Wie viel kostet unsere Zukunft?

Fünf Fragen an Claudia Kemfert

Welchen Preis zahlen wir für unsere Zukunft? Die Energieökonomin Claudia Kemfert forscht an Antworten auf diese Frage und mehr. In Politik & Kultur gibt sie einen Einblick in essenzielle Fragen unserer Zukunft.

 

Frau Kemfert, Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Frage: Wie teuer wird die Zukunft? – Wie finden Sie eine Antwort darauf und wie lautet diese?

Derzeit bewahrheitet sich auf sehr schmerzvolle Weise, wie hoch die Kosten des Nichthandelns werden können, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Seit über 17 Jahren warne ich vor den Kosten des Nichthandelns, einerseits bezogen auf den Klimaschutz, aber andererseits auch bezogen auf Energieversorgungssicherheit. Nichthandeln treibt die Kosten der Zukunft immer weiter in die Höhe. Aufgrund des Nichthandelns steigen die Kosten des Klimawandels unaufhörlich weiter an. Wir erleben global immer weiter zunehmende Kosten durch extreme Klima-Ereignisse, durch Dürren, Wasserknappheiten und Brände, die erhebliche volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen. Und derzeit zahlen wir ebenso den exorbitant hohen Preis einer verschleppten Energiewende. Wir haben den Ausbau der erneuerbaren Energien zu lange behindert, und das Energiesparen gerade im Gebäudebereich und auch in der Industrie sträflich vernachlässigt. Entgegen aller Warnungen haben wir Abhängigkeiten zu geopolitisch schwierigen Handelspartnern verstärkt, anstelle Frühindikatoren für Energieversorgungssicherheit zu entwickeln und die Abhängigkeit zu verringern. Da wir in den vergangenen 15 Jahren die Abhängigkeit zu russischen Energielieferungen deutlich erhöht statt verringert haben, zahlen wir heute die Quittung für diese Entwicklung. Wir hätten heute einen Anteil von über 80 Prozent an erneuerbaren Energien im Energiesystem haben können, hätten wir die Energiewende nicht ausgebremst. Nun müssen wir in kürzester Zeit fossile Heizungen austauschen, die Industrie dekarbonisieren und mehr Elektromobilität auf Straße und Schiene bringen. Die Szenarien dafür liegen seit über 20 Jahren vor. Und auch die Warnung, dass die volkswirtschaftlichen Kosten explodieren, wenn nicht ausreichend frühzeitig gegengesteuert wird. Der jüngste Bericht des Weltklimarates macht nochmals sehr deutlich, dass wir eine sehr düstere Zukunft vor uns haben werden, die ebenso zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden führen wird. Nur eine komplette Abkehr von fossilen Energien stärkt die Versorgungssicherheit, die Resilienz, Demokratie und Frieden und gleichzeitig Klimaschutz. Nur eine Energiewende basierend auf erneuerbaren Energien und Energiesparen sichert den Frieden. Die Kosten des Nichthandelns sind deutlich höher als die Kosten des Handelns.

 

Der grundsteinlegende Bericht des Club of Rome wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Wo liegen heute die Grenzen des Wachstums – wirtschaftlich und gesellschaftlich?

Das jetzige Wirtschaftswachstum, welches auf Ausbeutung und Zerstörung des Planeten, des Klimas und der Lebensgrundlagen der zukünftigen Generationen ausgerichtet ist, ist in keinster Weise mit dem Klimaschutz vereinbar. Dabei ist das Wirtschaftswachstum, welches auf fossile Energien basiert, nicht nachhaltig und zukunftsfähig. Wir brauchen ein neues Verständnis von Wirtschaftswachstum – nämlich eines, das den Planeten belebt, statt ihn zu zerstören. Wir brauchen ein Wirtschaftswachstum, das Schäden an Mensch, Umwelt und Klima nicht als heimliche Schulden künftiger Generationen anhäuft, sondern gleich heute denen aufbürdet, die sie verursachen. Dazu müssen wir das Wirtschaftswachstum vom fossilen Energieverbrauch entkoppeln und eine Kreislaufwirtschaft entwickeln, die im Gleichgewicht ist und in der es um qualitatives und nicht um quantitatives Wachstum geht.

 

Welche Weichen muss die Politik jetzt endlich stellen, um das Klima zu schützen?

Wir müssen so schnell wie möglich weg von fossiler Energie, und zwar durch den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir benötigen mindestens eine Vervierfachung des jetzigen Ausbautempos. Es müssen Flächen für Windenergie ausgewiesen, Genehmigungsverfahren erleichtert und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen verbessert werden. Solarenergie gehört auf jedes Dach. Wir müssen die Wärmepumpe fördern, gerade im Zusammenhang mit der energetischen Gebäudesanierung. Die Industrie muss energieeffizienter werden, auch hier bieten sich die industrielle Wärmepumpe und der Einsatz von erneuerbaren Energien an. Im Verkehrssektor müssen wir so schnell wie möglich weg von Benzin und Diesel hin zu mehr Elektromobilität. Der Schienenverkehr muss gestärkt werden. Es geht um Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung. All dies wissen wir seit Jahren. Die Gesellschaft und die Industrie sind startklar. Das Einzige, was uns aufhält, ist der fehlende politische Wille. Die Politik lässt sich bremsen von unsinnigen Gespensterdebatten, die uns an die Vergangenheit ketten. Stattdessen brauchen wir endlich ein Booster-­Programm für die konsequente Energiewende.

 

Sie befassen sich intensiv mit den wirtschaftlichen Potenzialen des Klimaschutzes. Worin liegen diese?

Die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende mit einer Abkehr von fossilen Energien hin zu mehr erneuerbaren Energien, Energiesparen und den Umstieg hin zu einer nachhaltigen Mobilität schaffen enorme wirtschaftliche Chancen. Dies alles sind wirtschaftliche Chancen des Klimaschutzes. Alle Branchen können letztendlich davon profitieren, sei es die Unternehmen der erneuerbaren Energien, Unternehmen, die Energieeffizienzmaterialien herstellen, die nachhaltige Mobilitätskonzepte erarbeiten oder im Fahrzeugbau tätig sind. Energiedienstleistungen werden genauso benötigt wie der energetische Umbau von Gebäuden. Die Industrie kann, wenn gut gemacht, von diesem Boom massiv profitieren. Es werden Investitionen in Zukunftsbranchen getätigt, die wiederum Wertschöpfung und Arbeitsplätze liefern. Dabei handelt es sich um zukunftsweisende Arbeitsplätze. Die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes, der Energiewende, der Verkehrswende, dem Energiesparen sowie der nachhaltigen Mobilität sind gigantisch. Wir müssen sie auch endlich nutzen.

 

Die Industrie rund um das Thema Nachhaltigkeit wächst immer weiter. Wie kann dies weiter unter­stützt werden? Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten der „grünen Branche“ ein?

Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen und das Klimaabkommen von Paris umsetzen wollen, darf es heute keine Investitionen in fossile Energien und Infra­strukturen geben, sondern ausschließlich in erneuerbare Energien und klimaschonende Antriebstechniken und Infrastrukturen. Seit Langem leidet die deutsche Wirtschaft, vor allem die Industrie, an Investitionsschwäche. Dieser Investitionsstau kann nun durch gezielte Allianzen durch Wirtschaftshilfen überwunden werden. Es sollte das Geld gezielt für Klimaschutz bereitgestellt werden, etwa für Digitalisierung, Smart Grids, Ladeinfrastruktur, klimaschonende Treibstoffe, Batterie- und Solarzellenproduktion oder für Wasserstoff für die Schwerindustrie. Auch der Schienenverkehr muss gestärkt werden. Nur dann wird der Umbau hinzu einer klimaneutralen Wirtschaft, wie wir es im Rahmen internationaler Vereinbarungen verbindlich festgelegt haben, gelingen. Aber auch die Finanzbranche selbst steht unter Zugzwang. Um Greenwashing zu vermeiden, müssen strenge Nachhaltigkeitskriterien für alle Investitions- und Finanzströme angewendet werden, die sich an sozial-ökologisch-ethischen Maßstäben orientiert. Die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten der grünen Branche sind riesig. Es werden überall Fachkräfte benötigt, daher sind Umschulungs- und Ausbildungsprogramme sehr wichtig. Bis zu 500.000 neue Jobs können durch die grüne Transformation entstehen. Die Zukunftsaussichten sind glänzend, wenn wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und zu lange am fossilen Geschäftsmodell festhalten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität.
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