Versöhnung?

Deutsch-namibische Verständigung

Am 1. Dezember 2021 wurde die Sitzungsperiode des namibischen Parlaments für das Jahr beendet. Damit war auch die teilweise stürmische Aussprache zum deutsch-namibischen „Versöhnungsabkommen“ offiziell abgeschlossen. Die so titulierte, im Mai 2021 paraphierte gemeinsame Erklärung zweier Sonderbeauftragter, war Ergebnis bilateraler Verhandlungen. Diese folgten ab Ende 2015 dem Eingeständnis der deutschen Seite, dass in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein Völkermord verübt wurde. Doch jenseits der regierenden ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO, die fast zwei Drittel der Sitze hält, wurde die Vereinbarung in der parlamentarischen Debatte einhellig abgelehnt.

 

In der abschließenden Rede versicherte Verteidigungsminister Frans Kapofi, der im September namens der Regierung die Aussprache eröffnet hatte, dass die vorgetragenen Positionen zur Kenntnis genommen würden. Er wies darauf hin, dass – entgegen des ursprünglichen Eindrucks – die Debatte keine Abstimmung über die Annahme bzw. Ablehnung der Erklärung zum Ziel gehabt hätte. Die Opposition wertete dies als einen Rückzieher. Nunmehr erklärte Kapofi dies zu einem konsultativen Akt der Regierung, andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

 

Viele der vorgebrachten Kritikpunkte wies er jedoch zurück. Hingegen würdigte er das mit der Erklärung Erreichte als Erfolg der Regierung. Zugleich räumte er weiteren Verhandlungsbedarf ein. Nachbesserungen hinsichtlich der vereinbarten materiellen Kompensationsleistungen seien erforderlich, um eine größere Akzeptanz im Lande zu sichern. Kapofi bekräftigte damit die parlamentarische Erklärung der Premierministerin vom 30. November, dass die Regierung weitere Gespräche mit der deutschen Seite führen würde. Im Falle einer Einigung, würde die nachgebesserte Erklärung im Parlament zum Zwecke der Ratifizierung diskutiert.

 

Er warnte davor, die Verhandlungen abzubrechen. Es gäbe keine Garantie, so Kapofi, dass die deutsche Seite bereit und willens sei, ganz neue Verhandlungen zu beginnen. Hier zeichnet sich eine Diskrepanz nicht nur hinsichtlich der gravierenden Unterschiede in der Beurteilung des paraphierten Abkommens innerhalb der namibischen Gesellschaft ab. „Die Verhandlungen sind abgeschlossen“, hat der deutsche Sonderbeauftragte Ruprecht Polenz seit der Paraphierung mehrfach kategorisch erklärt.

Nachbesserungen welcher Art auch immer schließt dies aus.

 

Die Regierung Namibias scheint jedoch mit der Erwartung in das Jahr 2022 zu gehen, dass es solche Nachbesserungen geben könnte. Es stellt sich somit die Frage, ob unter der neuen Koalitionsregierung in Deutschland mit einer Neubesetzung der Ressorts, zumal in der Außen- und Kulturpolitik, eine flexiblere Haltung greifen wird – eine Frage, die sich bisher nicht beantworten lässt. Aber es lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren, dass selbst im Falle solcher Nachbesserungen viele der tiefsitzenden Ressentiments in Teilen der Bevölkerung Namibias nicht überwunden werden und sich die Akzeptanz des Ausgehandelten nicht entscheidend verbessert.

 

Insbesondere der grundsätzliche Einwand, dass an den Verhandlungen die wesentlichen Vertretungen der vom damaligen Völkermord hauptsächlich betroffenen heutigen Bevölkerungsgruppen – vor allem Ovaherero und Nama, aber auch Damara und San – nicht hinreichend beteiligt wurden, bleibt damit bestehen. Dies verweist zugleich auf den schon vielfach vorgebrachten Hinweis, dass eine tiefgreifende Völkerverständigung im Sinne des Wortes die Verständigung zwischen und auch innerhalb von Völkern erfordert. Es verlangt eine wechselseitige Einlassung auf unterschiedlich erfahrene und – wenn überhaupt – erinnerte Geschichte und deren Auswirkungen in der Gegenwart. Sowohl was den direkten Austausch zwischen den Menschen in Deutschland und Namibia betrifft, aber auch den Austausch innerhalb Deutschlands und innerhalb Namibias über die Folgen des deutschen Kolonialismus in den beiden Gesellschaften.

 

Dass Rassismus und andere Formen heutiger Ausgrenzungen und Diskriminierung ihre Wurzeln auch in der Kolonialgeschichte haben, müsste eigentlich kaum noch betont werden. Dass es gleichermaßen des intensiven Gesprächs auf der Suche nach Verständigung zwischen den Nachkommen einer kolonialen Tätergesellschaft und den Nachfahren der von physischer Vernichtung und Beraubung ihrer herkömmlichen Lebensformen und Existenzgrundlagen kolonisierten Gemeinschaften bedarf, steht ebenso außer Frage. Verhandlungen und Vereinbarungen auf Regierungsebene können dabei eine wichtige Rolle als Katalysator erfüllen, ja notwendige Voraussetzung sein. Aber sie genügen nicht. Auch die deutsch-französische, die deutsch-polnische und andere Initiativen zur Schaffung und Vertiefung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Völkern waren auf die alltägliche Interaktion der Menschen aus und in diesen Ländern angewiesen. Deswegen muss es verwundern, dass im Rahmen der Vereinbarung kümmerliche 50 Millionen Euro über eine Laufzeit von 30 Jahren verteilt für eine kulturelle Stiftung bereitgestellt werden, um die Verständigung der Völker zu fördern. Allein die jährlichen Unterhaltungskosten für das Humboldt Forum liegen in Berlin deutlich darüber.

 

Mit der Existenz einer namibisch-deutschen Bevölkerungsgruppe in Namibia wird die Notwendigkeit eines solchen Austausches hingegen besonders augenscheinlich. Dass es auch in deren Kreisen (selbst-)kritische Reflektionen zur gemeinsamen Geschichte gibt, zeigt, dass es möglich ist, sich um Verständigung zu bemühen. Aber dies erfordert mehr als nur Lippenbekenntnisse und wohlfeile Worte. Insofern ist der mehrfach von Ruprecht Polenz formulierten Einsicht zuzustimmen: „Einen Anspruch auf Versöhnung haben wir nicht.“

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/22.

Henning Melber und Kristin Platt
Henning Melber und Kristin Platt sind Herausgeber des im März bei Brandes & Apsel erscheinenden Bandes „Koloniale Vergangenheit – postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken“.
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