„Politiker aller Parteien lieben die Künstler. Nicht alle, besonders nicht die Unbekannten. Sie lieben bekannte Schauspieler, Musiker und Schriftsteller. Gerne werden diese Künstler eingeladen und ihre Meinung zu diesem und jenem politischen Problem erbeten. Künstler lieben Politiker, denn sie lassen sich gerne einladen, sie freuen sich, wenn ihre Einschätzungen auch außerhalb ihrer Profession gefragt sind“, so kritisierte Olaf Zimmermann im Editorial der Mai/Juni 2016-Ausgabe von Politik & Kultur unter dem Titel „Hofnarr“ bekannte Künstler für ihre Bereitschaft, der Politik ihre Nähe zu geben, ohne adäquate Gegenleistungen von ihr dafür zu verlangen. Heinrich Schafmeister sprach mit Olaf Zimmermann über diese Kritik.
Heinrich Schafmeister: Ich finde, Deine Provokation ist mindestens erlaubt. Weil mich die gleiche Sorge absolut umtreibt, gerade in letzter Zeit.
Olaf Zimmermann: Ihr werdet gemocht und Ihr werdet geliebt. Die Kanzlerin war bei der Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ende Juni unter der Kuppel des Reichstages in Berlin geradezu überzuckert von Euch und auch von Dir. Ihr müsstet ja alles von ihr bekommen können?
Dachdecker werden nicht sofort vorgelassen bei der Kanzlerin. Und ich bin absolut Deiner Meinung: Wir haben die Chance, gehört zu werden, darum tragen wir eine Verantwortung! Doch das politische Bewusstsein ist gerade unter Künstlern oftmals naiv bis pubertär. Siehst Du, jetzt werde ich noch böser als Du mit Deinen „Hofnarren“. Wir kennen uns mit den Spielregeln der Demokratie nicht richtig aus, wie Willensbildung zustandekommt in einer pluralistischen Gesellschaft. Wir meinen häufig, indem wir Kunst machen, machen wir schon genug Politik. Wir verkennen, wie wichtig Rahmenbedingungen sind, Tarifverträge, Filmfördergesetze, Satzungen, überhaupt dieses ganze dröge Paragraphengedöns – und dabei unterschätzen wir, welchen nachhaltigen Einfluss das alles auf unsere Kunst, auf unser Leben hat. Und dann schämen wir uns auch noch häufig, selbstbewusst bessere Berufsbedingungen für uns zu fordern. Nämlich für die, die Kultur schaffen. Denn wer sich für Kultur einsetzen will, muss sich für die einsetzen, die Kultur machen. Da führt kein Weg daran vorbei.
Aber gehen wir doch einen Schritt zurück, bevor wir dann zu dem Thema der öffentlichen Präsenz von bekannten Schauspielern kommen. Der Bundesverband Schauspiel, in dem Du im Vorstand mitarbeitest, ist die absolute Ausnahme der letzten Jahre. Eine erfolgreiche Neugründung einer Künstlergewerkschaft. Wir haben ja, wenn wir ehrlich sind, seit vielen Jahren das umgedrehte Verhältnis, d. h. die Künstlerverbände, mit ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, werden schwächer. Die Verwerterverbände werden stärker.
Wir Künstler haben berufsbedingt ein gestörtes Verhältnis zum Kompromiss. Als Künstler dürfen wir keine Kompromisse machen. Es kann nicht angehen, zu sagen, ich meine, ich muss von rechts auf die Bühne kommen, der andere sagt, nein, Du musst von links kommen, dann machen wir einen Kompromiss, ich komme von der Mitte. Wer so Kunst macht, dessen Kunst kann man sofort in die Tonne kloppen. Und das vollkommen zu Recht. Das ist uns in die Wiege gelegt. Leider werden wir immer wieder zu solchen billigen Kompromissen gezwungen, weil das Geld fehlt. Das macht Kompromisse bei uns nicht beliebter. Aber in der Politik sind Kompromisse goldrichtig, ja mehr noch: Kompromisse sind die absolute Voraussetzung für erfolgreiche Politik. Wir Künstler sind oft politikunfähig – weil kompromissunfähig. Wir tun uns schwer, Kompromisse, wenn sie sich anbieten, auch zu ergreifen, um dann beim nächsten Mal Schritt für Schritt weiterzugehen. Dieses Einmaleins politischen Denkens ist auch bei vielen Künstlerverbänden höchst unterentwickelt. Je kleiner und ohnmächtiger sie sind, desto fundamentalistischer geben sie sich manchmal – vielleicht, weil sie insgeheim spüren, dass sie ohnehin nicht gehört werden.
Ist das auch der Grund, warum es so schwierig ist, gerade bekannte Künstler, die auch wirklich im künstlerischen Schaffensprozess stehen, auch für die Spitze von Verbänden zu bekommen? Das ist ja bei euch eine Ausnahme.
Auch wir haben da Probleme. Wir haben z. B. in unserem Vorstand nur eine Frau. Geschlechtergerechtigkeit ist natürlich bei uns ein Thema. Das würden wir gerne auch mit der Vorstandsbesetzung deutlich machen. Aber die bisher erfolgreiche Arbeit fortzusetzen, hat absoluten Vorrang. Nicht unbedingt alle Frauen oder Männer, die „hier“ rufen, wären eine Bereicherung für die Arbeit bzw. Zusammensetzung des Vorstands. Sprechen wir umgekehrt die an, die ahnen, wie aufreibend zäh die ehrenamtliche Vorstandsarbeit sein kann, wie groß die Verantwortung ist, welche Konflikte es auszuhalten gilt, wie unbeliebt man sich machen muss; fragen wir die mit den passenden Eigenschaften, Fähigkeiten und Disziplinen sich einzugliedern, dann holen wir uns meistens einen Korb – zumal es sich um prominente Gesichter handelt. Aber wir bleiben dran.