„Es geht definitiv mit mehr Besuchern“

Der Intendant der Brandenburger Festspiele, Manuel Dengler, über die Folgen der Corona-Beschränkungen für Festivals

Kooperieren Sie mit Festspielen in anderen Ländern? Wie haben die reagiert?
Unser Fokus liegt darauf, dass wir uns erst mal in unserem Einzugsgebiet gut verwurzeln und mit den hiesigen Akteuren zusammenarbeiten. Wir haben aber auch länderübergreifende und internationale Kooperationen für die nächsten Jahre geplant und sind hier teils auch schon in der Projektentwicklung. Gleich zu Beginn der Pandemie haben sich 40 Festivals in Deutschland im Forum Musik Festivals organisiert und gemeinsam Forderungen an die Bundesregierung und die Länder gestellt. In Folge gab es zahlreiche Online-Sitzungen, in denen wir uns über Hygienekonzepte und alle Konsequenzen für Festivals ausgetauscht haben. Das habe ich als sehr gewinnbringend empfunden. Allerdings stellt man auch hier fest, dass trotz dieses großen Engagements leider wenige Forderungen besonders auf Bundesebene umgesetzt wurden.

Die Reaktionen der Festivals waren sehr unterschiedlich, da die Finanzierung sehr unterschiedlich gelöst ist und man bei aller Kreativität im Leitungsteam doch immer davon abhängig ist, was finanziell getragen werden kann.

 

Die Pandemie hat immerhin dazu geführt, dass vielen bewusst geworden ist, wie unverzichtbar Kultur und Musik gerade in Krisenzeiten sind.
Es fällt mir schwer, das positiv zu werten, da die Folgen der Coronakrise katastrophal sind. Viele Kreative sind emotional und psychisch in sehr bedenkliche Zustände geraten, weil von heute auf morgen völlig unklar ist, wie sich die Umstände von teils jahrzehntelanger Arbeit in Zukunft gestalten werden. Ich bin überzeugt, dass Kultur ein unglaubliches Aktivierungspotenzial besitzt und ein wichtiger Motor gesellschaftlicher Entwicklungen ist. Allerdings glaube ich, dass sich das Bewusstsein für die Unverzichtbarkeit von Kultur, wie wir es gerade wahrnehmen, auch wieder ganz schnell verflüchtigen kann. Es liegt an uns Kulturschaffenden, unabhängig von einer Pandemie, Kultur stärker zu politisieren – ohne politische Couleur – und gesellschaftliche Relevanz zu schaffen. Nähe in Zeiten von notwendiger Distanzierung zu generieren ist eine Riesenherausforderung.

 

Waren und sind die Beschränkungen aus Ihrer Sicht alle notwendig und berechtigt?
Die Pandemie hat die gesamte Weltbevölkerung vor eine nicht gekannte individuelle und kollektive Verantwortung gestellt. Ich bin kein Virologe und kann daher nur schwer beurteilen, welche Maßnahmen im Einzelnen gerechtfertigt waren und sind. Allerdings stimmt es mich schon nachdenklich, dass man mit nur 80 Personen im Konzertsaal sitzt und anschließend beim Italiener um die Ecke sich mit genau diesen 80 Personen zu bereits 70 speisenden Gästen dazusetzen darf. An dieser Stelle merkt man, dass die Lobby der Kultur im Verhältnis zu anderen Branchen schwach ist. Bei Kulturveranstaltungen hat man in der Regel ein sehr verantwortungsvolles Publikum und gute Möglichkeiten, Hygienekonzepte konsequent umzusetzen. Das geht definitiv mit mehr Besuchern, als es derzeit an vielen Stellen erlaubt ist. Sonst läuft das alles in einen wirtschaftlichen Irrsinn.

 

Wie sind Sie auf die Idee mit dem Musik-Truck gekommen?
Für uns war klar: Wenn die Menschen nicht zur Musik kommen dürfen, bringen wir die Musik zu den Menschen. Auf einer mobilen Bühne Musik zu machen ist ja nichts ganz Neues, auch andere Veranstalter haben das aufgegriffen. Ende Mai sind wir auf unsere Partner zugegangen und haben das Konzept vorgestellt. Innerhalb von weniger als zwei Wochen haben wir alles umgesetzt und den Brandenburger Festspieltruck ins Elbe-Elster-Land geschickt. Das war nur möglich, weil alle von Landrat über Sparkasse bis hin zu Polizei und Ordnungsamt gemeinsam an einem Strang gezogen haben und ermöglicht haben, dass wir verschiedene Kulturhaltestellen anfahren und mit einem Flügel Klaviermusik präsentieren konnten. Wir haben zahlreiche interessierte Regionen für weitere Kulturhaltestellen und sind in konkreter Planung. Aber auch da hängt ein Rattenschwanz an Finanzierungsfragen und Genehmigungen dran.

 

Werden Sie die mobile Bühne auch nach der Pandemie einsetzen?
In Zukunft möchten wir den Truck als mobile Akademie nutzen, um verschiedene Vermittlungsangebote besonders im ländlichen Raum zu ermöglichen. In Brandenburg haben wir keine Musikhochschule, die Kluft zwischen musischer Erziehung und der professionellen Ebene ist häufig sehr groß. Außerdem wollen wir noch stärker lokalen Künstlern gemeinsam mit international bekannten Künstlern eine Bühne geben. Die regionale und mediale Aufmerksamkeit ist bei einer solch außergewöhnlichen Bühne groß. So erreichen wir Menschen, die sonst eher Berührungsängste mit Kulturveranstaltungen haben, und holen sie in ihrer Lebenswelt ab.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Manuel Dengler & Ludwig Greven
Manuel Dengler ist Dirigent, Bratschist, Kulturmanager und Intendant der Brandenburger Festspiele. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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