Im Jahr 1969 verpasste die NPD mit 4,3 Prozent den Einzug in den Deutschen Bundestag. Dies hatte interne Machtkämpfe in der Partei zur Folge, die zu einer Ausdifferenzierung zwischen jenen führte, die das Deutsche Reich fortbestehen lassen wollten und sich am Faschismus orientierten, also den Alten Rechten, und jenen, die sich vom historischen Faschismus absetzten und neue nationale Konzepte in der seinerzeit in Ost und West geteilten Welt einsetzten. Sie fanden sich in der Sammelbewegung Aktion Neue Rechte zusammen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Alten und Neuen Rechten besteht darin, dass die Neuen Rechten immer wieder ihre Verfassungstreue betonen. Sie setzten sich bewusst von der NPD ab, traten nichtsdestotrotz für eine nationale Politik ein. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Neuen und Alten Rechten besteht darin, dass die Alte Rechte an aus dem Faschismus tradierten Konzepten von Rasse und Überlegenheit der sogenannten arischen Rasse festhielt. Wohingegen die Neue Rechte die Theorie des Ethnopluralismus entwickelte.
Was unterscheidet nun die Neue Rechte vom Rechtspopulismus? In der Wissenschaft werden unter Neuen Rechten vor allem die intellektuellen Vordenker dieses politischen Spektrums verstanden. Wohingegen unter Rechtspopulismus das populistische Auftreten von rechten Parteien, speziell der AfD, aber auch der Pegida-Bewegung verstanden wird.
Kernelemente der Rechtspopulisten sind, dass sie sich anmaßen, im Namen des Volkes zu sprechen, dass sie Positionen zuspitzen und in einem engen Schema von „Wir“ und „die Anderen“ denken und agieren. Rechtspopulismus ist also eher ein politisches Vorgehen, das sowohl in der AfD seinen Platz findet als auch bei Pegida und weiteren Ablegern.
Institutionen der Neuen Rechten und AfD
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Neuen Rechten und den rückwärtsgewandten NPD-Funktionären und ihren Anhängern ist in meinen Augen der Bildungsunterschied. Beispielsweise gehörte die NPD lange dem Sächsischen Landtag an. Wenn ich in diesen Landtag zu einer Anhörung zu kulturpolitischen Themen eingeladen wurde, stellte die NPD entweder gar keine Fragen oder sie waren so weit ab vom Thema, dass sich ihre Beantwortung erübrigte. Ganz anders die AfD. Viele der Abgeordneten haben einen akademischen Hintergrund. Viele gehörten vorher anderen Parteien, sehr oft der CDU, an und haben von der politischen Bildung speziell der Konrad-Adenauer-Stiftung profitiert. Sie wissen sich nicht nur sehr gut auszudrücken, sie können ebenso gute Fragen stellen und sind mindestens so aktiv wie andere Fraktionen im parlamentarischen Geschehen.
Bei der AfD im Deutschen Bundestag zeichnet sich dies mit Blick auf die parlamentarischen Anfragen bereits ab. Ich folge damit jenen nicht, die meinen, die AfD könne vernachlässigt werden, da sie sich nicht adäquat am parlamentarischen Geschehen beteiligen würde. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall.
Eine wichtige Denkfabrik der Neuen Rechten ist das bereits im Jahr 1979 gegründete Studienzentrum Weikersheim in Baden-Württemberg. Es wurde vom damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger gegründet. Ziel war, eine christlich-konservative Denkfabrik zu schaffen. Erklärtes Ziel des Studienzentrums Weikersheim ist der attestierten kulturellen Hegemonie des linksliberalen Lagers etwas entgegenzusetzen. Stichworte hierfür sind Schaffung einer geistigen Führungselite, Abkehr von Selbstverwirklichung und die Forderung nach einem Europa der Vaterländer.
Ein weiterer, sehr wichtiger Begriff ist der des Ethnopluralismus. Dieser Begriff wurde ebenfalls bereits in den 1970er Jahren begründet. Er besagt, dass es verschiedene Ethnien gibt, die nebeneinander bestehen und gleichberechtigt sind – das ist eine klare Abkehr vom Rassismus der Alten Rechten. Die Vertreter des Ethnopluralismus sind gleichwohl der Meinung, dass sich die verschiedenen Ethnien nicht mischen dürfen. Eine Art „Rassismus light“, der aber im Kern genauso verachtend gegenüber Menschen anderer Herkunft ist wie der alte Rassismus. D. h. die ablehnende Haltung gegenüber Muslimen oder Flüchtlingen lässt sich mit dem Ethnopluralismus etwas freundlicher begründen, da Muslime nicht als solche abgelehnt werden, aber bitte nicht in Deutschland sein sollten.
Die Identitäre Bewegung, ein Zusammenschluss von jungen Neuen Rechten, vertritt den Ethnopluralismus offensiv. Sie schreibt: „Unter Ethnopluralismus verstehen wir die Vielfalt der Völker, wie sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Wir setzen diesen Begriff bewusst als positiven Gegenentwurf zur heutigen One-World-Doktrin ein, um zu verdeutlichen, dass eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung diese Vielfalt bedroht. Es gibt ein Recht auf Verschiedenheit. Jede Ethnie hat das Recht, ihre Kultur, ihre Bräuche und Traditionen, also ihre ethnokulturelle Identität, zu erhalten.“
Daraus schlussfolgert die Identitäre Bewegung, dass die ethnokulturelle Identität im Grundgesetz festgeschrieben werden soll. Ein Staatsvolk soll als Kultur-, Abstammungs- und Solidargemeinschaft zu verstehen sein, die durch ethnokulturelle Kontinuität bestimmt ist.
Zu den Forderungen der Identitären Bewegung gehört unter anderem: ein „gesundes Verhältnis zu Patriotismus und Heimatliebe“ sowie „echte“ Meinungsfreiheit, ein offenes Bekenntnis zur eigenen Kultur und Tradition und eine identitäre Gegenstimme zur Dominanz der politischen Linken im Kultur- und Medienbetrieb.
Eine der Kampagnen der Identitären Bewegung nennt sich „Für eine Zukunft Europas“. Sie versteht sich als eine Jugendbewegung, die eine patriotische Hoffnung für die Jugend sein will, die ein Bewusstsein für die eigene Identität, Kultur und Tradition hat. Hierzu arbeitet sie mit ähnlichen Organisationen in anderen Ländern zusammen. Das vormals einfache Bild: Die Rechte sei gegen Europa funktioniert hier nicht. Stattdessen wird Europa einerseits schön verpackt und steht als Idee da. Zugleich wird Europa, der europäische Einigungsprozess, das Zusammenwachsen Europas mit der Betonung der jeweils eigenen Identitäten der europäischen Völker sowie deren eigener Kultur von innen ausgehöhlt – bis letztlich nichts mehr bleibt.
Richtet sich die Identitäre Bewegung vor allem an junge Menschen, so gilt das von Götz Kubitschek gegründete „Institut für Staatspolitik“ als aktuelle, wichtige Denkfabrik für Neue Rechte mit einer engen Anbindung an die AfD – hier besonders den Flügel um Björn Höcke und André Poggenburg.
Der parlamentarische Arm des Rechtspopulismus ist die AfD. Gegründet wurde sie erst im Jahr 2013. Sie begann als eurokritische Partei. Publizistisch unterstützt wurde die AfD von Beginn an von der Wochenzeitung Junge Freiheit, dem publizistischen Organ der Neuen Rechten.
Bereits im Jahr 2014 begannen die innerparteilichen Auseinandersetzungen um den Kurs der Partei, der sukzessive zum Erstarken der rechten Kräfte führte. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Patriotische Plattform, ein Verein, der die AfD unterstützt. Dieser Verein tritt, wie der Name schon sagt, für Patriotismus ein. Sein Ziel ist, dass die Interessen des Nationalstaats aus patriotischen Gründen über die supranationaler Institutionen gestellt werden müssen. Genau hier ist ein Anknüpfungspunkt an die europakritische Haltung der AfD-Gründer.
Spannend ist das Verständnis vom deutschen Volk, dass die Patriotische Plattform vertritt. Sie knüpft nämlich nicht, wie die Alten Rechten es taten, an das Blut, also deutsche Vorfahren an. Nein, die Patriotische Plattform sagt: „Das deutsche Volk ist die Gesamtheit der Menschen, die unsere Kultur tragen. Wir sind gerne Deutsche und heißen jeden in unserer Mitte willkommen, der unsere Sprache spricht, der sich wie wir mit unserem Land identifiziert und sich als Deutscher versteht, ganz gleich, wo seine Eltern geboren sind.“
D. h. auch Migranten können für diese Rechten Deutsche sein, sie müssen sich nur mit dem Land identifizieren und letztlich vollständig assimilieren. Diese Grundhaltung findet unter anderem darin ihren Ausdruck, dass eines der Vorstandsmitglieder sich selbstbewusst als „Halbgrieche“ bezeichnet.
Kulturelle Dimension des Rechtspopulismus
Die verschiedenen genannten Gruppen, Gruppierungen und die AfD als Partei nehmen immer wieder Bezug zu Kultur: Sei es, dass sie sich klar für eine Leitkultur aussprechen wie die AfD in ihrem Grundsatzprogramm. Sei es, dass sie die ethnokulturelle Identität betonen wie die Identitäre Bewegung. Sei es, dass von Heimat und Patriotismus in Verbindung mit der deutschen Sprache die Rede ist.
Dabei wird dieses Reden über Kultur oder anders gesagt, die Indienstnahme von Kultur stets als Abgrenzung benutzt. Es wird nicht beschrieben, was genau unter den gesetzten Begriffen wie z. B. Leitkultur zu verstehen ist, sondern es dient dazu, sich vom bestehenden kulturellen und gesellschaftspolitischen Diskurs abzugrenzen.
Jener wird generell als linksliberal bezeichnet, wenn es gesittet zugeht oder etwas rauer als „grün-links-versifft“. Obwohl in der kulturpolitischen Debatte längst überholt, wird die Feder gegen den Multikulturalismus geschwungen und sich vom bestehenden Kulturbetrieb abgegrenzt. Hier wird auf den Punkt gebracht, was in der Neuen Rechten seit den 1970er Jahren erdacht wird: Es geht letztlich um eine kulturelle Gegenbewegung!
Folgerichtig strebte die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag den Vorsitz des Kulturausschusses des Deutschen Bundestags an. Neben dem wichtigen Haushaltsausschuss, der die Aufgabe hat, die Regierung in ihrem Finanzgebaren zu kontrollieren, bietet der Kulturausschuss die Chance, ein neues Narrativ in den kulturpolitischen Diskurs des Deutschen Bundestags einzuführen. Deshalb kämpfte der Deutsche Kulturrat so vehement gegen dieses Ansinnen! Dem beherzten Eingreifen der SPD ist es zu verdanken, dass der AfD in dieser Legislaturperiode der Vorsitz des Kulturausschusses verwehrt blieb.
Dass die AfD die bestehenden parlamentarischen Instrumente zu nutzen versteht, hat sie bereits in zwei Kleinen Anfragen gezeigt, in denen sie ganz konkret die Finanzierung von kulturellen Projekten durch den Hauptstadtkulturfonds, der aus Bundesmitteln finanziert wird, infrage gestellt hat. Aus Sachsen-Anhalt ist zu hören, dass die Landesfinanzierung von Theatern fraglich sei, weil die Aufführungspraxis nicht Deutsch genug sei. Aus dem Bibliotheksbereich wird berichtet, dass in Kommunen Erwerbungsetats von Bibliotheken hinterfragt werden, wenn fremdsprachige Literatur angekauft wird. Allein diese wenigen Beispiele zeigen, dass Kulturpolitik ein zentrales Handlungsfeld für eine Partei ist, die tatsächlich ein neues rechtes Denken vertritt.
Weder die AfD noch die genannten Gruppierungen dürfen auf die leichte Schulter genommen werden: Sie sind nicht in kurzer Zeit groß geworden! Sie haben Vordenker! Sie haben eigene Medien, mit denen sie ihre Positionen verbreiten!
Kunst in der rechten Szene
Dies ist im Kulturbereich ein Tabuthema. Es gibt einen bedauerlich großen Markt für rechte Musik und rechte Verlage. Auf der letzten Buchmesse in Frankfurt gab es eine heftige Auseinandersetzung zur Präsenz rechter Verlage und deren Auftreten.
Rechte Musik gehört bei der Bundesprüfstelle zu den am häufigsten indizierten Werken aus der Kulturwirtschaft. Während rechte Verlage auf ein bürgerlich-konservatives Publikum zielen, richten sich rechte Musikgruppen sehr oft an die rechtsextreme Szene. Gerade in Thüringen hat sich eine stabile Szene etabliert, die entsprechende Festivals ausrichtet.
Fünf Thesen zum Schluss
Erstens: Die Rechten dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie sind weder ein vorübergehendes Phänomen noch Dummköpfe, die sich nicht auszudrücken wissen.
Zweitens: Es muss entschieden für die errungenen Freiheiten eingetreten werden. Pluralismus, Teilhabe für alle, kulturelle Vielfalt sind keine Schlagworte. Sie sind Ausdruck einer Gesellschaft, die allen hier lebenden Menschen Chancen bietet.
Drittens: Es muss nachdrücklich für ein zusammenwachsendes, starkes Europa und eine faire Globalisierung gestritten und eingetreten werden. Die Idee eines Ethnopluralismus muss entlarvt und zurückgewiesen werden.
Viertens: Die demokratischen Kräfte müssen zueinanderstehen. Die Allianz für Weltoffenheit und die Initiative kulturelle Integration sind erster Ausdruck dessen.
Fünftens: Bin ich fest davon überzeugt, dass eine starke Zivilgesellschaft zusammen mit den Gewerkschaften, den Kirchen und anderen Gruppen den Rechten in ihren verschiedenen Ausprägungen die Stirn bieten kann. Gemeinsam können wir ein anderes Gesellschaftsbild zeigen. Ein Bild einer solidarischen Gesellschaft, die auf kulturelle Integration statt Ausgrenzung setzt.
Dieser Text basiert auf einem Vortrag des Autors vor dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 17. Januar 2018.