Auf Neues setzen

Innovationsförderung, Investitionsstärkung und Bildungsexpansion für die Klimapolitik

Als vor 50 Jahren der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ von dem Club of Rome veröffentlicht wurde, traf dieser auf ein geteiltes öffentliches Echo. Zum einen kam methodische Kritik aus den Fachdiskursen, zum anderen war die mediale Reaktion aufrüttelnd. Im Jahr 1973 wurde der Club für den Bericht mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, bis heute gilt er als die Programmschrift der Wachstumskritik. Deshalb lohnt sich ein Blick darauf und auf die daraus folgenden Debatten, will man die heutigen Herausforderungen einordnen. Berücksichtigt wurden in der Studie die Industrialisierung als vorherrschende Form der Wertschöpfung, das Bevölkerungswachstum als Treiber des Wachstums, die Unterernährung als eine Kehrseite des dynamischen Anstiegs der Bevölkerung sowie die begrenzende Wirkung endlicher natürlicher Ressourcen und der Zerstörung des Lebensraums. Es wurden eine Vielzahl von Konstellationen durchgespielt, indem die Rohstoffvorräte variiert, der Einsatz von Technik skaliert, die Bedeutung zunehmender Geburtenkontrolle und ein steigender Umweltschutz berücksichtigt wurde.

 

Da Rückkopplungen und damit Korrekturprozesse, die insbesondere durch die Veränderung relativer Preise als Ausdruck von Anpassungen sowie veränderter Knappheiten in Gang kommen, nicht abgebildet werden konnten, war eine pessimistische Weltsicht zwingend angelegt. Dazu trug ebenso bei, dass die Bedeutung technischen Fortschritts und von Innovationen nicht einbezogen werden konnte. Die Endlichkeit der Ressourcen führte so zu der Einschätzung, dass die Endlichkeit des Wachstums absehbar und unvermeidbar sei.

 

Die methodische Kritik ändert aber nichts an der Bedeutung des Berichts, denn spätere Aktualisierung haben immer wieder die grundlegende Gefahr einer globalen Übernutzung der Ressourcen sowie der Umweltsenken beschrieben. Als der Report „Die Grenzen des Wachstums“ vorgelegt wurde, traf er auf eine entsprechende Diskussion über die Frage nach den individuellen und gesellschaftlichen Kosten des Wachstums, die in den Wirtschaftswissenschaften bereits in den 1960er Jahren populär geworden war. Dabei ging es um den Konflikt zwischen einer Orientierung am Pro-Kopf-Einkommen und den spezifischen Voraussetzungen menschlichen Wohlbefindens.

 

Damit wurde der Blick bewusst auf die Umwelt und deren Beeinträchtigung durch die Ökonomie gerichtet. So forderte im Jahr 1966 Kenneth Ewart Boulding besondere ökonomische Grundsätze für das „Raumschiff Erde“ und plädierte für eine Politik, welche die sich verändernden Bedingungen antizipiert und durch gezielte Eingriffe – beispielsweise steuerlicher Art – negative Externalitäten korrigiert. Tatsächlich wurde dieser Impuls angesichts erkennbarer Umweltschäden politisch aufgenommen. Die Bundesregierung legte im September 1970 ein erstes „Umweltschutz-Sofortprogramm“ vor, 1971 das erste „Umweltprogramm“.

 

Die Metapher „Raumschiff Erde“ erscheint eingängig. Die Möglichkeit, über technischen Fortschritt neue Handlungschancen und höhere Leistungskraft auch unabhängig von natürlichen Ressourcen zu begründen, wurde dabei allerdings stets geringer eingeschätzt als der Effekt begrenzter Ressourcen. Dies mündete in Überlegungen einer stationären Ökonomie mit minimiertem Ressourcen- und Materialumsatz und konstanten Produktionsfaktoren. Diese sehr prinzipielle Wachstumskritik wurde seit den späten 1980er Jahren dann im Konzept der Nachhaltigkeit aufgehoben.

 

Maßgeblich war dafür der Bericht der Brundtland-Kommission, der den Begriff der Nachhaltigkeit in die breitere Öffentlichkeit hineintrug. Im Jahr 1998 wurde es zum Thema einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. In diesem Konzept werden die ökologische, die ökonomische und die soziale Entwicklung gemeinsam betrachtet. Zugleich etablierte sich damit angemessen das Konzept der Generationengerechtigkeit, indem die Lebensräume künftiger Generationen als berechtigte Ansprüche an jeweils heute Lebenden verstanden wurden.

 

Dadurch kam es zu dem umweltpolitischen Paradigmenwechsel, der auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro vollzogen wurde: Umweltpolitik wird als vorsorgende Politik verstanden, die zukunftsbezogen Umweltqualitätsziele entwickelt, aus denen – und nicht mehr nur aus einem feststehenden Schadensbefund – sich umweltpolitischer Handlungsbedarf ableitet. So wurde aus den „Grenzen des Wachstums“ die Perspektive einer „dauerhaft umweltgerechten Entwicklung“, damit ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungen nicht voneinander getrennt oder gar gegeneinander ausgespielt werden.

 

Konzeptionell bietet der Philosoph John Rawls mit dem „Sparprinzip“ eine angemessene Grundlage, mit dem die Gesellschaft als „ein faires System der langfristigen Kooperation zwischen den Generationen“ funktionieren kann: „Es stützt berechtigte Beschwerden über unsere Vorgänger und berechtigte Erwartungen an unsere Nachfahren.“ Mit der Sicht auf drei Generationen wird die Überforderung der mittleren vermieden, denn aus der Pfadabhängigkeit der Vergangenheit entkommt man nur gemeinsam. So kann man das Sparprinzip von Rawls als zeitgemäße Deutung der Grenzen des Wachstums verstehen, die damit weniger statisch erscheinen und gestaltbar werden.

 

Gefordert wird eine Wirtschaftsweise, die den langfristigen Substanzerhalt ökologischer Potenziale in den Vordergrund stellt und die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft adressiert. Letztlich muss es eine dauerhafte Ausrichtung sich fortschreitend entwickelnder Volkswirtschaften an den Belastungsgrenzen der Umweltmedien und der kritischen Ressourcenbestände geben. Die Frage, welche Natur wir schützen sollen, erweist sich als nicht trivial. Die Wahrnehmung, ob ein Lebensraum ökologisch intakt ist, hängt von den spezifischen Bedürfnissen und Interessen derjenigen ab, die diesen Lebensraum heute als ihre Umwelt betrachten. Die zu schützende Natur ist Resultat einer Interpretation, in die neben die ökologischen Daten die Präferenzen der Menschen eingehen.

 

Derzeit erleben wir, dass die Spannung zwischen den Anforderungen künftiger Generationen und den Möglichkeiten der heutigen nicht einfach aufzulösen ist. Späte Erkenntnis und verzögerte Einsicht erhöhen den Druck; so erleben wir es beim Klimawandel. Veränderte Bedingungen und individuelle Anpassungen begründen Anpassungspfade; so erleben wir es bei der demografischen Alterung. Die besondere Herausforderung besteht nun darin, dass diesen Megatrends im Strukturwandel gleichzeitig Rechnung getragen werden muss. Das führt dazu, dass wir uns noch weniger Umwege und Ineffizienzen leisten können. Anders gewendet: Für den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter benötigen wir unter den Bedingungen der Bevölkerungsalterung unausweichlich die Schnelligkeit, die Innovationskraft und die Effizienz der Marktwirtschaft.

 

Nur durch die Mobilisierung des dezentral vorhandenen Wissens und der Findigkeit aller kann es uns gelingen, die vielfach so benannte große Transformation zu leisten. Denn es muss an allen Stellen der Volkswirtschaft Beiträge zur Klimaneutralität geleistet werden. Die Anreize dafür werden am wirksamsten durch einen einheitlichen CO2-Preis gesetzt, wie es in Europa mit dem Zertifikatehandel für die Industrie und die Energieerzeugung seit Langem der Fall und für Verkehr und Wohnen nun ergänzt werden soll. Wir benötigen aber ebenso Technologien für die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, nur dann sind die Ziele für 2045 (Deutschland) bzw. 2050 (Europäische Union) erreichbar.

 

Bei einem schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzial, wie es für Deutschland ab Mitte dieses Jahrzehnts der Fall sein wird, stellen sich zusätzliche Fragen. Wie kann der alterungsbedingten Produktivitätsabschwächung entgegengewirkt werden? Wie erhöhen wir das Arbeitsvolumen – also die gesamtwirtschaftlich verfügbaren Arbeitsstunden – zusätzlich, um den Ausfall durch die ansteigende Verrentung auszugleichen? Es wird deutlich, dass die Klimapolitik um eine Strategie der Innovationsförderung, Investitionsstärkung, Bildungsexpansion und Beschäftigungsausweitung ergänzt werden muss. Um den Grenzen des fossilen Zeitalters zu entgehen, muss zugleich die Limitierung unserer Möglichkeit durch die demografische Alterung ernst genommen werden.

 

Tatsächlich hat die ökologische Debatte, welche die Voraussetzungen wirtschaftlichen Wachstums durch Naturkapital und Sozialkapital thematisiert, in den vergangenen Dekaden wichtige Impulse für eine vorausschauend ressourcenorientierte Ökonomik gegeben. Wünschenswert wäre es, wenn wachstumskritische Diskurse gleichermaßen offener und bewusster mit ihren freiheitsskeptischen Aspekten umgingen.

 

Denn das steht dem entgegen, was wir an Innovation und technischem Fortschritt benötigen. Hier darf es keine Grenzen geben, sondern wir müssen unbegrenzt auf Neues setzen. Das fordert eine offene Gesellschaft, die im öffentlichen Raum – also im Miteinander des realen Lebens, was nach der Pandemie neu zu erringen ist – kulturell und politisch darum ringt, was sie schützen und wie viel Anpassungsdynamik sie dafür mobilisieren will.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.

Michael Hüther
Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.
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