Freiheit in geregeltem Raum erlernen

Politische Bildung – ein historischer Abriss

Im Nationalsozialismus und während der Zeit des Zweiten Weltkrieges fand die politische Instrumentalisierung des Schulbereichs ihren Höhepunkt. Nahezu alle Fächer des schulischen Fächerkanons sind für die politische Indoktrinierung der Schüler missbraucht und Politik und politische Propaganda auf das Engste mit Schule verwoben worden. Während der NS-Zeit kam es zu einer Überbetonung des Nationalen. Die körperliche Ertüchtigung und – wie Adolf Hitler es in „Mein Kampf“ schon schrieb – das „Heranzüchten kerngesunder Körper“ sowie die Zurückdrängung der intellektuellen Ausbildung stellten die Grundpfeiler für das nationalsozialistische Erziehungsideal dar. Der nationalsozialistische Staat kann daher als Erziehungsstaat charakterisiert werden. Jeder gesellschaftliche Bereich war von der nationalsozialistischen Ideologie durchdrungen. Dies schloss auch vermeintlich private Bereiche wie Arbeit oder Freizeit mit ein.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand der gesamte Bildungsbereich vor einem Trümmerfeld. Die Politische Bildung war schwerstens korrumpiert.

 

Nach 1945 gab es bezogen auf Deutschland und Österreich divergierende Entwicklungen. Bereits am 2. August 1945 beschlossen die Besatzungsmächte im Potsdamer Abkommen, dass Deutschland mithilfe des Erziehungswesens demokratisiert werden sollte und verordneten umfassende Re-Education-Maßnahmen. Dieser Verpflichtung ist es geschuldet, dass sich sowohl die wissenschaftliche Disziplin als auch das eigenständige Unterrichtsfach „Politische Bildung“ in Deutschland sehr früh entwickeln konnten. Österreich hingegen berief sich auf die Moskauer Deklaration von 1943 und verstand sich als erstes Opfer des Nationalsozialismus. Aus diesem Grund wurde die Aufarbeitung der unmittelbaren Vergangenheit im (Geschichts-) Unterricht als nicht notwendig erachtet. Politische Bildung fand – wenn überhaupt – dann nur ganz klassisch als Institutionen- und Staatsbürgerkunde statt. Der Opfermythos wurde bis weit in die 1980er Jahre gehegt. Erst durch die sogenannte Waldheim-Affäre im Jahr 1986 und die Wahl von Jörg Haider zum Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei im selben Jahr kam Bewegung in die öffentliche Debatte und somit auch in die politische Bildung.

 

In der Bundesrepublik ist bereits 1946 das Fach „Sozialkunde“ in Hessen eingeführt worden. Seit den 1960er Jahren gibt es ein solches in allen deutschen Bundesländern, wenn auch mit unterschiedlichen Fachbezeichnungen. Parallel dazu entwickelten sich die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen wie Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und Politikdidaktik. Die Politikdidaktik stellte in Deutschland von Beginn an einen wesentlichen Bestandteil in der Ausbildung von Politiklehrern dar und war institutionell an Universitäten und Hochschulen verankert. Den ersten Lehrstuhl für Politikdidaktik in Österreich hat es im Vergleich dazu im Jahr 2008 gegeben. Ein Jahrzehnt später hat sich die Zahl nicht erhöht. Ein eigenständiges Fach Politische Bildung gibt es bis heute nicht für alle Schultypen, sondern meist wird politische Bildung als Kombinationsfach mit z. B. Geschichte, Geografie oder Recht unterrichtet. Auch in der Lehrerausbildung spielt politische Bildung in Österreich immer noch eine sehr bescheidene Rolle. Diese Defizite lassen sich durch die Entwicklungen nach 1945 begründen. Dennoch hat es die politische Bildung in Deutschland nach 1945 auch nicht immer leicht gehabt. Sie geriet in den 1960er und 1970er Jahren immer wieder in den Einflussbereich der unterschiedlichen politischen Lager. Mit dem sogenannten Beutelsbacher Konsens von 1976 gelang es der Politikdidaktik, die politische Polarisierung und Einflussnahme zu überwinden. Der Konsens beruht auf den drei Prinzipien: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und dem Gebot der Vermittlung von Analysefähigkeiten und operationalen Fähigkeiten. Mehr als 40 Jahre nach seiner Entstehung ist der Konsens auch heute noch gültig und ist ein zentrales Dokument der Politikdidaktik.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2018.

Cornelia Klepp
Cornelia Klepp ist Erziehungswissenschaftlerin und Hochschulprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Kärnten .
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