Die Schönheit der Sphex

Bitte hören Sie nicht gleich auf zu lesen, weil ich nicht mit Kultur beginne, sondern mit der Sphex funerarius, einer wunderschönen und äußerst interessanten Grabwespe.

 

In diesem Sommer hatte ich das Glück, diese eigentlich schon seit einigen Jahrzehnten in Berlin als verschollen geltende Wespe im Grunewald einige Tage lang beobachten zu können. Diese Wespe fängt Heuschrecken, paralysiert sie und trägt sie fliegend und hüpfend in ihr vorher gegrabenes Nest ein.

 

Wenn die Sphex genügend Heuschrecken eingetragen hat, legt sie ein Ei auf den gelähmten Tieren ab, verschließt das Nest und fängt bald mit dem Graben eines weiteren Nestes an. Wenn sich das Tier von meinen Beobachtungen gestört fühlte, beschwerte es sich mit einer fast melodischen Lautfolge.

 

Um die Sphex beobachten zu können, lag ich oft stundenlang in einer Sandkuhle. Vorbeilaufende Spaziergänger fragten regelmäßig, ob sie mir helfen könnten. Nachdem ich sie davon überzeugt hatte, dass es mir gut gehe und ich vollkommen freiwillig im Dreck liege, kamen wir regelmäßig über mein seltsames Tun ins Gespräch.

 

Was beobachten Sie, Wespen? Sichtbar schüttelte sich mein Gegenüber vor Angst und Abscheu. Ich erzählte dann von diesen wunderbaren Tieren, ihrer Brutfürsorge, ihrer Ausdauer beim Heuschrecken- transportieren und beim Nestbau. Und danach haben wir fast immer gemeinsam die Schönheit dieser Tiere bewundert.

 

Die Sphex ist wunderschön, dunkelorange und schwarz und teilweise weiß behaart, hat große Fassettenaugen, lange Beine, starke Mundwerkzeuge. Die Schönheit der Natur kann man nur in der Natur beobachten. Und Schönheit zu erkennen, ist eine Kulturtechnik. Ob wir etwas schön finden, unterliegt einer Wertung, die durch gesellschaftliche Konventionen geprägt wird.

 

Immer mehr Umweltschützer verstehen, dass der Schutz der Natur, ohne dass die Menschen sie schön finden, nicht funktionieren kann. Was schön ist, hat unser Interesse, was schön ist, wollen wir erhalten.

 

Insektenarten verlassen in Scharen die Erde, sie sind Vorboten eines fundamentalen Wandels unseres Klimas und des verantwortungslosen Einsatzes von Insektiziden. Wir zerstören die Welt, auf der auch wir leben. Vielleicht wird sich der Mensch anpassen, aber sicher nur unter großen Opfern. Ich glaube, wir sollten das Experiment nicht wagen und endlich anfangen, das zu schützen, was wir schön finden.

 

Fangen wir doch bei den Insekten an, einfach nur weil sie schön sind. Und in den nächsten Sommern kann ich hoffentlich weiter Sphex funerarius beobachten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2019-01/2020.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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