Für eine zeitgemäße Politik

Mehr Kooperation statt Ressortdenken

Der Zuständigkeitsdschungel in Deutschland, beispielsweise unterschiedliche Schulregelungen in den einzelnen Bundesländern, wird oft beklagt. Nicht zuletzt die aktuelle Pandemie verdeutlicht die Schwierigkeiten, komplexe gesellschaftliche Herausforderungen innerhalb von Einzelzuständigkeiten zu regeln – sei es Gebietskörperschaften oder Ressorts. Nehmen wir das jüngst diskutierte Beherbergungsverbot, das kaum kompatibel ist mit den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen an Mobilität, beispielsweise der Vielzahl an Pendlern. Warum kann ein Bonner, der in Köln in einem Risikogebiet arbeitet, aufgrund seines Wohnsitzes eine Fachtagung in Hamburg besuchen? Während sein Kollege, der in Köln lebt, dies nicht kann? Beide nutzen den Kölner ÖPNV, dieselbe Kantine etc. Sicher, die Situation in den einzelnen Bundesländern und Kommunen ist aktuell, bezogen auf den Gefährdungsgrad der Pandemie, unterschiedlich und die Verantwortung liegt bei den jeweiligen Gebietskörperschaften. Dennoch müsste es denkbar sein, gemeinsam Wenn-dann-Szenarien in Zusammenarbeit mit Bund, Ländern und Kommunen für unterschiedliche Szenarien zu erarbeiten, die regelmäßig den Gegebenheiten angepasst und die zugleich den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht werden.

 

Nehmen wir das Beispiel Bildungslandschaften. Im Fokus steht hier die gemeinsame Verantwortungsübernahme für die Bildungsbiografie der Heranwachsenden. Politisch splitten sich die Zuständigkeiten für diese Bildungsbiografie kommunal wie landesweit in verschiedene Ressorts auf, so Bildung, Kultur, Jugend oder Soziales. Programme werden oft nur aus der Logik dieser Zuständigkeiten und nicht der Logik der Heranwachsenden heraus entwickelt – mit wenigen Ausnahmen. Eine ist die Arbeitsstelle Kulturelle Bildung NRW, in der, bezogen auf kulturelle Bildung, die Ressorts Kultur, Schule und Jugend in Kooperation mit einem zivilgesellschaftlichen Träger zusammenarbeiten. Kulturelle Bildung als Querschnittsthema verschiedener Ressorts ist ein Beispiel dafür, wie dieses bei konkreten politischen Maßnahmen, wie den aktuellen Corona-Rettungsschirmen, schnell unter den Tisch fällt. Gleiches kann für einzelne Kulturbranchen beobachtet werden, die mit ihren spezifischen Bedingungen aufgrund fehlender Zuständigkeiten weder im Ressort Kultur noch Wirtschaft mitgedacht werden.

 

Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Komplexität stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit ressortspezifischer politischer Entscheidungen. Wäre es nicht sinnvoller, Expertise und Verantwortung themenspezifisch und flexibel in gebietskörper- und ressortübergreifenden Clustern zu bündeln?

 

Dies würde zugleich eine Trendwende in der Politikverwaltung bedeuten, die im Zuge der Ökonomisierung zunehmend auf verwaltungstechnische Vorgänge reduziert wurde. War in der Vergangenheit Fachwissen für die Besetzung eines Ressorts vorteilhaft, wurde in den letzten Jahren mit Verweis auf notwendige verwaltungstechnische Fähigkeiten immer häufiger auf Rotationsprinzipien bei der Ressortbesetzung gesetzt. Fachliche Expertise könne von außen kommen. Diese scheinbare, fachliche „Neutralität“ kann auch kritisch gesehen werden. Externe Experten sind auch von Fördermitteln abhängig und die Verantwortung bleibt bei der Politik. Zudem kann Fachwissen in der Politikverwaltung durchaus von Vorteil sein. Denn Verwaltungstätigkeit ist auch ein gestalterischer Prozess. Nicht zuletzt die aktuelle Pandemie hat gezeigt, wie Haushaltsrecht an die besonderen Bedingungen der Pandemie angepasst werden kann, sind diese bekannt und nachvollziehbar. Daher ein Plädoyer, Fachlichkeit in der Politikverwaltung wieder stärker zu fördern und zugleich gebiets- und ressortübergreifendes Denken zugunsten themenbezogener Kooperationen aufzubrechen!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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