„Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kultur im Ministeriumszuschnitt aufgewertet wird“

Robert Habeck im Gespräch

Künstler weisen darauf hin, dass auch die nun verlangten Nachweise bzw. Inanspruchnahme von Grundsicherung zur Folge haben können, dass sie z. B. aus der Künstlersozialkasse rausfliegen, weswegen diese Hilfsmöglichkeiten in Wahrheit gar keine Option seien?

Das ist so. Zwar gibt es derzeit einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung. Vermögen wird nicht geprüft. Miete wird als angemessen anerkannt. Aber schon auf Hartz IV angewiesen zu sein, löst bei den Menschen etwas aus. Ein Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil sie „nichts tun“ – obwohl sie ja gerade nicht arbeiten dürfen. Die Logik bei Hartz IV, dass man letztlich doch Bedürftigkeit nachweisen muss, passt einfach nicht zur jetzigen Situation.

 

Der Kulturbereich ist der erste, der in der Krise dichtgemacht wurde, und wird der letzte sein, der wieder aufmacht, sagten Sie vor Kurzem. Wie viele der eine Million Arbeitsplätze in diesem Bereich sind ernsthaft bedroht?

Das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Aber was ich persönlich im Freundes- und Bekanntenkreis höre, gibt einen Eindruck, es droht ein kultureller Kahlschlag. Es ist zu befürchten, dass Clubs und kulturelle Räume, die jetzt geschlossen haben, nie wieder aufmachen werden. Die Unterstützung für den Kunst- und Kulturbereich bleibt deutlich unter dem, was andere Branchen bekommen. Das lässt sich auch an der Struktur der Hilfen erkennen: In anderen Branchen werden bis zu 75 Prozent der ausgefallenen Gelder zugesagt – bei Soloselbständigen mit den Neustarthilfen sind es 25 Prozent, maximal 5.000 Euro. Wenn jemand als Musikerin auf Hochzeiten spielt, nun aber keine Hochzeitsfeiern mehr stattfinden dürfen, geht sie notgedrungen in einen anderen Beruf, wenn sie denn einen anderen gelernt hat. Wenn irgendwann wieder Hochzeiten mit Musik und Tanz erlaubt sind: Wäre sie dann bereit oder auch nur in der Lage, hier wieder anzufangen? Es ist völlig unklar, wer nach der Pandemie überhaupt noch kulturelle Leistungen erbringen kann.

 

Kultureinrichtungen wie Kinos oder Theater beklagen, dass sie geschlossen bleiben müssen, obwohl sie Hygienekonzepte erarbeitet und auch technisch installiert haben. Ist das verhältnismäßig, oder plädieren Sie für Lockerungen, wo es tragfähige Konzepte gibt?

Es ist ein Strategiewechsel gegenüber dem Sommer, als gesagt wurde: Wo es Konzepte gibt, kann gespielt werden. Der Grund für den Strategiewechsel ist, dass bei Ansteckungsrisiken noch immer zu wenig Wissen da ist, wo die Ansteckungen tatsächlich stattfinden. Es ist nur klar: Die Zahlen müssen runter, irgendwie. Das ist nicht befriedigend, aber im Augenblick ist die Lage einfach so angespannt, dass ich den Kurs notgedrungen mittrage, auch wenn der Kulturbereich als erster davon betroffen ist. Ich hoffe aber sehr, dass die jetzigen Beschränkungen wirken und dass wir in absehbarer Zeit wieder über Lockerungen sprechen können. Da könnte man schrittweise vorgehen: In Regionen mit geringem Infektionsgeschehen kann man gerade für lokale Veranstaltungen eher lockern als in Hotspots.

 

Wie wollen Bündnis 90/Die Grünen Kultur in der kommenden Legislaturperiode fördern? Was wird auf der Agenda stehen?

Die nächste Legislatur beginnt ab September 2021. Ich denke, wir werden dann noch extrem mit den Auswirkungen von Corona zu tun haben. Im besten Fall haben wir es dann mit Wiederaufbauarbeit zu tun. Für die kulturellen Räume ist sicher ein Investitionsprogramm nötig, das die freien Spielstätten und Theater sichert oder auch leer stehende Gebäude für kulturelle Nutzung zur Verfügung stellt. Zum anderen wird es um die bessere Absicherung von Kulturschaffenden gehen.

Meiner Ansicht nach ist es nicht so kompliziert, neben der Renten- und Krankenversicherung, die ja für Kulturschaffende offen ist, auch eine Säule für die Arbeitslosenversicherung aufzubauen.

Kultur ist nicht nur etwas, was Spaß macht, sondern sie schafft die Räume und Diskurse, in denen eine Gesellschaft sich über sich selbst verständigt. Deswegen meine ich, dass das auch institutionell auf Bundesebene geändert werden muss. Mir scheint, dass die Anbindung im Kanzleramt nicht genug Kraft entfaltet hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kultur im Ministeriumszuschnitt aufgewertet wird, mit einem eigenen Budget und Portfolio.

 

Also ein Bundeskulturministerium?

Es muss nicht ein Ministerium allein für Kultur sein. Man kann das kombinieren mit anderen Bereichen. Aber eine originäre Zuständigkeit und eine eigene Verantwortung, mit einer Ministerin oder einem Minister, die auch als solche agieren können. Das würde die Kulturarbeit deutlich stärken.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Robert Habeck & Hans Jessen
Robert Habeck ist Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Hans Jessen ist freier Publizist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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