Mehr Gameskultur wagen!

Computerspiele und ihre Kultur verständlicher machen

Bewegt man sich durch die Gameskultur, nimmt wie selbstverständlich an der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen und Diskurse teil, gerät schon mal aus dem Blick: Computerspiele und ihre Kultur sind noch lange nicht für alle Menschen selbstverständlich. Es ist also kaum verwunderlich, dass gerade bei ungeübtem Blick von außen meist noch eher die grundlegenden Fragen gestellt werden: Sind Computerspiele gefährlich? Und wenn nicht, können sie uns nutzen? Legitime Fragen, für die es bereits einige Antworten gibt.
Gewalt gehört nach wie vor zu den am kritischsten beäugten Inhalten von Computerspielen. Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Tod, der Verletzlichkeit von Körpern und dem Schrecken des Krieges schon immer Gegenstand der Kultur. Und die heftig geführten Medienwirkungsdebatten um sogenannte „Killerspiele“ – in der Tradition der „Lesesucht“ des 18. Jahrhunderts oder des „Great Comic Book Scare“ der 1950er – werden von der differenzierten und eher entlastenden Studienlage schlicht nicht untermauert.

 

Der materielle Nutzen von Computerspielen liegt hingegen auf der Hand. Mit ihnen werden viele Milliarden Euro umgesetzt, sie schaffen Arbeitsplätze und generieren Steuereinnahmen. Während die gamescom alljährlich Messehallen füllt, drängen sich E-Sport-Fans regelmäßig zu Tausenden in gigantische Stadien. Aber Games sind nicht nur als „Big Business“ nützlich. In Form von sogenannten Serious Games modernisieren sie die Bildung, machen Wissen auf innovative Weise erfahrbar und gewinnen gerade junge Menschen als Zielgruppe zurück.

 

Doch bei all diesen Erwägungen der Risiken und des Nutzens von Computerspielen fällt eine Tatsache zu häufig unter den Tisch: Games sind Kultur. Und Kultur verdient auch dort Aufmerksamkeit, kommt oft erst dort zur vollen Blüte, wo sie sich nicht basaler Kategorien wie „nützlich“ oder „gefährlich“ unterordnen muss. Es ist schlicht ein Ressentiment, dass Computerspiele, wo sie keinen offensichtlichen Gewinn bringen oder nicht zur Gefahr werden, ein trivialer Gegenstand ohne gesellschaftliche oder kulturelle Relevanz sind. Wer so denkt, kennt die Gameskultur nicht.

 

Aller Anfang ist schwer

 

Diese Unkenntnis muss nicht selbstverschuldet oder von Vorurteilen bestimmt sein. Ein Buch aufzuschlagen ist einfach. Computerspiele hingegen mögen zwar häufig wie ein Kinderspiel aussehen, stellen jedoch nicht selten hohe Anforderungen, insbesondere an unerfahrene Nutzerinnen und Nutzer. Komplexe Hardware muss bedient und passende Software im Dickicht des Angebots gefunden werden. Es gilt, unzählige Fachbegriffe und Jargon für Eingeweihte zu verstehen. Und ist ein Spiel endlich gestartet, geht die Herausforderung erst richtig los. Regelsysteme warten auf ihre Entschlüsselung, schnelle Reflexe, Fingerfertigkeit sowie logisches Denken sind im Dauereinsatz, von den epischen Erzählungen, weitläufigen Spielwelten und umfangreichen Figuren-Konstellationen einmal ganz abgesehen. Und dann ist da noch ein Füllhorn aus Subkulturen, Debatten, Vorurteilen und Grenzgängen zum Rest der Kulturfamilie, die das Medium stetig begleiten. Es ist fast wie bei der Reise in ein anderes Land oder dem Lernen einer neuen Sprache. Und passende Reiseführer sind noch rar gesät und selten griffbereit. Im Folgenden sollen daher zumindest ein paar Schlaglichter und Einstiegspunkte geboten werden, die einen ersten Einblick darin geben, was die Gameskultur tatsächlich zu bieten hat.

 

Computerspiel-Kulturgeschichte

 

Was heute als Gameskultur bezeichnet wird, ist – wie alle kulturellen Ausdrucksformen – über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen. Computerspiele lassen sich dabei in eine Tradition mit anderen Formen des Spielens setzen und sind doch in ihren digitalen Eigenarten beispielsweise vom Brettspiel zu unterscheiden. Die Kulturgeschichte des Spielens, die viele Tausend Jahre zurückreicht, zeigt jedoch, dass das Spielen zu Zwecken des Ausprobierens, Lernens, aber auch einfach nur Steigerung des eigenen Wohlbefindens zum Menschsein dazugehört – wir sind der „Homo Ludens“, wie der Kulturanthropologe Johan Huizinga festgehalten hat.

 

Und wie der Mensch sich seit jeher Spielzeuge hergestellt hat, um auf verschiedene Arten spielen zu können, entstand Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Computerspiel ein neues Spielzeug. Dessen Genese war bisher vor allem eine Geschichte des technologischen Fortschritts und experimentierfreudiger Männer, die Labortechnik und Großcomputer zweckentfremdeten und damit die ersten Games erschufen. Zunehmend zeigt sich allerdings, dass eine deutlich diversere Computerspielgeschichte geschrieben werden muss, die etwa berücksichtigt, dass Programmieren lange Zeit als eher weiblicher Beruf galt und erst im ausgehenden 20. Jahrhundert zur Männerdomäne wurde.

 

Über eine konkrete Geschichte der Computerspiele hinaus, stellen sich Forscherinnen und Forscher auch Fragen danach, was das Besondere an den digitalen Spielen sein mag, was ihre Faszination ausmacht und was sie von anderen, analogen Spielen unterscheidet. Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen ist eine eigene Forschungsrichtung entstanden, die Game Studies, die sich um die Wende zum 21. Jahrhundert institutionalisiert hat und Computerspiele in ihrer Bedeutung und Beschaffenheit als Kulturgegenstände erforscht.

Christian Huberts & Felix Zimmermann
Christian Huberts ist freiberuflicher Kulturwissenschaftler und Experte für digitale Spielkultur. Felix Zimmermann ist Public Historian und Stipendiat der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne an der Universität zu Köln.
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