Abenteuer des Geistes

Was macht uns zufrieden?

„Wir müssen verstehen, dass das Schicksal unserer Erde auf dem Spiel steht und wir müssen versuchen, das Wohl unserer Erde mit den Entwicklungen in Einklang zu bringen, die mit der Modernisierung einhergehen.“ Diese Worte stammen vom Industriellen Aurelio Peccei, der 1968 zusammen mit Alexander King von der OECD den Club of Rome gegründet hat. Die Mitglieder des Clubs treten für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit ein. Ihnen gemeinsam war und ist die Sorge um den Planeten.

 

Der eklatante Mangel an Nachhaltigkeit, der sich bis heute fortsetzt, hat mehrere Gründe. Er ist auch ein Kommunikationsproblem. Deswegen geht die Deutsche Gesellschaft Club of Rome (DGCOR) neue Wege, um Wissen zu vermitteln und Bewusstsein zu schaffen. So waren wir Teil des bisher aufwändigsten Experiments des Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dem „Hamburger Menetekel – ein futurologischer Kongress“. Inspiriert von der biblischen Geschichte um den babylonischen Regenten Belsazar, dem eine geheimnisvoll erscheinende Schrift an der Wand, das Menetekel, den Untergang seines Reichs prophezeit: „Mene mene tekel u-parsin“, fragten sich Hamburger Schülerinnen und Schüler: „Was, wenn Graffiti die Menetekel von heute sind?“ In Vorbereitung des futurologischen Kongresses deuteten sie mehrere Monate lang Graffiti als verschlüsselte Botschaften. Die dadurch aufgeworfenen Zukunftsfragen wurden im Rahmen der Aufführung im Schauspielhaus gemeinsam mit Künstlern und Wissenschaftlern präsentiert, und das Publikum in eine Welt großer und drängender Fragen geführt – zwischen Spiel und Wirklichkeit. Eine Botschaft der Jugendlichen, die in großen Lettern über der Bühne prangte: „We’re fucked“. Die Frage, die sie ins Publikum brüllten: „Warum seht ihr die Zeichen der Zeit nicht? Warum handelt ihr nicht?“.

 

Tatsächlich sind die Zeichen der Zeit weder verschlüsselt noch erscheinen sie geheimnisvoll; das Artensterben, die Erwärmung des Klimas, der Verlust fruchtbaren Bodens oder die Übernutzung der Erde sind offensichtlich, wissenschaftlich belegt und, vor allem, erwartbar gewesen. Vor nunmehr fast einem halben Jahrhundert, 1972, veröffentlichte der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“. Die klare Botschaft: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes materielles Wachstum geben.

 

Das Anliegen des Club of Rome damals war es, die Menschheit wachzurütteln; einen Denkprozess anzustoßen zu der Frage, warum die Menschheit eine Entwicklung einschlagen konnte, die die eigenen Lebensgrundlagen zerstört? Für Peccei lag die Antwort auf der Hand: „Der moderne (Anm. d. Verf. technologische mächtige) Mensch kann alles verändern, doch darüber vergisst er, sich selbst zu entwickeln“. In „Die Grenzen des Wachstums“ liest man auf der letzten Seite: „Der Mensch muss sich selbst, seine Werte und Ziele ebenso erforschen, wie die Welt, die er zu verändern versucht“. Aurelio Peccei nannte die hierfür notwendige Entwicklung das „Abenteuer des Geistes“.

 

Seit der Gründung des Club of Rome wurden die Menschen technologisch noch mächtiger. Weltweit wurde sehr viel Wissen über die nahenden Herausforderungen aufgebaut. Man entwickelte auch Lösungen, ein wirklicher Wandel wurde jedoch nicht eingeleitet – die Idee des „Abenteuer des Geistes“ geriet in Vergessenheit. Sollten wir jetzt nicht auch die Offenheit haben, uns nicht nur darauf zu konzentrieren, was wir wissen, sondern zu fragen, was wir nicht wissen? Was haben wir zur Herbeiführung des Wandels übersehen? Jahrzehntelang glaubten wir, dass Wissen zum Handeln führen würde. Dürfen wir das in der heutigen Zeit weiter annehmen? Glauben wir, dass Wissen gepaart mit öffentlicher Aufmerksamkeit ausreichen, um die notwendige Transformation herbeizuführen? Oder besteht sogar die Gefahr, dass der Diskurs über das Thema Nachhaltigkeit zur Bildung eines Gegenpols beiträgt, der die Spaltung von Gesellschaften befördert und populistische Kräfte stärkt?

 

Die DGCOR will sich mehr ins Unbekannte wagen und neue Wege gehen. Es gilt, weit über die kognitive Ebene hinauszugehen, Menschen zu berühren, Resonanz zu erzeugen und die Sehnsucht nach einer positiven – einer lebensfördernden – Zukunft zu wecken. Keine Verzichtsdebatten zu führen, sondern erfahrbar zu machen, was wir gewinnen werden. Nicht so viel über technologische Lösungen und Regularien zu diskutieren, sondern Werte und Haltungen in den Vordergrund der Debatte zu stellen. Wer wollen wir als Mensch sein? Wird unsere heutige Gesellschaft auch in hundert Jahren noch als zivilisiert betrachtet werden oder als die Pharaonen oder Marie-Antoinettes des 21. Jahrhunderts? Werden sich die Menschen fragen, wie wir so lange an unseren ausbeuterischen und zerstörerischen Narrativen, allen voran dem des unendlichen Wachstums, festhalten konnten?

 

Das „Hamburger Menetekel“ war ein Schritt in die Richtung einer Rekultivierung des „Abenteuer des Geistes“. Mit dem Planetarium Hamburg arbeiten wir daran, eine lebensfördernde Zukunft nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondern – dank der 360-Grad-Kuppel – erfahrbar zu machen, indem man in diese wunderbare Welt förmlich eintauchen kann. All dies sind kleine Schritte in der Hoffnung, mehr Menschen und Organisationen zu inspirieren, sich dem zuzuwenden, was wir bisher als Menschheit sträflich vernachlässigt haben, nämlich Mensch zu sein.

 

„Es geht um nicht weniger als eine menschliche, eine kulturelle, Revolution“, sagte Peccei einmal. Jetzt ist es an der Zeit, jahrzehntelange Verhaltensweisen und Narrative zu hinterfragen. Das tut aktuell paradoxerweise die junge Generation – unsere Kinder. Sie sind es, die nicht an unsere gelebten Glaubenssätze anknüpfen wollen.

 

Nach jahrzehntelangem Raubbau an der Natur, der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen sowie der Geringschätzung menschlicher Arbeitskraft und Kreativität ist es an der Zeit innezuhalten. Wir sollten uns – gemeinsam mit unseren Kindern – fragen: „Was macht uns wirklich zufrieden und erzeugt Lebendigkeit im besten Sinne – in uns selbst, in unseren Städten, in der Natur und letztlich auf dem Planeten?“

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

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Mojib Latif ist Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome.
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