Es muss ein schwerer Schlag gewesen sein, als vor der Parteizentrale der CDU in Berlin und vor der Parteizentrale der CSU in München Tausende Menschen demonstrierten. Die Menschen verliehen bei den Demonstrationen ihrem Entsetzen und ihrer Empörung darüber Ausdruck, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei der Abstimmung über den »Entschließungsantrag zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zu aktuellen innenpolitischen Themen« vom 28.01.2025 (Bundestagsdrucksache 20/14699) bewusst die Stimmen der AfD in Kauf genommen hat. In diesem Entschließungsantrag hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fünf scharfe Forderungen zur Migrationspolitik formuliert, von denen bekannt war, dass die Bundesregierung sie nicht umsetzen würde. Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Deutschen Bundestag war ein Tabubruch von CDU und CSU. Einige Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion blieben bewusst der Abstimmung fern und erklärten dies im Bundestagsprotokoll. Der Wahlkampf tobte. Wieder einmal stand die Migrationspolitik im Mittelpunkt. Der Kanzlerkandidat von CDU und CSU verstieg sich zu der Aussage, dass er am ersten Tag seiner Kanzlerschaft die im Antrag genannten fünf Punkte sofort umsetzen werde.
Klatschende Ohrfeige
Am 23.02.2025 wurde gewählt. CDU und CSU erhielten die Mehrzahl der Stimmen. Ihnen fällt der Auftrag zu, eine Koalition zu bilden, und es wäre der Moment gewesen, andere Töne anzuschlagen. Doch offenbar bestimmte immer noch der Wahlkampf das Geschehen. Am 24.02.2025 richtete die CDU/CSU-Fraktion die Kleine Anfrage an die Bundesregierung »Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen« (Bundestagsdrucksache 20/15035). In 551 teils gleichlautenden Fragen sollte die Bundesregierung über die Förderung, den Status der Gemeinnützigkeit, mögliche Probleme mit dem Finanzamt und die politische Positionierung von Organisationen Auskunft geben. Die Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 20/15101) ist eine klatschende Ohrfeige für die Fragesteller. Nicht nur, dass klargestellt wurde, dass einige der Organisationen, zu denen Fragen gestellt wurden, weder öffentliche Mittel erhalten noch gemeinnützig sind, es wurde auch süffisant darauf verwiesen, dass zahlreiche der erbetenen Auskünfte dem Lobbyregister des Deutschen Bundestags entnommen werden können und andere dem Steuergeheimnis unterliegen, das auch für gemeinnützige Organisationen gilt. Bedeutsam ist vor allem die Vorbemerkung der Bundesregierung. Hier steht: »Der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat lebt von zivilgesellschaftlichem Engagement für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben und dem Einsatz gegen menschen- und demokratiefeindliche Phänomene. Es ist die Verantwortung des Staates, im Rahmen einer wehrhaften Demokratie für den Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten (vgl. BVerfGE 162, 207 <Rn. 116>). Hierzu zählt auch die aktive und passive Förderung bürgerschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Engagements, entweder durch Zuwendungen gemäß der §§ 23, 44 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) und/oder durch Steuerbegünstigung gemäß der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO) (bzw. Regelungen in den Einzelsteuergesetzen). Daher hat die Bundesregierung in den letzten Jahrzehnten – in einem parteiübergreifenden Konsens – zivilgesellschaftliches Engagement unterstützt und gefördert, um zivilgesellschaftliches Engagement für ein vielfältiges und demokratisches Miteinander und die Arbeit gegen Radikalisierungen und Polarisierungen in der Gesellschaft zu stärken. Die Wichtigkeit der Aufgabe, Hass und Hetze entgegenzutreten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stärken, wurde auch im Deutschen Bundestag immer wieder hervorgehoben.«
Zusammenhalt der Zivilgesellschaft
Besonders wichtig ist aus zivilgesellschaftlicher Sicht der Zusammenhalt der Akteure. Sie haben sich eben nicht spalten lassen. Sie sind der in der Kleinen Anfrage stetig durchscheinenden Unterscheidung zwischen »gutem« helfendem Engagement etwa der Tafeln oder Wohlfahrtsverbände, namentlich wurde das Rote Kreuz genannt, und »bösem« politischen Engagement klar entgegengetreten. Der Vorsitzende von Tafel Deutschland Andreas Steppuhn sagte: »Die 551 Fragen zeigen ein falsches Verständnis der Arbeit gemeinnütziger und zivilgesellschaftlicher Organisationen. NGOs stärken eine demokratische, gerechte Gesellschaft und setzen sich für eine Vielfalt von Themen ein, die im parteipolitischen Raum oft zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Wir sprechen den betroffenen Organisationen und Initiativen unsere Solidarität aus«. Weiter forderte Steppuhn Maßnahmen zur Umsetzung sozialer Gerechtigkeit und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte im März zu einem Online-Gespräch zu zivilgesellschaftlichen Fragen breit eingeladen. An diesem Gespräch nahmen mehr als 60 sehr unterschiedliche Verbände und Organisationen teil, vom Deutschen Bauernverband über den Deutschen Olympischen Sportbund, den Deutschen Bundesjugendring, den Weltladen-Bundesverband, den Deutschen Kulturrat bis hin zum Bund der Vertriebenen. Diese breite Einladungspraxis jenseits von Lagerdenken erfuhr große Wertschätzung.
Parteilich, nicht parteipolitisch
Von den Teilnehmenden wurde unterstrichen, dass sie nicht parteipolitisch, aber sehr wohl parteilich agieren. Sie ergreifen Partei für die Menschen, die sie vertreten und aktivieren deren Interessen. Das Böckenförde-Diktum, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, wurde von verschiedenen Teilnehmenden angeführt.
Es wurde zugleich Kritik an der letzten Bundesregierung und an Bündnis 90/Die Grünen geübt, dass oftmals nur wenig Zeit eingeräumt wurde, um zu Gesetzesvorhaben Stellung zu nehmen. Diese knappen Fristen machen, so die einhellige Meinung, eine fundierte Positionierung von Verbänden unter Einbeziehung der gewählten Gremien kaum möglich. Bedauert wurde, dass die Änderung der Abgabenordnung halbherzig und dass das Demokratiefördergesetz erneut auf der Strecke blieb. Schon in der 19. Wahlperiode sollte ein solches Gesetz auf den Weg gebracht werden und fiel der Diskontinuität anheim, in der 20. Wahlperiode ist wieder Fehlanzeige zu vermelden.
Einschüchterung
Nachdrücklich bedauert wurde und auf wenig Verständnis stieß, dass die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen ähnlichen Duktus hatte wie Anfragen von AfD-Landtags- oder Stadtratsfraktionen, in denen bei missliebigen Vereinen die Gemeinnützigkeit in Frage gestellt wird. Auch wurde berichtet, dass von Seiten der Finanzverwaltung bei Neuerrichtungen von Vereinen deutlich schärfer geprüft wird, ob sich auch gelegentlich politisch im Sinne der Interessenvertretung betätigt wird. Mancherorts wird ein Klima der Angst und Einschüchterung verbreitet, was es Vereinen noch zusätzlich erschwert, Vereinsvorstände zu finden.
Wertschätzung wird gebraucht
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind für unser Gemeinwesen unverzichtbar. Ohne das bürgerschaftliche Engagement von Millionen Menschen gäbe es keine Freiwillige Feuerwehr, keine Sportvereine, keine Amateurorchester oder -chöre, keine Kunstvereine, keine Fördervereine für Kultureinrichtungen und so weiter und so fort.
Vor gut 25 Jahren beendete die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« ihre Arbeit. Im Abschlussbericht wurde die Vielfalt des bürgerschaftlichen Engagements unterstrichen und es wurde ein Schlussstrich gezogen unter die Unterscheidung zwischen dem vermeintlich unpolitisch helfenden Ehrenamt und dem politischen zivilgesellschaftlichen Engagement. Beides ist im bürgerschaftlichen Engagement vereint. Vereine, Netzwerke, Stiftungen und andere Zusammenschlüsse sind Themenanwälte, sie setzen sich gegen Missstände im Kleinen und im Großen ein, sie legen Hand an, wenn es darum geht, das Zusammenleben zu gestalten. Vereine und Netzwerke bieten die Gelegenheit sich auszutauschen. Sie sind lebendige Orte der Demokratie, der Auseinandersetzung und der fortlaufenden Kompromisssuche. Die Bürgerinnen und Bürger setzen hierfür ihre Zeit und ihr Geld ein. Ohne dieses Engagement würde das Gemeinwesen nicht funktionieren.
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigen, dass sie sich nicht spalten lassen. Die demokratische Zivilgesellschaft steht zusammen. Es ist Aufgabe der Politik, ihr Raum zu geben, zuzuhören und die Rahmenbedingungen für ihre Entfaltung bestmöglich zu gestalten.