Nichts los am westlichen Ende Europas?

Portugals Kulturlandschaft nach der Krise

 

Der 2016 zum Kulturstaatsminister ernannte Kulturmanager Miguel Honrado hatte nach Beratungen unter anderen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kulturszene das Modell der Kulturförderung in Portugal überarbeitet, das bis heute die Gemüter erhitzt. Es basiert auf der Ausschreibung von Wettbewerben für Kulturförderungen mit einem gestaffelten System von ein-, zwei- und vierjährigen Förderungen sowie einem Punktesystem. Die Bekanntgabe der Ergebnisse führt seit seiner Einführung zu Protesten. Während die einen die Transparenz der Mittelverteilung nach festgelegten Bewertungskriterien loben, kritisieren andere diese Kriterien und sprechen von einem kulturellen Kahlschlag, da der Entzug dieser Förderung auch renommierte Kulturinstitutionen existenziell bedroht.

 

Ein weiteres Grundproblem der portugiesischen Kultur ist die strukturelle Ungleichheit. Zwar steigt die Zahl der Kultureinrichtungen kontinuierlich an, doch ist eine starke Konzentration auf die beiden Metropolen Lissabon und Porto zu verzeichnen. Vor allem das Hinterland ist teilweise abgeschnitten von der kulturellen Grundversorgung. Die Förderung von Kultur in ländlichen Gebieten setzt häufig auf eine Verbindung von Kultur und Tourismus, wie das erfolgreiche Internationale Musikfestival Marvão im östlichen Alentejo und andere gelungene Festivals zeigen. Eine kontinuierliche Förderung von Kulturinstitutionen wie Museen oder gar Theatern ist jedoch eher selten.

 

Entsprechend gehören die Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur in Portugal nach wie vor zu den niedrigsten in Europa und vieles wird künftig davon abhängen, ob Portugal seinen wirtschaftlichen Aufschwung verstärkt für die Kultur nutzen wird und welchen Wert die Entwicklung kultureller Infrastruktur und die Kulturförderung haben werden. Es wäre ein guter Zeitpunkt, denn eine junge, gut ausgebildete und internationale Generation von Kulturschaffenden sowie Künstlerinnen und Künstlern beginnt, die Kultur des Landes zu prägen, gründet Festivals, entwickelt Projekte. Ein Aufbruch, ein Umbruch? Es bleibt abzuwarten, aber zweifellos ist dies eine besonders fruchtbare Zeit für die Arbeit des Goethe-Instituts. War es während der ökonomischen Krise des Landes wichtig, den begonnenen internationalen Austausch auch weiterhin zu unterstützen, so kooperiert das Goethe-Institut heute mit einem immer größer werdenden Netzwerk aus privaten und öffentlichen Kulturinstitutionen und -initiativen, mit denen ein unvergleichbar konstruktiver Austausch möglich ist – und setzt so eine lange Tradition erfolgreicher Kulturarbeit des Instituts in Portugal fort.

 

Gegründet wurde das Institut in der Spätphase des Salazar-Regimes. Dessen Ende hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Kulturarbeit des Goethe-Instituts in Portugal und umgekehrt, war doch die Rolle des Goethe-Instituts vor und nach der portugiesischen Nelkenrevolution von großer Bedeutung für das sich im Umbruch befindende Land. Legendär ist in Portugal bis heute die Arbeit des großen Intellektuellen und Portugal-Kenners Curt Meyer-Clason, der von 1969 bis 1979 das Goethe-Institut leitete, es für die kritische Opposition öffnete und sie mit Kunstschaffenden und Intellektuellen aus Deutschland ins Gespräch brachte.

 

Heute geht es dem Goethe-Institut in Portugal um neue bilaterale und vielfach europäische Projekte und Fragestellungen, wie die Frage des Umgangs mit dem Kolonialismus, der in Portugal ebenso wenig aufgearbeitet wurde wie in Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas. Weitere Themen sind Nachhaltigkeit und Ökologie, Migration, kulturelle Bildung oder ziviles Engagement.

 

Dabei kann sich das Goethe-Institut auch auf das wachsende gegenseitige Interesse stützen. Nach der Krise stand und steht vor allem Berlin bei vielen portugiesischen Künstlerinnen, Künstlern und Intellektuellen weit oben auf der Agenda der Orte, die für ihre Arbeit essenziell sind, und umgekehrt entdecken immer mehr in Deutschland lebende Kunstschaffende die neue Leichtigkeit, Kreativität und Professionalität der portugiesischen Kulturszene.

 

Nichts los am westlichen Ende Europas? Im Gegenteil, es verspricht, spannend zu werden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Susanne Sporrer
Susanne Sporrer leitet das Goethe-Institut Portugal.
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