Redet man mit Werbe- und Kommunikationsexperten über Kirche, wie ich es getan habe, dann lässt sich bei aller Unterschiedlichkeit der Einschätzungen eine gemeinsame Überzeugung destillieren. Sie führt zur Handlungsaufforderung an die evangelische Kirche im Lutherjahr 2017. Die Überzeugung ist: Kirche ist eine Marke, ob sie das will oder nicht. Jede Marke hat einen Kern, den man immer wieder neu definieren muss, damit die Marke auch in verändertem Umfeld nichts von ihrer Strahlkraft einbüßt. Für diesen Klärungsprozess gibt es erprobte Vorgehensweisen. Mehrere meiner Gesprächspartner zeigten ihr Interesse, mit Kirchenverantwortlichen in einen Workshop zu gehen, in dem die Grundlagen für einen solchen Auftrag geklärt werden.
Es geht um Kirche und Glaube. In laienhafter Harmlosigkeit erzählte ich neulich einem Kirchenoberen von meinen Gesprächen mit den Kommunikationsexperten, deren Können darin bestehe, die DNA einer Marke freizulegen und somit eine zeitgemäße und einfache Antwort auf die Frage „Warum evangelisch?“ zu finden. Der Gesprächspartner klärte mich auf, dass es auf diese Frage keine einfache Antwort geben könne, das sei gerade der Vorzug unseres Glaubens. Der Hinweis auf den Satiriker Harald Martenstein brachte uns auch nicht weiter. Der hatte neulich über einfache Antworten auf komplizierte Fragen sinniert und festgestellt: „Ich finde einfache Antworten auf komplizierte Fragen super. Sowohl eine einfache als auch eine komplizierte Antwort können richtig oder falsch sein, das weiß doch jedes Kind.“ Ach Martenstein, was verstehst du schon von dem, was nicht jedes Kind weiß. Wenig verwunderlich also, dass Lars Harden, Hochschullehrer, Chef der Hannoveraner Agentur Aserto, und strategischer Berater kirchlicher Einrichtungen, mit seiner Forderung die Theologenabwehrmauer nicht knackt. Er fordert: „Das Mantra muss sein, das Differenzkriterium von Protestantismus zu anderen religiösen Angeboten herauszuarbeiten. Hauptempfehlung, die ich habe: Positioniert eure Köpfe und gebt ihnen ein klares Profil! Seid sprechfähig! Warum ist es besser, Protestant zu sein als es nicht zu sein? Auf diese Frage müssten die Menschen, die diese Kirche repräsentieren, eine Antwort haben.“
Liest man die Ankündigungen zum Jubiläum, gewinnt man den Eindruck, dass es um ein in erster Linie ökumenisches Ereignis geht. Ich war vor vielen Jahren Ohrenzeuge, als ein Kirchenpräsident vermeinte, sich bei dem damaligen Mainzer Bischof Karl Lehmann dafür entschuldigen zu müssen, dass man die Kampagne „Evangelisch aus gutem Grund“ ins Leben gerufen habe. Darauf Lehmann kurz und freundlich: „Mir ist ein Gesprächspartner lieber, der weiß, wer er ist. Das erleichtert das Verständnis.“ Dieser Hinweis ist nicht veraltet. Sollte der Papst zum Reformationsjahr nach Deutschland kommen, wäre etwas mehr evangelische Selbstklärung als die jüngst von Friedrich Schorlemmer mitgeteilte Weigerung, den Papst mit „Eure Heiligkeit“ anzusprechen, schon hilfreich. Nehmen wir an, der Papst würde ohne Vorwarnung die Frage stellen, ob 500 Jahre Trennung nicht genug seien? Da wäre es doch gut, wenn der Spruch „Offenheit ist nicht Beliebigkeit“ bis dahin mit solchem Inhalt gefüllt wäre, den auch das normale Kirchenmitglied versteht und der es überzeugt. Ökumenische Aufgeschlossenheit ist kein Differenzierungskriterium.
Es ist also gut und richtig, von Zeit zu Zeit zu überprüfen, ob die Kommunikation rund um die Marke der DNA des evangelischen Glaubens entspricht oder von ihr abführt. Die positiven Folgen sind mannigfaltig: Das rare Gut „Loyalität“ wird gestärkt, das Engagement für die Kirche und für die Gesellschaft unter kirchlicher Führung ausgebaut. Unternehmen scheuen sich nicht, eine Fankultur aufzubauen und diese auch so auszuflaggen. Die zwischen Engagement und Indifferenz angesiedelten „klassischen“ Kirchenmitglieder, das wissen wir aus der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, fühlen sich zunehmend rat- und mutlos. Sie brauchen argumentativen Support jenseits einer „Kultur der Harmlosigkeit“(G. Wegner) gewachsen aus der Angst, nicht mehr gesellschaftlich anschlussfähig zu sein.
Und die anschwellende Gruppe der Indifferenten? Hier steckt die Institution Kirche in der gleichen Zwickmühle wie Parteien, Gewerkschaften und andere Großinstitutionen, meint Frank-Michael Schmidt, Politologe und CEO von Scholz & Friends. „Für diese Typologien vormals lebenslanger Mitgliedschaften gilt heute: Bindungen und bedingungslose Identifikation nehmen ab; die Fragen nach dem ideellen, sozialen und individuellen Nutzen nehmen zu. Gewohnheit ist keine Legitimation mehr für Mitgliedsbeiträge, sondern nur die subjektiv überzeugende Beantwortung der Sinn- und Nutzen-Fragen. Von dieser allgemeinen Dynamik können sich auch die Kirchen nicht abkoppeln.“
Jedes Mitglied kann akzeptieren, dass ein Teil des Beitrags eine Quasi-Gemeinwohl-Abgabe ist. Problematisch dabei ist, dass die Mittelverteilung vom Mitglied nicht beeinflusst werden kann. Aber vollends nicht akzeptabel wäre, wenn es persönlich von der Mitgliedschaft praktisch keinen Nutzen hätte. „Die gute Nachricht ist: Die evangelische Kirche kann diese Fragen beantworten. Sie sollte das auch pointiert tun“ , so Schmidt.
Generell gilt: Werbung, die nicht hält, was von ihr erwartet wird, ist kontraproduktiv. Was in der Wirtschaft gilt, stimmt auch für das Lutherjahr. Es weckt hohe Erwartungen.
Auch die Kirche ist eine Marke
Versuch einer Definition des Markenkerns Kirche