Die über 2.000 Moscheen in Deutschland – davon knapp 160 architektonisch als Moscheen sichtbar – werden in der überwiegenden Zahl von vier Dachverbänden vertreten, nämlich von DITIB, VIKZ, Islamrat und Zentralrat. Die Moscheen tragen seit Jahrzehnten die Kosten ihrer sozialen und religiösen Betreuung alleine. Die vier muslimischen Dachverbände mit ihren angeschlossenen Religionsgemeinschaften haben sich zudem zum Koordinationsrat der Muslime, kurz KRM, vor etwa drei Jahren zusammengeschlossen und auf der Länderebene sind ihre Moscheen vielerorts in sogenannten Schura-Räten und muslimischen Landesverbänden organisiert.
Der Zentralrat der Muslime, wie die anderen Dachverbände, deckt jenen Teil der Muslime ab, der sich zum praktizierenden Teil der muslimischen Gemeinschaft zählt. Dabei ist es unerheblich, ob der Anteil nun 20 % beträgt wie das Innenministerium meint, oder sogar 50 %, wie einige wissenschaftliche Erhebungen (z. B. die Untersuchung der RheinRuhr Universität von 2006) erklären. Fakt ist, dass in den Moscheen muslimisches Leben stattfindet. Es gibt natürlich auch noch einen beträchtlichen anderen Anteil einzelner nicht in den Gemeinden eingebundener Muslime. Für diese sind die Fragen nach Religionsunterricht für ihre Kinder oder z. B. die Frage nach muslimischer Seelsorge und nach Lehrstühlen für islamische Theologie, die Ausbildung von Imamen in Deutschland oder gar der Verzehr von islamisch geschächtetem Tier eher von marginaler Bedeutung.
Und doch findet für die Muslime und ihre Gemeinden in unserem Lande so etwas wie ein Subsidiaritätsprinzip oder eine Solidarität im religionspolitischen Sinne kaum statt. Obgleich die Moscheen den Kommunen und Ländern sowohl finanziell wie auch strukturell viel Arbeit abnehmen, verzichtet kaum eine Islam-Debatte auf die schon obligatorische Pauschalkritik an den Moscheen, ihren Imamen oder ihren Strukturen. Diese jahrelange Debatte, die meist die fehlende Trennschärfe von Extremismus und Religion vermissen ließ, fordert nun ihren Tribut. Der Islam wird heute in erster Linie im Kontext der Sicherheitspolitik und als Politikum betrachtet. Aber Religionsverfassungsrecht und Integrationspolitik kann nicht im Rahmen von Sicherheitsgesetzen verhandelt und umgesetzt werden. Doch die Politik scheut sich, so wie sprichwörtlich der Teufel das Weihwasser, mit den Muslimen zusammen die rechtliche Anerkennung, wie diese für Christen und Juden selbstverständlich ist, anzusteuern. Der insbesondere bei Sonntagsreden gerne zitierte Slogan „Fördern und Fordern“ wird so zur Farce. Hier nur einige Beispiele dafür: Seit über 20 Jahren bemühen sich die Muslime um einen Religionsunterricht nach Art. 7 (3) Grundgesetz sowie, dass die Politik sie als Ansprechpartner ernst nimmt, damit die nötige verfassungsrechtliche Grundlage dafür geschaffen wird, dass Islamunterricht auf Deutsch unter deutscher Schulaufsicht endlich bundesweit angeboten werden kann. Dies gilt auch für den Ausbildungsgang von Imamen an staatlichen Universitäten.
Für die meisten Muslime steht die Lehre im Vordergrund und nicht die Politik; deshalb hat auch der Zentralrat der Muslime beispielsweise in Bezug auf den Ausbildungsweg für Imame dafür plädiert, dass diese am besten hierzulande ausgebildet werden. Dafür müssten die rechtlichen und strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden.
Auf der Deutschen Islam Konferenz (DIK) ist die Chance verpasst worden, einen echten Dialog mit legitimierten muslimischen Vertretern auf der einen Seite und Vertretern der Länder (Religion ist laut Grundgesetz Ländersache) auf der anderen Seite herzustellen. Der Innenminister hätte dabei quasi als Moderator die Einhaltung einer Roadmap für die staatliche Anerkennung entwickeln können. Diese Chance wurde bislang nicht genutzt. Stattdessen gibt es unzählige Einwürfe von deutschen Prominenten zum Islam, die von der Dialektik des „Ihr“ und „Wir“ durchzogen waren. Daraus entstand eine Art Überbietungswettbewerb populistischer Thesen und trotz anders lautender muslimischer Bekundungen wurde die Unvereinbarkeit von „deutschen Leitkultur“ und muslimischen Lebens detektivisch lustvoll nachzuweisen versucht.
Und so schwelt der Streit weiter. Bisweilen wird zu absonderlichen Forderungen gegriffen, um dem eigentlichen Thema aus dem Weg zu gehen. Dazu zählt z. B., dass man doch auch nichtorganisierte Muslime einbeziehen sollte, denn schließlich vertrete der Koordinierungsrat (DTIB, VIKZ, Islamrat und Zentralrat) oder eines der inzwischen gegründeten Landesvertretungen (SchuraRäte) zwar die überwiegende Mehrheit der Moscheegemeinden, aber eben nicht alle Muslime.
Die Forderung stellt ein Paradoxon dar. Entweder ist man organisiert und entsendet Vertreter oder man ist nicht organisiert und kann folglich keine Vertreter bestimmen. Das ist demokratisches Prinzip, welches auch im Kontext der Muslime zu gelten hat. Und doch hat Politik und Verwaltung gerade damit bisher so ihre Schwierigkeit, einfach anzuerkennen, was Muslime an Vertretungsstruktur und -kultur zu Markte tragen. Und nicht selten wird mit Zuhilfenahme des Verfassungsschutzes eine Gruppe einfach zur Persona non grata erklärt und so wird sich des Themas auf diese Weise entledigt. Natürlich ist die Ausgestaltung der muslimischen Vertreterstruktur zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ausbaufähig – wer will Gegenteiliges behaupten – das ist aber letztlich Sache der Muslime selbst. Weder der Staat – wie beispielsweise bei der DIK geschehen –, wo bestimmte Einzelpersonen sozusagen doch tatsächlich als Islamvertreter inthronisiert wurden, noch andere Strukturen sollten den Muslimen dabei Vorschreibungen machen, noch können sie sich die Dialogpartner selbst aussuchen oder zusammenstellen.
Und so bleiben wir von einer Gleichberechtigung oder gar Gleichbehandlung der Muslime mit ihren Moscheen und Religionsgemeinschaften in Deutschland noch meilenweit entfernt. Das empfinden auch zunehmend viele deutsche Muslime, die hier integriert sind, hier arbeiten und ihre Steuern zahlen. Dies gilt gerade auch für die erste „Gastarbeiter-Generation“, die ebenso ihren Anteil am Wirtschaftsaufschwung vor allem in der Nachkriegszeit in Deutschland hat und heute die Rentnergeneration bildet.
Weil aber das Staatskirchenrecht in Deutschland nicht unumstritten ist, stehen wir vor einem zusätzlichen Dilemma: Wer verhindern will, dass das Staatskirchenrecht nun auch auf den Islam hierzulande angewandt werden soll, behindert nicht nur die Muslime darin, sich rechtlich zu etablieren, sondern delegitimiert vorhandenes Verfassungsrecht. Wird der Islam in Deutschland endlich rechtlich anerkannt, also sozusagen staatsrechtlich integriert, wird geltendes Staatskirchenrecht und Religionsverfassungsrecht stabilisiert. Und so plädieren nicht wenige in diesem Land für eine Art Sonderstatus für die Muslime unterhalb dessen, was unser Religionsverfassungsrecht vorsieht. Aber für diesen faulen Kompromiss – schon alleine mit Hinblick auf die Unversehrtheit unseres Grundgesetzes – sind die Muslime bisher nicht bereit.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.