Weniger Schwarz-Weiß-Denken

Grau

Meine politische Lieblingsfarbe ist Grau, nicht Weiß, nicht Schwarz, sondern ein schillerndes Grau mit vielen Nuancen. Fast nie sind politische Entscheidungen so eindeutig, wie uns die Politik es gerne weismachen will. Schon gar nicht sind politische Entscheidungen »alternativlos«.

In den letzten Jahren, beschleunigt in der Zeit der Pandemie, hat sich ein Schwarz-Weiß-Denken in der Politik, aber auch in der Gesellschaft breitgemacht, das jetzt an den Grundfesten der Demokratie rüttelt.

 

Größter Profiteur dieser Entwicklung ist die extreme Rechte in unserem Land. Dass in Deutschland eine politische Kraft von der Massendeportation von Menschen mit Migrationsgeschichte schwadroniert, zeigt, dass das Schwarz-Weiß-Denken das Undenkbare wieder denkbar gemacht hat.

Doch nicht nur der rechtsextreme Rand hat sich das Verschwinden des Grau in der Politik zu eigen gemacht. Auch in der alltäglichen Arbeit mit manchen Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung zeigt sich das Schwarz-Weiß-Denken deutlich.

 

Kleinste Kritik an der Arbeit wird nicht akzeptiert. Entweder, du bist mein Freund und findest alles gut, was ich mache, oder du bist mein Feind. Grautöne? Fehlanzeige!

Doch nicht nur in der Politik, auch in Verbänden und Organisationen wird oftmals das Schwarz oder Weiß dem Grau vorgezogen. Wer sich mit seinem Vorschlag nicht hundertprozentig durchsetzt, ist bitter enttäuscht. Wer die unterschiedlichen Facetten und Perspektiven eines Problems aufzeigt, ist uneindeutig.

Jetzt stehen wir vor einem schicksalhaften Wahljahr: die Europawahl, neun Kommunalwahlen und drei Landtagswahlen. Wir müssen uns gemeinsam der extremen Rechten entgegenstellen.

 

Das wird aber nicht gelingen, wenn wir die Fragen der Menschen, auch derer, die die AfD wählen wollen, nicht ernst nehmen. Dazu gehört, einzugestehen, dass es eben keine einfachen Schwarz-Weiß-Antworten gibt. Politik ist die wertegeleitete Gestaltung des Gemeinwesens. Sie muss in ihrer Komplexität permanent erläutert und der Kompromiss als etwas Positives dargestellt werden.

 

Der größte Feind zur Darstellung der Komplexität von Politik sind in unseren Tagen die sozialen Medien. Sie haben das Schwarz-Weiß-Denken zum Prinzip gemacht.

 

Lassen Sie uns trotzdem gemeinsam versuchen, wieder mehr Grau in unsere politische Arbeit zu bringen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2024.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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