über die Verwendung. Diesen Maßstab kann man kaum noch anlegen, wenn Einrichtungen geschlossen sind, Formate wegbrechen oder abgesagt werden. Und die Betroffenen befreit es von Unsicherheit und Sorge.

 

Und Berlin hat zudem eine Soforthilfe beschlossen, die dem traditionell besonders bedeutsamen und kleinteiligen privaten Kultursektor der Stadt Rechnung trägt. Diese Einrichtungen sind zwar als Wirtschaftsbetriebe organisiert, arbeiten aber regelmäßig nicht renditeorientiert. Dieser Sektor ist ohne Publikum wirtschaftlich existenziell getroffen und wird wohl am längsten betroffen sein. Das Soforthilfepaket IV in Höhe von 30 Millionen Euro hilft kleinen und mittleren Unternehmen im Medien- und Kulturbereich, die nicht regelmäßig oder nicht überwiegend öffentlich gefördert werden. Die bisherigen Maßnahmen erreichen kleine und mittlere Medien- und Kulturbetriebe nicht oder nicht ausreichend. 

 

Jenseits von dem, was wir getan haben, muss die Initiative der Berliner Kulturszene gelobt werden: Diverse Ideen, Angebote, Soli-Aktionen haben Kultur weiter erlebbar gemacht. Dafür, danke! 

 

Nun wird es darum gehen, verantwortungsvoll den Weg in die Normalität zu finden.

 

Berlin nach Corona: Es wird anders bleiben. Eine Blitzrückkehr ins Altbekannte des Berliner Kulturbetriebes wird es nicht geben. Wie genau es aussieht, vermag ich nicht zu sagen, aber … und es ist ein großes ABER: Es gibt viel, was mich in der Krise überrascht hat und mich glauben lässt, dass wir auch Positives mitnehmen werden. Kreativität lässt sich von einem Virus nicht besiegen, Solidarität und Zusammenhalten werden gelebt, um gemeinsam zu überleben, und digitale kulturelle Ausdrucksformen boomen – zwangsläufig, und könnten auch nach Corona die Berliner Kulturlandschaft beeinflussen.

 

Klaus Lederer ist Senator für Kultur und Europa in Berlin.

 

NRW

 

Überdeutlich zeigt sich in diesen Wochen die Verfasstheit der Kultur in NRW. Das unumgängliche Aussetzen aller Kulturveranstaltungen macht spürbar, wie allgegenwärtig Kunst und Kultur in unserem bisher gewohnten Leben sind. In keinem anderen Bundesland gibt es flächendeckend eine solche Dichte an Kultureinrichtungen und -initiativen aller Sparten. Umso auffallender ist ihr Fehlen. Und umso schmerzhafter wird die Kulturlandschaft aufgrund ihrer Viel- und Kleinteiligkeit getroffen. Insbesondere den kleinen Häusern, den Vereinen und privat getragenen Initiativen, den freien Ensembles und den vielen freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern fehlen Rücklagen, die sie durch diese Krise retten könnten.

 

Es geht nun um die Anerkennung der Lebens- und Arbeitsrealität der Kulturschaffenden. Die Überzeugung, dass Kultur kein Luxus ist, sondern Fundament und Medium einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, gilt es gerade jetzt zu verteidigen. In enger Abstimmung mit den anderen Bundesländern und der Bundesregierung setzten wir alles daran, den Schaden durch gezielte, unbürokratische und wirksame Maßnahmen so gut und so schnell wie möglich zu begrenzen. In dieser Situation hat sich die Abstimmung innerhalb der neuen Kulturministerkonferenz und auf der Arbeitsebene des Kulturausschusses der KMK sehr bewährt.

 

Bereits am 20. März hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft eine existenzsichernde Soforthilfe in Höhe von fünf Millionen Euro für Künstlerinnen und Künstler eingerichtet, um die Zeit bis zum Anlaufen der großen Rettungsschirme in Land und Bund zu überbrücken. Künstlerinnen und Künstler konnten bei den Bezirksregierungen eine Einmalzahlung von bis zu 2.000 Euro beantragen und so zumindest einen kleinen Ersatz für abgesagte Veranstaltungen erhalten. Diese Mittel waren allerdings bereits Anfang April ausgeschöpft – über 17.000 Anträge gingen bei uns ein, immerhin 6.500 Anträge wurden geprüft und an über 3.000 Berechtigte konnte das Geld zeitnah ausgezahlt werden.

 

Über die Soforthilfe hinaus haben wir die bestehenden Förderstrukturen genutzt, um umgehend Entlastung und Sicherheit für Kultureinrichtungen und -akteure zu schaffen. So werden bewilligte und in Prüfung befindliche Förderungen in Höhe von mehr als 120 Millionen Euro ausgezahlt – auch dann, wenn die Projekte abgesagt werden müssen. Zusätzliche Ausnahmeregelungen sollen Veranstalter und Einrichtungen finanziell wie zeitlich entlasten. Im Mittelpunkt unserer Aktivitäten in dieser ersten, akuten Phase standen die Künstlerinnen und Künstler in NRW. Dies war nur folgerichtig, denn unser Land wird gerade durch die freie Kulturszene geprägt.

 

Mit dem Anlaufen der großen staatlichen Hilfsprogramme stehen freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern in NRW inzwischen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung, vor allem die Corona-Soforthilfe für Soloselbständige und kleine Unternehmen der Bundesregierung. Solo-selbständige erhalten eine Einmalzahlung von bis zu 9.000 Euro, Kleinunternehmen von bis zu 25.000 Euro für einen Zeitraum von drei Monaten. Beide Zuschüsse müssen nicht zurückgezahlt werden. Gegenwärtig rückt die Soforthilfe die betrieblichen Kosten in den Mittelpunkt, NRW setzt sich aber dafür ein, zusätzlich die Einkommensverluste der Solo-Künstlerinnen und -Künstler zu berücksichtigen. Auch der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung ist nicht als Almosen zu verstehen, sondern als Rechtsanspruch und Mittel zur unbürokratischen Überbrückung einer Notsituation, bis der reguläre Kulturbetrieb wieder anläuft.

 

Wir haben uns bewusst für Zuschüsse und gegen Kredite entschieden. Kulturangebote können nur sehr bedingt „auf Vorrat“ produziert werden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die aktuellen Ausfälle Komplettausfälle sind. Theaterstücke, Konzerte, Tanzinszenierungen oder Ausstellungen können allein aus logistischen Gründen nicht einfach parallel zum Folgeprogramm nachgeholt werden – abgesehen davon, dass selbst die Proben aktuell gegen die unverzichtbare Regel sozialen Abstands verstoßen würden.

 

Kunst hat nicht die Aufgabe, die Antworten zu geben, um die wir angesichts dieser schwindelerregenden Situation gerade ringen. Aber sie schafft gedankliche Spiel- und Freiräume, das zu denken, was nicht Konsens ist, das zu erfahren, was nicht vertraut ist. Es ist eine Stärke der Kunst, jenseits der etablierten Systeme zu agieren und „dem Weltlauf zu widerstehen“, wie es Theodor W. Adorno einmal formuliert hat. Heute, da viele bisherige Gewissheiten infrage stehen, ist die Kunst eine unverzichtbare Stimme im gesellschaftlichen Miteinander. Wir werden alles dafür tun, dass diese Stimme auch weiterhin laut gehört werden kann.

 

Isabel Pfeiffer-Poensgen ist Ministerin für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen.

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