Nagelprobe Koalitionsverhandlungen

Die Bundestagswahl ist gelaufen. Wie zu erwarten, haben wir keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Die schon am Wahlabend durch die Blume angekündigten Gespräche zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der FDP werden darüber entscheiden, ob die SPD oder die Union den Kanzler stellen wird.

 

Erst die nächsten Wochen werden zeigen, welche Auswirkungen das Bundestagswahlergebnis auf den Kulturbereich hat. Aber man muss kein Prophet sein, um zu befürchten, dass kulturpolitische Fragen die Diskussion um die Regierungsbildung nicht im Kern beschäftigen werden.

Trotzdem kann unsere Forderung nach einer deutlichen Stärkung der Bundeskulturpolitik in der neuen Bundesregierung Wirklichkeit werden. Nicht nur weil SPD und Bündnis 90/Die Grünen sie versprochen haben und mindestens eine dieser beiden Parteien der nächsten Bundesregierung angehören wird, sondern weil die nächste Bundesregierung sehr wahrscheinlich aus drei Parteien bestehen wird und deshalb der altbekannte Regierungszuschnitt obsolet ist.

 

Die Einrichtung eines eigenständigen Bundeskulturministeriums ist in einer Dreierkoalition viel wahrscheinlicher, als sie in einer Zweierkoalition war.

Richtig ist, diese Bundestagswahl macht die Regierungsbildung schwer, aber auch interessant. Natürlich muss in den kommenden Jahren die Klimapolitik ein Schwerpunkt der neuen Regierung sein. Aber genauso gewiss ist, dass die neue Regierung ihre Klimaziele nur erreichen kann, wenn sie es schafft, einen kulturellen Wandel in der Bevölkerung zu befördern. Erfolgreiche Umweltpolitik, davon bin ich fest überzeugt, funktioniert nur in der Kombination mit erfolgreicher Kulturpolitik.

 

Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die neue Regierung eine umfassende Kulturpolitik betreibt. Der Blick muss über das klassische Spielfeld der Bundeskultur hinaus geweitet werden.

 

Aber es geht auch weiterhin um die Setzung der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur. Die ungelöste soziale Frage im Kulturbereich ist durch die Pandemie schmerzhaft sichtbar geworden. Über Kunst und Kultur schöne Reden zu halten, ist einfach, für die Künstlerinnen und Künstler, die Kultureinrichtungen und die Kulturwirtschaft etwas Nachhaltiges auf den Weg zu bringen, ist viel schwerer. Aber daran muss sich die Kulturpolitik in der nächsten Bundesregierung messen lassen.

 

Die Verhandlungen über den zukünftigen Koalitionsvertrag werden die Nagelprobe für den Kulturbereich sein. Hoffen wir, dass die Koalitionäre die Bedeutung der Kultur erkennen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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