Nachhaltigkeitskultur

Eine Waffe gegen die falsche Normalität

Das Wort Nachhaltigkeitskultur löst Reaktionen aus, die unterschiedlicher nicht sein können. Die einen halten es für Gedöns: jeden Teil des Wortes für sich und zusammengesetzt schon allemal. Andere sind völlig begeistert und versprechen sich mit hochfliegender Rhetorik die Lösung großer Probleme. In der Mitte ist Leere. Im Kulturpolitischen Alphabet des Deutschen Kulturrates fehlt das Stichwort Nachhaltigkeit. Zu Unrecht, denn seit Jahren mehren sich die Initiativen und ernsthaften Bemühungen, die große Veränderungen der Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik als kulturelle Transformation zu fassen. Die Kulturpolitik hat das noch nicht auf einen Nenner gebracht. Sie läuft der Nachhaltigkeit hinterher.

 

Seit Jahren reagiert die Ökologie immer heftiger auf nicht nachhaltiges Wirtschaften. Ein Jahrhunderthochwasser jagt das nächste. Taifune und Unwetter setzen auch bei uns immer neue Maßstäbe. Teppiche aus Plastikmüll treiben im Ozean, beängstigend ist es, wenn Wissenschaftler uns vorführen, dass Insekten inzwischen massenweise verschwinden. Der Insektenschwund ist eine Folge dessen, was landläufig und falsch noch als Kulturlandschaft gilt. Wo elementare Natur zerstört wird, kann aber von Kultur kaum die Rede sein. Und das ist nur eines von vielen Beispielen.

 

Vor 20 Jahren glaubte niemand wirklich daran, dass man mit Nachhaltigkeit Politik machen und Menschen motivieren kann. Schon gar nicht, dass daraus Kult und Kultur werden könnte. Die Printmedien machten sich über das „Plastikwort“ lustig. Das Grimme-Institut analysierte 2004 messerscharf die Programmlücke Nachhaltigkeit in der TV-Kultur. Man hielt uns Illusionen, politische Hinfälligkeit und verirrte Bevormundung vor. Heute will davon keiner mehr wissen. Aggressiver Ablehnung ist hinhaltende Ignoranz gefolgt. Auch das ist eine Frage der politischen Kultur.

 

Nachhaltigkeit ist heute ein starker Begriff. Er beeinflusst Investitionen und Unternehmensstrategien. Er ermutigt politisches Engagement, weit über die traditionelle Politik hinaus. Nachhaltigkeitspolitik, die wirksam werden und bei den Antreibern der Gesellschaft Gehör finden will, verlangt nach einem Wandel der politischen Kultur.

 

Die Einrichtung des Nachhaltigkeitsrates im Jahre 2001 durch die Bundesregierung war ein politischer Start. Alle drei Jahre erneuert die Bundesregierung den Rat für Nachhaltige Entwicklung. Die kulturelle „Dimension“ der Nachhaltigkeit spielte für uns von Anfang an eine große Rolle. Nachhaltigkeitspolitik steht für die Kraft des Gedankens, den eigenen Erfolg dort zu suchen, wo Mensch und Umwelt gemeinsam gewinnen. Sie steht für Besorgnis um unseren Planeten. Sie steht für die produktive Unruhe, Nachhaltigkeit stetig noch besser zu machen. Und sie steht dafür, dass aus einer Experten-Idee eine kulturelle Bewegung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wird.

 

Nicht nur beratend, sondern auch aktiv steht der Rat für Nachhaltige Entwicklung für den kulturellen Wandel. Beispiele: „Zukunft, fertig, los!“ heißt ein Ideenwettbewerb, der eigenverantwortliches Handeln zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in den Bildungssystemen fördert. Wir fördern die Alltagskultur zu nachhaltigen Lösungen mit einem vom Deutschen Bundestag beschlossenen Fonds. Nachhaltiges Handeln muss sich in Alltagskulturen, d. h. beim Essen und Wohnen, in der Mobilität und in der Freizeit durchsetzen. Kreativität für die Zukunft steckt im Alltag, oder sie hat es schwer.

 

Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft haben eine besondere Verantwortung. Konferenzen und große Veranstaltungen sollten in Zukunft nicht mehr stattfinden, ohne dass die Nachhaltigkeit des Caterings, des Bühnenmaterials und der Anreise der Teilnehmenden im Blick ist.

 

Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie legt die Herausforderungen für Deutschland dar, welche sich aus den Sustainable Development Goals (SDG) und damit der Verpflichtung auf eine nachhaltige Entwicklung ergeben. Hinsichtlich einer Transformation zur Nachhaltigkeit stehen wir erst am Anfang. Veränderungen sind an vielen Stellen möglich und nötig. Am Ende geht der Kern von Demokratie nicht ohne Veränderung.

 

Noch aber dominieren Denkblockaden und Lobby-Gewohnheiten. Das Neue wird verdeckt, wo betriebswirtschaftliche Rechnungen und Kunden-kalküle immer noch elegant über die tatsächlich bestehenden sozialen und ökologischen Kosten hinwegsehen dürfen. Noch dominiert die stillschweigende Verwegenheit der Normalität. Sie macht das ländliche Insektensterben zwar zu einer Schlagzeile, spült sie aber im nächsten Augenblick in Vergessenheit.

 

Eine Waffe gegen die falsche Normalität ist die Kultur. Das wusste Peter Weiß, als er die Ästhetik des Widerstands schrieb; das wusste Joseph Beuys und das muss jede Generation immer wieder neu entdecken. Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis feiert seine Preisträger aus der Wirtschaft und aus den Städten mit einer großen Gala. Er startete 2008, mitten in der großen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Krise ist auf Dauer angelegt. Die Klimaemissionen steigen, der Müll in den Ozeanen wächst an. Darf man angesichts dessen die Nachhaltigkeit feiern? Lachen statt Verbissenheit? Darf man dazu tanzen? Darf man stolz auf Erfolge sein und Leidenschaft für die Kultur des Wandels zeigen? Man muss.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Günther Bachmann
Günther Bachmann ist seit 1974 im Umweltschutz aktiv und arbeitet heute als unabhängiger Experte und Berater für nachhaltige Entwicklung.
Vorheriger ArtikelDer Weltzukunftsvertrag
Nächster ArtikelEin neuer Vertrag