Hier schildern Heiko Wiese (Filmwirtschaft), Kathrin Böttcher (Öffentlich-rechtlicher Rundfunk) und Christina Oelke (Private Rundfunkanbieter) ihre Positionen zum neuen Urheberrecht. Die Text sind zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.
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- Verlage, Autorinnen und Autoren, Bibliotheken, Kreative
- Musikindustrie, GEMA, Musikurheberinnen und -urheber
Filmwirtschaft
Die Umsetzung der DSM-Richtlinie ist die umfassendste Änderung des Urheberrechts seit 1965. Die Bundesregierung hat sich dabei für einen Sonderweg entschieden, der Urheberinnen und Verwerter vor allem vor neue Unsicherheiten stellt.
Kaum ist das Gesetzespaket verabschiedet, veröffentlicht die Kommission ihre Leitlinien zur Umsetzung des Art. 17 DSM-RL. Diese Leitlinien widersprechen der deutschen Umsetzung in Teilen. Die EU-Kommission stellt die Leitlinien jedoch unter den Vorbehalt der bevorstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Klageverfahren des Mitgliedstaats Polen gegen Art. 17 DSM-RL.
Mit den parallel auf EU-Ebene vorgesehenen Gesetzespaketen Digital Services Act (DAS) und Digital Markets Act (DMA) geraten einige der gerade erst diskutierten Haftungs- und Transparenzfragen erneut in den Fokus. Beide Rechtsakte sind als Verordnungen vorgesehen, würden also unmittelbar gelten und einen Sonderweg, wie ihn der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der DSM-Richtlinie gewählt hat, von vornherein verhindern.
Die Diskussion um die Produktions- und Wertschöpfungsfragen kreativer Leistungen geht also weiter – sowohl auf der Rechtssetzungsebene als auch der Ebene ihrer praktischen Umsetzung. Die Änderungen durch die DSM-RL sind der umfassendste Eingriff in das deutsche Urheberrecht seit 1965. Sie haben Auswirkungen auf die Vertragspraxis der Produzentinnen und Produzenten mit den Filmschaffenden, werden sich in der Lizenzierungspraxis und damit den Lizenzerlösen niederschlagen und auch Einfluss auf die Rolle der Verwertungsgesellschaften nehmen.
Der deutsche Gesetzgeber hat im Wesentlichen zwei Intentionen verfolgt. Mit weitreichenden Lizenzierungsvereinfachungen wird es großen Nutzergruppen erleichtert, Werke zu nutzen und zugänglich zu machen. Dies betrifft die Bereiche Forschung, Bildung, Lehre und die Erschließung von Archiven. Begünstigt werden aber auch kommerzielle Nutzer wie die Online-Sharing-Plattformen, die über neue Schranken und ein neu geschaffenes System der erweiterten kollektiven Lizenzsysteme zu tarifierbaren Bedingungen Lizenzen von einer Vielzahl von Rechteinhabern und Werken, also repertoiremäßig, erwerben können.
Gleichzeitig werden die Urheberinnen und ausübenden Künstler gestärkt. Es wird ein neuer Maßstab für die Angemessenheit einer Vergütung gelten, ohne diesen aber näher zu konkretisieren. Es werden turnusmäßig Berichtsverpflichtungen über alle Erlöse aus der Verwertung eines Werkes vorgesehen, ohne eine Konkretisierung über den Kreis der Anspruchsberechtigten oder eine zeitliche Eingrenzung vorzunehmen. Mit einem zusätzlichen Direktvergütungsanspruch soll auch ihre Vergütungssituation gegenüber den Online-Sharing-Plattformen unmittelbar verbessert werden – zulasten der Produzentinnen und ihrer Lizenznehmer.
Just die Perspektive der Produzentinnen und Produzenten, also derjenigen Verwerter, die Arbeits-, Werk- oder Dienstverträge mit Urheberinnen und Interpreten abschließen, fand in diesem Kontext kaum Berücksichtigung. Dabei sind sie es, die die künstlerische und finanzielle Verantwortung für ein Filmprojekt übernehmen, die es ermöglichen. Bei kaum einer anderen Werkgattung tragen so viele Unternehmen und Menschen mit ihren kreativen Leistungen zu einem Werk auf so unterschiedliche Weise bei. Kaum eine andere Werkgattung ist so kosten- und zeitintensiv und muss von der Idee über die Produktion bis zum Vertrieb über einen so langen Zeitraum finanziert werden, ohne Erlöse erwarten zu können. Für sie wie für ihre Lizenznehmer ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen eine verlässliche und solide Kalkulation für die künstlerischen und wirtschaftlichen Entscheidungen bieten. Vor diesem Hintergrund stellt das Gesetzespaket zur Umsetzung der DSM-RL die Branche vor große Herausforderungen. Denn verlässliche und klare Rahmenbedingungen sind bis auf Weiteres nicht in Sicht. Alle Branchenteilnehmer sind daher gefragt, die entstandenen Rechtsunsicherheiten und Wertungswidersprüche aufzufangen.
Heiko Wiese ist Rechtsanwalt und Beauftragter der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Passgenau zum Ablauf der Umsetzungsfrist ist das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes am 7. Juni in Kraft getreten. Ohne Not hat sich der Gesetzgeber dabei an vielen Stellen für eine überschießende Umsetzung entschieden, obwohl insbesondere das erst 2017 in einem umfangreichen Abwägungsprozess reformierte deutsche Urhebervertragsrecht Pate für die europäischen Regelungen stand. Auch die Praxistauglichkeit von Regelungen, branchenspezifische Besonderheiten und wirtschaftliche Folgewirkungen standen bei der Novelle leider nicht immer im Fokus. Viele neue Unklarheiten und Auslegungsfragen werden daher absehbar zu neuen Rechtsstreitigkeiten führen.
Positiv zu bewerten ist aber insofern, dass auf der Zielgeraden durch den Deutschen Bundestag das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip wieder im Gesetztext verankert wurde, um die Reichweite der Transparenzpflichten einzuschränken. In der Begründung der zugrunde liegenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde dazu klarstellend festgehalten, dass Unverhältnismäßigkeit insbesondere dann vorliegt, wenn urheberrechtlich geschützte Inhalte in Nachrichtensendungen oder bei der Berichterstattung über Tagesereignisse genutzt werden. Gerade in diesem großen Bereich der Aktualität würden nämlich sämtliche in eine Auskunftserteilung zu investierenden Mittel ihren Zweck verfehlen, weil weitere Vergütungsansprüche von vornherein ausscheiden. Dies ginge zulasten des Budgets für kreative Inhalte, was weder im Interesse von Kreativen noch Verwertern ist.
Erfreulich ist auch, dass mit der Novelle das Instrument der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung (ECL) eingeführt wurde. Von diesem flexiblen, in die Zukunft gerichteten und auf Freiwilligkeit und Vertragsfreiheit basierenden System können Kreative, Rechteinhaber und Verwerter nur profitieren.
Zu begrüßen ist zudem die von den öffentlich-rechtlichen Sendern schon lange unterstützte und endlich umgesetzte technologieneutrale Ausgestaltung der Weitersendung, da mit den nun geltenden Rechteklärungsmechanismen faire Wettbewerbsbedingungen für alle Plattformanbieter geschaffen werden.
Nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum der Gesetzgeber im neu eingeführten Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) keine Sonderregelung für Anbieter besonders verantworteter Dienste, sogenannter „Trusted Uploader“, geschaffen hat und im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses sogar die Möglichkeit der Kennzeichnung vertraglich erlaubter Nutzungen wieder gestrichen wurde. So hätten fälschliche und mit Blick auf die Programmautonomie äußerst problematische algorithmenbasierte Sperrungen in Bezug auf Inhalte verhindert werden können, die die Sender auf Uploadplattformen, wie z. B. YouTube, rechtegeklärt anbieten. Kritisch zu sehen ist schließlich auch der im UrhDaG eingeführte Direktvergütungsanspruch der Kreativen gegen die Plattformen, der mit der Systematik des deutschen individuellen Vergütungssystems nur schwerlich zu vereinbaren ist.
Alles in allem gilt es nun, mit den Neuerungen konstruktiv umzugehen. Nötig dafür ist aber, dem Sektor ausreichend Zeit zur praktischen Umsetzung zu geben. Zukünftiger Regulierungsbedarf muss in jedem Fall sorgsam abgewogen werden.
Kathrin Böttcher ist Leiterin Medienpolitik im ARD-Generalsekretariat
Private Rundfunkanbieter
Vertane Chance, doch der Blick geht nach vorn: Die seitens des Gesetzgebers vermeintlich zu lösende „Quadratur des Kreises“ bei der Umsetzung der DSM-Richtlinie in deutsches Recht ist aus Sicht der privaten audiovisuellen Medienunternehmen keineswegs in ein regulatorisches Glanzstück gemündet, das das deutsche Urheberrecht näher an die digitalen Realitäten heranführen wird. Die Chance für eine praxisnahe, an den digitalen Wertschöpfungsketten orientierte Ausgestaltung des Urheberrechts wurde vertan. Doch hiermit gilt es seitens der Kreativwirtschaft nun konstruktiv umzugehen. Der Kelch der Lösung offener Rechtsfragen und des Ausgleichs der Interessen wird indes vom Gesetzgeber an die Gerichte weitergereicht. Der europäische Gesetzgeber wird im Digital Service Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) Antworten auf die Dominanz der marktmächtigen digitalen Plattformen finden müssen, die die Medien-, Kreativ- und Presselandschaft zunehmend dominieren und im neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) keine Einhegung erfahren.
Das Positive: Bei aller Kritik sind einige der im parlamentarischen Verfahren vorgenommenen Nachbesserungen im Urhebervertragsrecht und im UrhDaG positiv zu bewerten: So sind Auskünfte nach den §§ 32 d und 32 e unter einen allgemeinen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt gestellt. Damit wird im Gesetz und den zugehörigen Materialien aufgezeigt, in welchen Fällen anlasslose Berichtspflichten unverhältnismäßig sind. Zwar wurde die Rückwirkung der proaktiven Berichtspflicht entgegen der auch auf verfassungsrechtlichen Bedenken gestützten Forderungen der Rechtinhaber nicht vollständig gestrichen. Immerhin sieht § 133 Abs. 3 S.2 einen Teilausschluss vor, wonach bei Verträgen, die vor dem 1. Januar 2008 geschlossen worden sind, Auskunft über die Nutzung von Filmwerken oder Laufbildern und die filmische Verwertung der zu ihrer Herstellung benutzten Werke nur auf Verlangen des Urhebers zu erteilen ist.
Im Hinblick auf Gemeinsame Vergütungsregeln wird die aufgenommene Vermutungsregel in §32 Abs. 3 deren Praxisrelevanz erhalten.
Im Bereich des UrhDaG wurde mit § 7 Abs.2 S. 3 eine für die Exklusiv-Vermarktung wichtige Regel aufgenommen, wonach Übertragungen von Premium-Inhalten für die Dauer der (Live)-Übertragung z. B. von Sportveranstaltungen sowie Serien und Spielfilme bis zum Abschluss der erstmaligen öffentlichen Wiedergabe im Inland nicht unter die Regelungen zu mutmaßlich erlaubten Nutzungen fallen. Hier wäre zusätzlich eine Erweiterung der Ausnahme auf wenige Stunden nach Ende der Live-Übertragung wünschenswert gewesen.
Die Defizite: Zahlreiche andere Regelungen – vor allem beim Upload von bis zu 15 Sekunden audiovisueller Inhalte als „mutmaßlich erlaubte Nutzung“ oder beim Direktvergütungsanspruch verkennen aus Sicht des VAUNET dagegen die digitalen Realitäten und negieren etablierte Wertschöpfungsketten.
Am Ende werden bei dem neuen Urheberrecht leider unter anderem hohe bürokratische Belastungen für die Dokumentation für die normierten Auskunftspflichten und eine Red-Button-Regelung stehen bleiben, deren praktische Umsetzbarkeit fraglich ist.
Christina Oelke ist Senior Legal Counsel im Bereich Recht & Regulierung des VAUNET – Verband privater Medien