Es war ein Paukenschlag, als im Sommer 2016 die Studie »Frauen in Kultur und Medien« des Deutschen Kulturrates veröffentlicht wurde. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte zur Vorstellung der Studie in das Bundeskanzleramt geladen und nach der Datenpräsentation spontan angekündigt, einen Dialogprozess zu dem Thema zu starten, der anschließend als Runder Tisch, moderiert von der Akademie der Künste, über ein Jahr stattfand. Im Juni 2017 lud Monika Grütters erneut in das Bundeskanzleramt ein und nahm Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in die Pflicht, konkret etwas für mehr Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit zu tun. Sie setzte damit ein klares Signal: Mehr Geschlechtergerechtigkeit ist machbar, und jeder ist gefragt.
Seither hat der Deutsche Kulturrat zwei weitere Studien vorgelegt, in denen er sich vornehmlich mit der wirtschaftlichen Lage, dem Gender-Pay-Gap und der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes Kultur und Medien befasst hat. Jetzt im Oktober ist eine vierte Publikation unter dem Titel »Es geht voran. Sachstand Geschlechtergerechtigkeit im Kulturbereich« erschienen. In dieser Publikation wird sich mit der Präsenz von Frauen in Führungspositionen und der Partizipation an der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung befasst. Der Titel ist durchaus programmatisch zu verstehen: Es geht tatsächlich voran, der Frauenanteil in Führungspositionen ist deutlich angestiegen, und Frauen partizipieren stärker an der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung. Angesichts des hohen Anteils weiblicher Beschäftigter insbesondere in Bibliotheken und Museen kann zwar noch nicht die Rede davon sein, sich gemütlich zurückzulehnen und sich auf dem Erreichten auszuruhen, aber das Erreichte macht Mut, dass mittels gezielter Maßnahmen der Frauenanteil tatsächlich ansteigt. Ähnliches lässt sich auch für die individuelle Künstlerinnen- und Künstlerförderung festhalten. In manchen Bereichen liegt der Frauenanteil an den selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern spürbar über dem derjenigen, die eine Auszeichnung oder Förderung erhalten; gleichwohl haben Frauen deutlich aufgeholt. Letzteres gilt insbesondere für Ehrenpreise bzw. undotierte Ehrungen, die für ein Lebenswerk verliehen werden. Hier waren in der Erstuntersuchung 2016 Frauen in der Minderzahl. Das hat sich geändert, wodurch der Blick auf das Lebenswerk von Frauen in Kultur und Medien gerichtet wird.
Im Buch »Es geht voran. Sachstand Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien« kommen verschiedene Autorinnen und Autoren aus dem Bund, den Ländern, von Förderinstitutionen und auch Verbänden zu Wort. Dadurch wird das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, und verschiedene Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit werden vorgestellt. Eines wird deutlich, an dem Thema kommt niemand mehr vorbei. Seit 2016 hat sich auch die Diskussion um Geschlechter weiterentwickelt. Längst ist es üblich, bei Stellenausschreibungen neben männlichen und weiblichen auch Personen anzusprechen, die diesen beiden Kategorien nicht zuzuordnen sind. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass sie in der Statistik unzureichend abgebildet sind oder statistisch eine so kleine Gruppe stellen, dass valide Aussagen kaum möglich sind. Es wurde daher in dem Buch dabeigeblieben, dass bei den Datenauswertungen auf die Geschlechter »weiblich« und »männlich« Bezug genommen wird.
Nachfolgend sollen wesentliche Ergebnisse, kurz zusammengefasst, präsentiert werden:
- Der Frauenanteil in kulturpolitischen Gremien ist gestiegen.
- Bei der Besetzung von Führungspositionen im Kulturbereich durch den Bund oder die Länder finden die Vorgaben der Gleichstellungsgesetze Anwendung; einige legen ein besonderes Augenmerk darauf, Frauen für Führungspositionen zu gewinnen.
- Hinsichtlich der Vergabe von Stipendien und anderer Maßnahmen der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung wird bei der Besetzung von Jurys auf Diversität und Geschlechterparität geachtet, reine »Männergremien« bilden die Ausnahme.
- Alle Bundeskulturfonds haben das Thema Geschlechtergerechtigkeit sowohl mit Blick auf die Jurys als auch die Vergaben im Blick.
- Teilweise bewerben sich mehr Frauen als Männer für Stipendien und andere Formen der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung; dies spiegelt sich in den Vergaben wider.
- Auch wenn noch nicht in allen Bereichen von Geschlechtergerechtigkeit oder Parität zwischen Männern und Frauen gesprochen werden kann, ist deutlich zu erkennen, dass gerade mit Blick auf die individuelle Künstlerinnen- und Künstlerförderung sowie insbesondere Ehrungen Frauen mehr partizipieren als noch vor zehn Jahren.
- Der Frauenanteil in Leitungsfunktionen in Bibliotheken, Museen und Theatern ist seit 2014 angestiegen.
- Staats-, Landes-, Zentral und Universitätsbibliotheken werden zu 47 Prozent von Frauen geleitet.
- In Kunstmuseen, Gedenkstätten, Fachmuseen ist der Frauenanteil bei den Leitungen auf rund 40 Prozent angestiegen.
- Operndirektionen werden zu 44 Prozent von Frauen, Schauspieldirektionen zu 47 Prozent und Verwaltungsdirektionen zu 40 Prozent von Frauen geleitet.
- Nachholbedarf besteht bei den Intendanzen bzw. Generalintendanzen, hier beträgt der Frauenanteil rund ein Viertel.
- Mit der Lupe müssen nach wie die Generalmusikdirektorinnen gesucht werden.
- In den Verbänden werden Fragen der Personalentwicklung mit Blick auf Diversität und Geschlechtergerechtigkeit reflektiert und Maßnahmen ergriffen.
- Vom Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrats profitieren sowohl Mentees als auch Mentorinnen und Mentoren, diverse Mentees konnten ihre berufliche Position verbessern.
- In kulturwirtschaftlichen Branchen, in denen Gehälter wie auch Honorare frei verhandelt werden, ist der Gender-Pay-Gap nach wie vor sehr hoch.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich ziehen, und welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien weitervoranzutreiben? Die nachfolgenden Vorschläge sind unsere persönlichen Auffassungen und keine abgestimmten Positionen des Deutschen Kulturrates.
- Kontinuierliche Berichterstattung: Die kontinuierliche Berichterstattung erlaubt, langfristig Entwicklungen zu beobachten. Nach der Studie »Frauen in Kultur und Medien« im Jahr 2016 konnten mit Blick auf die wirtschaftliche Lage im Arbeitsmarkt Kultur mit »Frauen und Männer im Kulturmarkt« (2023) und »Baustelle Geschlechtergerechtigkeit« zwei Nachfolgeuntersuchungen vorgelegt werden, in denen sich mit dem Frauenanteil in den Kulturberufen sowie mit der Einkommenssituation, hier besonders dem Gender-Pay-Gap, befasst wurde. Hieraus sind inzwischen Datenreihen entstanden, die fortgeführt werden sollten, um so Langzeitbetrachtungen zu ermöglichen. Im aktuellen Band wird nach 2016 erstmals wieder die Partizipation von Frauen an der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung sowie der Frauenanteil in Führungspositionen betrachtet. Durch diese Untersuchung konnten Daten fortgeschrieben werden, so dass sukzessive auch hier eine Langzeitbetrachtung entstehen kann. Da insbesondere bei Führungspositionen in öffentlichen Kultureinrichtungen keine so große Fluktuation besteht, hat sich der Zeitabstand als sinnvoll erwiesen. Wichtig wäre allerdings, in den kommenden Jahren die Berichterstattung fortzuführen, damit kein Datenabriss entsteht.
- Bestehende Statistiken verbessern: Zu Theatern, Bibliotheken und Museen erschienen jährlich Statistiken zu wirtschaftlichen Daten, zu Besucher- oder Nutzerzahlen usw. Leider werden Daten zum Personal teilweise gar nicht oder wenig differenziert erhoben. Wenn die ohnehin erhobenen Daten um eine weitere Kategorie Personal ergänzt würden, stünden jährlich Daten zum Personalbestand zur Verfügung. Diese Daten sollten geschlechtsspezifisch ausgewiesen werden.
- Frauen fördern: Auch wenn mehr Frauen Führungspositionen im Kulturbereich innehaben, als es noch vor zehn oder zwanzig Jahren der Fall war, besteht weiterhin Luft nach oben. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in einigen Arbeitsbereichen Frauen die Mehrzahl der Beschäftigten stellen. Es gilt also nach wie vor, qualifizierte Frauen zu fördern. Hierzu leisten unterschiedliche Mentoring-Programme einen wichtigen Beitrag. Wichtig bleibt die Frage, wie Familie und Beruf besser vereinbart werden können – ein Thema, das Frauen und Männer gleichermaßen betreffen sollte. In den Bereichen, in denen Frauen besonders selten eine Spitzenposition haben, sollten bereichsspezifische Maßnahmen ergriffen werden, um qualifizierte Frauen auf ihrem Weg an die Spitze zu unterstützen. Dabei sollte insbesondere der Musikbereich in den Fokus genommen werden.
- Diskussion fortführen: In vielen Verbänden und Organisationen finden intensive Diskussionen dazu statt, welche Veränderungen gerade auch mit Blick auf Personal, Führungsstrukturen und die innerbetriebliche Zusammenarbeit von Nöten sind. Diese Diskussionen sollten fortgeführt und die positiven Beispiele herausgestellt werden. Gute Beispiele können als Ansporn und als Vorbild dienen oder ggfs. adaptiert werden. Diverse Zusammenschlüsse wurden in den letzten Jahren von Frauen aus dem Kultur- und Medienbereich gegründet, um sich auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen oder auf Missstände – oftmals datenbasiert – aufmerksam zu machen. Die Mehrzahl dieser Zusammenschlüsse beruht auf ehrenamtlichem Engagement, was mitunter an die Belastungsgrenze der Engagierten führen kann. Eine stärkere finanzielle Unterstützung der Zusammenschlüsse könnte Synergien schaffen und damit die Wirksamkeit erhöhen.
- Werke von Frauen zeigen: Auch wenn in dieser Studie die wirtschaftliche Lage von Frauen und Männern im Arbeitsmarkt Kultur nicht im Fokus steht, wird der Gender-Pay-Gap immer wieder thematisiert. Der Gender-Pay-Gap selbstständiger Künstlerinnen ist eng mit dem Gender-Show-Gap verbunden. Wenn Werke von Frauen nicht gezeigt, nicht aufgeführt, nicht besprochen werden, sind sie im Markt nicht präsent. Sie werden weniger gekauft, und damit wird ein geringeres Einkommen erzielt. Wenn Werke nicht oder nur wenig aufgeführt werden, sind sowohl die Tantiemen gering als auch die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften. Das Einkommen aus der künstlerischen Arbeit ist damit geringer als das der Kollegen. Ein wesentlicher Schlüssel zur Überwindung des Gender-Pay-Gaps ist daher eine stärkere Präsenz von Künstlerinnen im Markt und damit ein höheres Einkommen. Hier sind die Kultureinrichtungen, aber auch die kulturverwertenden Unternehmen gefragt. Die Präsentation der Kunst von Frauen muss ebenso selbstverständlich sein wie die der Männer. Es geht nicht um die sprichwörtliche Extrawurst, sondern um gleiche Marktchancen.
