Mehr als nur eine Rollstuhlrampe am Vordereingang

Barrierefreiheit beginnt im Kopf und kommt jedem zugute

Worauf würden Sie achten, wenn Sie eine Ausstellung konzipierten und diese barrierefrei sein soll? Vielleicht denken Sie zunächst an eine Rampe am Eingang, damit Menschen im Rollstuhl Zugang haben. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Aspekte, die zu berücksichtigen sind, damit möglichst viele Menschen mit einem großen Spektrum an Beeinträchtigungen Kultur- und Medienangebote wahrnehmen können. Viele davon werden aber leider regelmäßig vernachlässigt. So sind z. B. Exponate oft recht hoch in Vitrinen ausgestellt, die Kindern, kleineren Menschen oder Personen im Rollstuhl die Betrachtung erschweren. Bei der Beschilderung ist die Schrift zu klein, zu weit oben angebracht oder schwer verständlich. Menschen mit Sehbehinderungen müssen sehr nah an ein Schild rangehen, um die Schrift lesen zu können, wodurch dann aber manchmal die Alarmanlage ausgelöst wird, weil die Person dem Exponat zu nah gekommen ist. Das Betrachten von Gemälden vom Rollstuhl aus wird erschwert, weil das Beleuchtungskonzept auf eine andere Augenhöhe ausgelegt ist und man aus einer niedrigeren Perspektive eine zu starke Spiegelung des Lichts auf dem Bild sieht.

 

Oftmals bleibt es an den kommunalen Behindertenbeauftragten hängen, sich bei der ohnehin anstehenden Generalsanierung von Kultureinrichtungen für eine umfassende Barrierefreiheit einzusetzen. Am Ende der Verhandlungen mit der Kommune hängt es von interessierten und engagierten Theaterintendantinnen oder Museumsdirektoren ab, wie viel Inklusion tatsächlich stattfindet. In der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen haben wir uns in den vergangenen Jahren sehr für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen eingesetzt, z. B. für feste Standards für barrierefreie Filmfassungen in der Filmförderung und Barrierefreiheit in den öffentlich-rechtlichen Medien. Schließlich zahlen auch Menschen mit Behinderungen ihren Rundfunkbeitrag.

 

Die Umsetzung von Barrierefreiheit im Kultur- und Medienbereich ist ein Spannungsfeld zwischen Pflicht und Kür. Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) unterzeichnet, die in Artikel 30 unter anderem das Recht aller Menschen formuliert, am kulturellen Leben teilzuhaben. Das bedeutet, dass die Bundesregierung Maßnahmen entwickeln und umsetzen muss, um die kreative, künstlerische und intellektuelle Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen zu garantieren. Im Detail bleibt es aber den Ministerien selbst überlassen, wie sie die Barrierefreiheit in ihrem Ressort fördern.

 

Zweifelsohne hat sich Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, in ihrer Amtszeit für die Entwicklung von Handlungsempfehlungen und die Umsetzung von Barrierefreiheit in ihrem Zuständigkeitsbereich eingesetzt. Allerdings bleibt viel zu tun. So sind z. B. laut der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion vom August 2017 nur 13 der insgesamt über 200 geförderten Einrichtungen und Veranstaltungen umfassend barrierefrei. Nur sieben der geförderten Einrichtungen beteiligen Menschen mit Beeinträchtigungen aktiv an der Gestaltung oder Entwicklung ihrer Angebote. Das ist schade, denn wer könnte besser Hinweise geben, was noch verbessert werden kann, als die Betroffenen selbst?

 

Der Bundesregierung zufolge können zudem bei vielen der geförderten Veranstaltungen und Programme keine Angaben zur inklusiven Gestaltung gemacht werden, da diese in Abhängigkeit von wechselnden Veranstaltungsorten und den entsprechenden Rahmenbedingungen stehen würden. Bei zahlreichen der geförderten Programme sei die Herstellung von Barrierefreiheit nur teilweise Gegenstand der entsprechenden Förderung. In beiden Bereichen sollte dringend nachgearbeitet werden. Das ist schlicht eine Frage des politischen Willens, welche Vorgaben man für geförderte Projekte macht. Der Bund übernimmt aktuell mit ca. 1,2 Milliarden Euro jährlich etwa 13 Prozent der Gesamtausgaben für Kultur und Medien und hat daher eine besondere Verantwortung und Vorbildfunktion für Länder und Gemeinden sowie für den privaten Kultursektor. Die Privatwirtschaft steht bei der Schaffung von barrierefreien Zugängen nach dem Behindertengleichstellungsgesetz noch nicht in der Pflicht. Immerhin werden auch bei den kommerziellen Fernsehsendern inzwischen Filme mit Untertitelungen gesendet, wenn auch noch deutlich weniger als bei den öffentlich-rechtlichen. Eine nennenswerte Initiative vonseiten der Bundesregierung, das Behindertengleichstellungsgesetz in dieser Hinsicht zu überarbeiten, war bisher nicht zu erkennen.

 

Im Leitfaden des Deutschen Museumsbundes zu Barrierefreiheit und Inklusion heißt es: „Barrierefreiheit beginnt im Kopf und kommt jedem zugute.“ Es ist an der Zeit, dass wir für die Barrierefreiheit mehr tun, als nur die gesetzlichen Mindestvorgaben zu erfüllen. Kleine Änderungen im Konzept können eine große Verbesserung für Menschen mit Beeinträchtigungen darstellen. Barrierefreiheit ist nämlich mehr als nur eine Rollstuhlrampe am Vordereingang.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2017.

Tabea Rößner
Tabea Rößner, MdB ist Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag.
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