Hätte Martin Luther, würde er heute leben, dafür gestritten, dass Deutsch als Landessprache in der Verfassung verankert wird? Natürlich eine letztendlich unbeantwortbare Frage, aber das Thema selbst ist spannend wie aktuell und ein bisschen Spekulieren macht Spaß.
„Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch“ will eine einflussreiche Gruppe von Politikern, angeführt von Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, ins Grundgesetz schreiben. Deutsch als Landessprache ist Bestandteil der Verfassungen Österreichs und der Schweiz, warum also nicht auch in Deutschland? Und andere Länder, darunter besonders Frankreich, kämpfen gegen die Übermacht des Englischen und um das Überleben ihrer Landesprache sehr viel engagierter als wir Deutsche.
„Die deutsche Sprache jedoch ist die vollkommenste von allen“ soll Martin Luther in makellosem Latein am 19.09.1538 in einer seiner Tischreden gesagt haben. Und schon fünf Jahre vorher soll er gesagt haben: „Ich habe keine eigens festgelegte Sprache, sondern die allgemein übliche, damit mich die Leute aus dem hoch- und niederdeutschen Sprachraum verstehen können“. Zur damaligen Zeit gab es schon 14 hochdeutsche und vier niederdeutsche Bibelausgaben, sie waren aber wegen ihres gekünstelten Deutsch für das einfache Volk schwer verständlich.
Luther: „Die deutsche Sprache jedoch ist die vollkommenste von allen.“
Erst Luther „schaute dem Volk auf Maul“ und übersetzte so, dass der Text der damals gesprochenen Sprache näher kam und dennoch eine einmalige künstlerische Eleganz besaß. Das Verstehen können, die Forderung nach einer verständlichen Vermittlung der biblischen Botschaft ist eines der Kernanliegen von Martin Luther.
Nach dem reformatorischen Schriftprinzip ist die Bibel aus sich selbst verständlich, vorausgesetzt man versteht die Sprache, in der sie vorliegt. Die Gläubigen, zumindest die Protestanten, durch das allgemeine Priestertum (hoffentlich) emanzipiert, können und sollen über Glaubensangelegenheiten eigenständig und selbstverantwortlich urteilen. Die Bibelübersetzungen Martin Luthers mit dem zeitlichen Zusammentreffen mit einer der größten technischen Revolutionen, dem Buchdruck, haben den Erfolg der Reformation erst möglich gemacht. Der Theologe und einer der erbitternsten Gegner Luthers, Johann Cochläus schrieb 1522: „Auf wunderbare Weise wurde Luthers Neues Testament durch die Buchdrucker vervielfältigt, so dass auch Schuster, ja selbst Weiber und andere einfältige Laien, welche nur halbwegs deutsch lesen gelernt hatten, dieses sehr eifrig lasen, als ob es die Quelle aller Wahrheit wäre.“ Die Angst vor einer allgemeinverständlichen Bibel saß aber noch tiefer. Cochläus weiter: „Die Anhänger Luthers trugen das Buch bei sich und lernten es auswendig. Dadurch eigneten sie sich binnen weniger Monate so viel dogmatische Kenntnisse an, dass sie sich erdreisten, nicht nur mit katholischen Laien, sondern auch mit Priestern und Mönchen, ja sogar mit theologischen Magistern und Doktoren über Glaubensfragen und das Evangelium zu disputieren.“
Luther „hat (…) zusätzlich die Aneignung von Fremdsprachen dringend empfohlen“.
Martin Luther hat das Deutsche benutzt, um seine Theologie praktisch werden zu lassen. Wichtig war für ihn nicht, dass es eine Nationalsprache gab, sondern dass die Bevölkerung eine gemeinsame Sprache hatte. Er hat sich immer für das Beherrschen der „Muttersprache“ eingesetzt und zusätzlich die Aneignung von Fremdsprachen dringend empfohlen. In diesem Sinne würde Martin Luther wohl dafür plädieren, dass in Deutschland deutsch gesprochen würde. Und bei seiner oftmals sehr ausgeprägten Orientierung an der weltlichen Obrigkeit hätte er wohl auch für die Aufnahme von Deutsch ins Grundgesetz plädiert. Wiewohl er sich dem Wandel der Sprache nicht entzogen hätte.
Das Deutsch, das in Deutschland heute gesprochen und geschrieben wird, wird durch Anglizismen nicht automatisch entstellt und durch die Sprachfärbungen der in Deutschland lebenden Migranten natürlich entwickelt. Luther sagte: „Ich meynet auch ich were geleret, vnd weys mich auch gelerter denn aller hohen schulen sophisten von Gottis gnaden, Aber nu sehe ich, das ich auch noch nicht meyn angeporne deutsche sprach kan“. Es ist beruhigend, dass Luther bei all seiner sprachlichen Genialität, sich auch seiner Grenzen bewusst war.
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 02/2011 erschienen.