Hofnarr

Ein Kommentar von Olaf Zimmermann

Politiker aller Parteien lieben die Künstler. Nicht alle, besonders nicht die Unbekannten. Sie lieben bekannte Schauspieler, Musiker und Schriftsteller. Gerne werden diese Künstler eingeladen und ihre Meinung zu diesem und jenem politischen Problem erbeten. Künstler lieben Politiker, denn sie lassen sich gerne einladen, sie freuen sich, wenn ihre Einschätzungen auch außerhalb ihrer Profession gefragt sind. Außerdem macht es Spaß, wechselseitig in eine eher unbekannte Welt einzutauchen.

 

Problematisch wird es dort, wo diese Treffen als ernsthafte politische Schritte missverstanden werden. Viele Politiker haben mir schon erklärt: „Ich mache viel für die Kultur, ich treffe mich regelmäßig mit Künstlern.“ Doch geht es bei diesen Treffen wirklich ernsthaft um die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstler, um ein zukunftsfähiges Urheberrecht oder um einen gerechten Welthandel?

 

Im Jahr 1970, auf dem ersten Kongress des Verbandes deutscher Schriftsteller, sprach Heinrich Böll, in Anwesenheit von Willy Brandt, über die „Einigkeit der Einzelgänger“. Ein kühner Traum, der, hätte er funktioniert, Künstlerorganisationen zu einer starken politischen Kraft gemacht hätte.

 

Doch gerade die Verbände der Künstler kämpfen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um ihre Zukunftsfähigkeit. Geblieben sind oftmals die Einzelgänger, ohne Einheit. Auch deshalb sind Künstler bei Politikern beliebt.

 

Im Mittelalter kannte man die Hofnarren, die als Spaßmacher für Unterhaltung und Belustigung der Mächtigen da waren. Mancher von ihnen konnte „ihren“ Herrschern auch unangenehme Wahrheiten humorvoll näherbringen, die meisten aber waren wohl doch mehr Narren als Berater.

 

Künstlerinnen und Künstler haben wie alle Menschen eine Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen. Die bekannteren unter ihnen können neben dieser Verantwortung noch ihre Popularität in die Waagschale werfen. Sie sollten aber sicherstellen, dass sie von der Politik nicht als Alibi missbraucht werden. Gerade weil bekannte Künstler gerne von Politikern eingeladen werden, sollten sie zu diesen Treffen klare Forderungen mitnehmen und nach den Treffen darauf achten, ob ihre Anregungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind.

 

Vom Hofnarr des Mittelalters ist in unseren Tagen glücklicherweise nicht viel geblieben. Nur die Formulierung „vernarrt sein“ für „total verliebt sein“ gibt es noch. Totale Liebe ist im privaten Bereich super, in der Politik ist sie tödlich, weil man dann doch nur zum Hofnarr wird.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur Mai/Juni 2016.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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