Die materielle Seite des Urheberrechts

Verwertungsrechte I

Das Urheberrecht hat eine materielle und eine immaterielle Seite. Den materiellen Interessen des Urhebers dienen die sogenannten Verwertungsrechte. Sie sollen – schlicht gesagt – sicherstellen, dass mit einem urheberrechtlichen Werk Geld verdient werden kann. Das wird dadurch ermöglicht, dass wichtige Nutzungen des Werkes der Zustimmung des Urhebers bedürfen, die von der Zahlung einer Vergütung abhängig gemacht werden kann. Bei jedem Verlagsvertrag zwischen Autor und Verleger geht es beispielsweise darum, dass der Autor dem Verleger die Nutzung des Werkes erlaubt – gegen Zahlung eines angemessenen Honorars.

 

Das Gesetz unterscheidet zwischen körperlichen und unkörperlichen Verwertungsformen und führt einige konkrete Verwertungsrechte auf. Dieser Katalog ist aber nicht abschließend, es gibt demnach auch »unbenannte« Verwertungsrechte. Zu den explizit aufgeführten Verwertungsrechten in körperlicher Form gehören unter anderem das Vervielfältigungsrecht und das Verbreitungsrecht. Unkörperliche Verwertungsformen sind dagegen beispielsweise das Aufführungsrecht, das Senderecht oder – in der digitalen Welt besonders wichtig – das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung. Zugegeben, die Bezeichnung „Zugänglichmachung“ ist wenig elegant; sie geht auf den Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) aus dem Jahr 1996 und die englische Bezeichnung „making available“ zurück. Der Sache nach handelt es sich dabei um das Recht, ein Werk im Internet zum Abruf zur Verfügung zu stellen.

 

Bei körperlichen Verwertungen geht es stets darum, dass ein Werk in einer gegenständlichen Form verwertet wird, also ein Text in einem Buch, ein Gemälde auf einer Leinwand, ein Film auf einer DVD oder ein Musikstück auf dem Speichermedium eines Smartphones. Bei unkörperlichen Verwertungen handelt es sich dagegen um Nutzungen, wie beispielsweise die Aufführung eines Theaterstücks auf der Bühne oder die Sendung eines Hörspiels im Radio. Auch die öffentliche Zugänglichmachung von Werken im Internet gehört zu den unkörperlichen Verwertungsformen.

 

Wichtig ist, dass der Werkgenuss selbst, die Lektüre des Buchs, die Betrachtung eines Bildes oder das Anschauen eines Films, in der Regel urheberrechtlich irrelevant ist. Es kommt vielmehr auf die Nutzung des Werkes an, die den Werkgenuss überhaupt erst ermöglicht. Und wie ist es mit Nutzungen in der Privatsphäre? Diese fallen zumeist ebenfalls nicht unter die Verwertungsrechte des Urhebers. Alle unkörperlichen Verwertungsrechte setzen voraus, dass das Werk in der Öffentlichkeit wiedergegeben wird. Aber auch das körperliche Verbreitungsrecht ist nur betroffen, wenn ein Werk der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht wird. Eine Ausnahme macht hier das Vervielfältigungsrecht, grundsätzlich fallen auch Vervielfältigungen im privaten Bereich unter dieses Recht. Dass sie als „Privatkopien“ dennoch vielfach gesetzlich erlaubt sind, steht auf einem anderen Blatt – und in einem anderen Paragrafen des Urheberrechtsgesetzes.

 

Umstritten kann allerdings sein, wann eine Nutzung öffentlich ist. Das Gesetz geht von „Öffentlichkeit“ aus, wenn das Werk für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, die nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind. Die Vorführung eines Films im Kino ist demnach öffentlich, die Aufführung einer Beethoven-Sinfonie in der Philharmonie ebenfalls; die Wiedergabe von Tanzmusik während einer Hochzeitsfeier dagegen nicht. Auch Vorlesungen an Universitäten sind öffentlich, während die Frage der Öffentlichkeit bei der Wiedergabe von Werken innerhalb einer Schulklasse unterschiedlich beurteilt wird.

 

Nicht einfacher geworden ist die Sache durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der sich in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Entscheidungen mit dem Begriff der öffentlichen Wiedergabe befasst hat. Dazu war das Gericht berufen, weil auch das europäische Recht, vor allem die Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft aus dem Jahr 2001, wichtige Verwertungsrechte, wie das Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung vorsieht. Die Rechtsprechung des EuGH stimmte dabei mit dem früheren Verständnis im deutschen Recht nicht immer überein, ihr kommt aber Vorrang zu. So hat der EuGH beispielsweise vor einigen Jahren verneint, dass Hintergrundmusik in den Warteräumen einer Zahnarztpraxis als öffentliche Wiedergabe einzustufen ist. Das war von deutschen Gerichten zuvor noch ganz anders beurteilt worden.

 

Verwertungsrechte knüpfen an bestimmte Technologien an. Da sich diese ständig fortentwickeln, muss sichergestellt werden, dass auch bei neuen Nutzungsformen die angemessene Vergütung der Urheber und sonstigen Rechteinhaber durch das Urheberrecht gewährleistet ist. Hier hat die Digitalisierung das Urheberrecht auf eine Bewährungsprobe gestellt, die noch nicht ausgestanden ist. Zwar wurde mit der Einführung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung explizit ein „Internet“-Verwertungsrecht geschaffen. Wer ein Werk im Netz „hochlädt“, macht es damit öffentlich zugänglich und bedarf regelmäßig der Erlaubnis des Urhebers. Wie verhält es sich aber bei Nutzungsformen wie dem Setzen eines Links oder der Technik des „Framing“? Was ist mit E-Lending, also dem „Ausleihen“ von E-Books, und dem „Verkauf“ von gebrauchten E-Books? Und was dürfen Plattformen wie YouTube oder Facebook? Darauf wird im nächsten Beitrag eingegangen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Robert Staats
Robert Staats ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG Wort und Vorsitzender des Fachausschusses Urheberrecht des Deutschen Kulturrates.
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