In Vielfalt geeint – Für ein offenes und großzügiges Europa

Ein Beitrag von Audrey Azoulay, Ministerin für Kultur und Kommunikation in Frankreich

Die damaligen Enteignungen waren auch Raubbau am Gedächtnis der Menschheit. Bislang wird die Rückgabe von Werken erst dann veranlasst, wenn die Anspruchsberechtigten entsprechende Forderungen an den Staat gerichtet haben. Inzwischen wurde ein neues Verfahren auf den Weg gebracht, wonach das Ministerium auf eigene Initiative die ursprünglichen Eigentümer der Werke und anschließend die Anspruchsberechtigten ausfindig machen kann.

 

Die Rückgabe eines Werks von Edgar Degas im vergangenen Juni bildet den ersten Erfolg dieser neuen Vorgehensweise, die wir für selbstverständlich und legitim erachten. Diese Familien sind nicht freiwillig zu Opfern geworden. Warum sollten wir sie nun auch noch dazu verpflichten, das einzufordern, was ihnen zusteht?

 

Unser Engagement in dem komplexen Bereich der Provenienzforschung hat Frankreich und insbesondere das Kulturministerium dazu veranlasst, sich auf Bitten der deutschen Behörden seit 2014 aktiv an der Erforschung der Herkunft der Werke aus der entdeckten Sammlung von Cornelius Gurlitt zu beteiligen, von der ein Teil mit großer Wahrscheinlichkeit in Frankreich enteignet wurde.

 

Das Kolloquium „Patrimoine spoliés. Regards croisés France-Allemagne / Provenienzforschung. Wechselseitige Perspektiven – Frankreich und Deutschland“, das auf Initiative des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (DFK), des Institut national du patrimoine (INP) und des Institut national d’histoire de l’art (INHA) im vergangenen Juni in Paris stattgefunden hat, zeugt von diesem gemeinsamen Willen.

 

Unsere dringlichste und gemeinsame Verpflichtung besteht gegenüber den Kindern, den Jugendlichen, der Jugend, welche die Welt erben wird, wie wir sie gestalten. Auch hier ist die Kultur stark, denn sie hält den Schlüssel zur Emanzipation, zu den Beziehungen zum Anderen und manchmal auch zur Entdeckung seiner selbst. Auch der Lehre an Kunsthochschulen, einer unserer Stärken, werden durch die Gesetzgebung neue Perspektiven eröffnet.

 

Abschließend möchte ich das Thema Informationsfreiheit aufgreifen. Mit Deutschland teilen wir die Überzeugung, dass eine freie Presse, eine vielfältige Medienlandschaft, eine kritische und gut informierte Öffentlichkeit sowie eine echte öffentliche Debatte die stärksten Garanten der Demokratie sind. Diese Überzeugung steht im Zentrum unseres Gesetzentwurfs zur Unabhängigkeit der Medien, dessen Verabschiedung in Frankreich bevorsteht. Das Gesetz soll die Unabhängigkeit von Redaktionen gegenüber Werbetreibenden und Aktionären gewährleisten. Ferner sieht es einen besseren Schutz von journalistischen Quellen vor: Hier steht der Reifegrad unserer Demokratie auf dem Spiel, ebenso wie ihre Fähigkeit, im Sinne des Gemeinwohls die investigative Arbeit von Journalisten und Whistle­blowern zu verteidigen, wie es die jüngsten Enthüllungen um die Panama Papers und Luxleaks gezeigt haben.

 

Schaffensfreiheit anerkennen, schützen und gewährleisten. Den Dialog zwischen den einzelnen Kultursparten voranbringen. Bessere Rahmenbedingungen für Künstler und Unterhaltungstechniker schaffen: Auch an diesem Ziel halte ich fest.

 

2017 ist Frankreich Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. In diesem Rahmen wird Frankreich das ganze Jahr über bundesweit seine Kulturindustrie präsentieren und für seine Kultur und Sprache werben. Wir wollen dieses Ereignis ausgiebig nutzen, um die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Deutschland und Frankreich noch weiter zu vertiefen und unsere gemeinsamen Standpunkte in der Buch- und Schriftpolitik zu festigen, gerade jetzt, wo in Europa grundlegende Debatten im Gange sind.

 

Wir müssen Europa neu denken. Der Ansatz, nach dem die Integration des Binnenmarktes als absolut vorrangig und die nationalen Politiken zugunsten des Urheberrechts und der Kulturförderung zuweilen als „Hindernisse für die Schaffung eines Binnenmarktes“ gelten, ist überholt.

 

„Kultur ist anspruchsvoll und ambitioniert, sie ist vielseitig und der Zukunft zugewandt.“

 

Wir sind überzeugte Europäer. Und dennoch haben wir die Territorialität des Urheberrechts verteidigt, weil sie den Kultur- und Sprachräumen entspricht, in denen wir schaffen.

 

Europas Stärke liegt in der Vielfalt seiner Kulturen und Sprachen: „In Vielfalt geeint“.

 

Diesen Herbst werden wir in Brüssel über das Urheberrecht und die Regulierung von Online-Plattformen diskutieren. Auch hier werden Deutschland und Frankreich an vorderster Front für die Kultur eintreten, denn das Urheberrecht ist die Grundlage für das kreative Schaffen. Wir werden uns für die Rechte und die Vergütung der Urheber stark machen, da wo heute große Plattformanbieter einen Großteil der Wertschöpfung abgreifen.

 

Unser Kurs lautet kulturelle Vielfalt und nicht Uniformität. Es ist an uns, gemeinsam zu zeigen, dass Europas Kreativität, dass die Förderung seiner kulturellen Vielfalt und des Dialogs zwischen den Völkern und Kulturen unsere gemeinsame Zukunft bildet. Es ist unsere Aufgabe, unsere Vorstellung von Europa zu verteidigen: ein Europa, das offen und großzügig ist.

 

Die Kultur kann das Fundament für ein solches Europa bilden. Das ist nicht leicht, doch dieses Ideal steckt im Grunde schon in ihrem Wesen: Kultur ist anspruchsvoll und ambitioniert, sie ist vielseitig und der Zukunft zugewandt.

 

Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Jägle, Französische Botschaft Berlin.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/16.

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