Back to the roots?

Bildung in der Krise

UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor einer Katastrophe in der Bildung einer ganzen Generation. Wenn Schulen nicht öffnen würden, könnte unermessliches Potenzial vergeudet, der Fortschritt von Jahrzehnten untergraben und Ungleichheiten vertieft werden.

 

Aber nehmen wir nicht schon seit längerer Zeit mit der Ökonomisierung von Bildung Katastrophen für nachkommende Generationen in Kauf? Und ist Corona auch hier nur ein Brennglas für bestehende Missstände? Ein Treiber der Ökonomisierung von Bildung ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die sich vor allem den Zielen, optimale Wirtschaftsentwicklung, Wirtschaftswachstum und Ausweitung des Welthandels verpflichtet sieht. Sie verantwortet die PISA-Tests, die Leistung von Schülern weltweit vergleicht. Grundlage hierfür sind Kompetenzmodelle, die handlungsorientiert sind, eine ökonomische Output-Steuerung, die den Bildungsprozess vom Ende her denkt. Musik- oder Kunstunterricht scheinen dabei wirtschaftlich nicht relevant, da die OECD hierfür bisher keine Tests entwickelt hat. Auch erstaunen einzelne Rückschlüsse aus den PISA-Tests, beispielsweise dass das Lernen in kleineren Klassen durch die vorliegende empirische Evidenz der PISA-Studie nicht systematisch gestützt werden könne.

 

Internationale Rankings der OECD um die höchsten Akademikerquoten haben mit dazu beigetragen, dass Errungenschaften wie das duale Ausbildungssystem vernachlässigt wurden, und stattdessen im Kontext des Bologna-Prozesses zweistufige berufsqualifizierende Studienabschlüsse (Bachelor und Master) an Hochschulen etabliert und auf ihre Beschäftigungsfähigkeit am Arbeitsmarkt ausgerichtet wurden. Dies hat auch im Kulturbereich zu seltsamen Auswüchsen geführt, wie die Etablierung von Studiengängen zum Kulturmanager, Kulturvermittler oder jüngst die nichtakademische Ausbildung zum Kulturagenten.

 

Was passiert jedoch mit Kulturmanagern, wenn sich der Kulturbereich künftig wieder weniger an ökonomischen und stattdessen an nachhaltigen Prinzipien orientiert, wie sich aktuell ein Trend abzeichnet? Möglicherweise ist ein Verdienst der Krise, das sie wieder das Bewusstsein gestärkt hat, dass Zukunft nicht vorprogrammierbar ist und Bildung daher nicht vom Ende heraus gedacht werden sollte, da sich gesellschaftliche Bedingungen stetig verändern, wie beispielsweise im Kontext digitaler Technik.

 

Sicher geglaubte Arbeitsbereiche wie Informatik oder Bankwesen werden zunehmend von digitaler Technik ersetzt. Warum also nicht die von der Ökonomie zu „unnützen“ Wissenschaften erklärten Geisteswissenschaften wieder stärken? In der Ausbildung den interpretierbaren Umgang mit Wissen und Logik festigen und für die konkrete berufliche Praxis Weiterbildung nutzen? Denn vier Jahre in ein Hochschulstudium zu investieren, das die Grundlage für eine 40-jährige Berufspraxis bilden soll, ist in einer stark transformierenden Gesellschaft illusorisch.

 

Vielleicht wären die Auswirkungen der Krise gar nicht so fatal, wie António Guterres befürchtet, wenn Bildung humane statt ökonomische Ziele verfolgt hätte. Möglicherweise gäbe es dann kleine Klassengrößen, wo Abstand halten ohne Maskentragen möglich gewesen wäre. Es gäbe kommunale Bildungslandschaften, in denen auch Kultur und kulturelle Bildungseinrichtungen alternative Orte des Lernens gewesen wären, um Abstände zu bewahren. Und statt Kulturmanager gäbe es Fachkräfte, die sich innerhalb obligatorischer Weiterbildung mit digitalen Formaten der Rezeption und Vermittlung auseinandergesetzt hätten, um in der Krise den Kontakt zum Publikum zu halten.

 

Warum also nicht Bildung wieder dem Menschsein, einem humanistischen Weltbild und nicht ökonomischen Belangen oder der Logik digitaler Technik anpassen, denn gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen nicht linear und berechenbar!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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