Eine wahre Geschichte

Der Film „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ erzählt vom geteilten Mödlareuth im Kalten Krieg

„Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ verhandelt als sechsteiliger ZDF-Fernsehfilm in zwei Staffeln die geschichtliche Entwicklung des fiktiven Dorfes Tannbach zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Prager Frühling 1968. Mitten durch Tannbach, dessen reales Vorbild Mödlareuth ist, verläuft die Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Das heißt, in der Zeit des Kalten Krieges standen sich im auch „Little Berlin“ genannten Ort nicht nur sowjetische und amerikanische Mächte gegenüber, sondern es wurde auch eine Mauer errichtet, die den Ort und Familien trennte. Alexander Dierbach führte Regie. Theresa Brüheim spricht mit ihm über die inhaltliche Vorbereitung und die filmische Umsetzung des Schicksals eines Dorfes.

 

Theresa Brüheim: Herr Dierbach, Sie haben Regie bei dem sechsteiligen ZDF-Fernsehfilm „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ geführt. Wie sind Sie zu dem Film gekommen?
Alexander Dierbach: Der Stoff kam zu mir: Die Produzentinnen Gabriela Sperl und Sophie von Uslar haben mich drei Jahre nach meinem Debütfilm, den sie produziert hatten, angefragt. Zu Beginn haben sie mir nicht viel über den Inhalt verraten. Ich sollte mich zuerst einlesen. Ich las die drei Bücher zu „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“, die mich emotional mitnahmen und mich zu der Frage führten: Wie kann ich mich so einer Geschichte nähern?

 

Wie haben Sie sich dann auf die Regie für den Film vorbereitet?
Das war ein langer Prozess: Ich war 34, als ich die Drehbuchvorlage bekam. Wenn man so jung ein Thema mit solch historischer Dimension vor sich hat, fragt man sich erst mal, ob man dem handwerklich und vor allem auch inhaltlich gewachsen ist.

 

Den Mauerfall habe ich nur durch Fernsehbilder miterlebt. Väterlicherseits kommt meine Familie aus dem Osten, mütterlicherseits aus dem Westen. Plötzlich wurde mir klar: Ich habe nie intensiver verfolgt, wie meine eigene Familiengeschichte dem gegenübersteht. Ich wusste etwas über das Leben in der Zeit mit der Mauer und nach dem Mauerfall, die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Teilung Deutschlands zeigte sich mir als großes Nebelfeld.

 

Es folgte eine intensive Recherchearbeit. Die Kernfrage dabei war: Was möchte ich erzählen? Wie authentisch soll erzählt werden? Die Bücher zu „Tannbach „ eröffneten mir plötzlich einen Blick in eine filmische Erzählzeit, in der es nicht ausschließlich darum geht, dass ein zerstörerischer Krieg beendet ist, sondern die ein weiteres Kapital aufschlägt: die Zeit nach dem Krieg. Befreit von den Alliierten, bewegen sich Tannbachs Figuren in einer Art Vakuum. Begleitet von Ablehnung und dem Nicht-loslassen-Wollen alter Ideale, verbindet alle Figuren eines: der Beginn einer neuen Zeit. Doch wie sieht diese Zeit aus?

 

Sehr schnell kam ich zu dem Ergebnis: Ich kann diese Filme nur inszenieren, wenn ich versuche, aus der damaligen Zeit heraus auf die Geschehnisse zu blicken, aus der vergangenen Gegenwart zu erzählen. Natürlich musste ich historisch wissen, wohin die Reise geht. Die Bücher zeigten dieses aber innerhalb ihrer fiktionalen Basis so genau, dass meine Aufgabe eher darin bestand, uns daran zu hindern, mit unserem heutigen Mehrwissen auf die damalige Zeit zu früh Wertungen auszusprechen.

 

Die Geschichte von Tannbach beruht auf der Geschichte des geteilten Ortes Mödlareuth – ein Dorf an der thüringisch-bayerischen Grenze, das in der Mitte durch die innerdeutsche Grenze in den amerikanischen und in den sowjetischen Sektor geteilt wurde. Entsprechend kam es dort zu einer Konfrontation der Mächte im Kalten Krieg. Inwieweit war – trotz fiktiven Spielfilms – Authentizität von Bedeutung?
Bei einem fiktiven Programm sind Bildung und Unterhaltung Grundsätze. Innerhalb von 90 Minuten können wir aber nur einen gewissen Abriss von historischen Ereignissen zeigen. Wir mussten in den Jahren springen. Wir haben einige Historiker an unserer Seite gehabt: Es sollte authentisch, aber nicht dokumentarisch dargestellt werden. Gemeinsam mit Produktion, Kamera, Szenenbild, Kostüm, Maske und Location-Scouts mussten wir es schaffen, „Tannbach“ zu kreieren. Ein Dorf auf dem Land, bespielbar auf 360 Grad, um keine Bühnenhaftigkeit zu erzeugen, authentische, zeitgemäße Kostüme sowie zeitgemäßer Look, begleitet von Anforderungen wie den verschiedenen Jahreszeiten.

 

Der Sechsteiler verhandelt einen sehr langen Zeitraum: von den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges über Zwangskollektivierung und den Mauerbau zu Beginn der 1960er Jahre bis zum Prager Frühling 1968. Wie sind Sie diesem langen Zeitraum filmisch Herr geworden?
Der Film erzählt vor allem von Menschen. Von Menschen auf dem Land nach dem Krieg, denen Konflikte wie Zugehörigkeit, Überlebenskampf, Neuordnung, Zerschlagung, Idealisierung und Zweifel an der Zukunft, Angst, Mut und Manipulation begegnen. Das Wichtigste dabei war, als Filmemacher Figuren zu kreieren, mit denen sich der Zuschauer in einer gewissen Form identifizieren kann. Er muss den Blickwinkel verstehen, wie diese Figuren die Zeit erleben. Über die Figuren versuche ich für den Zuschauer eine Beziehung zu dem Projekt herzustellen. Im besten Falle folgen die Zuschauer diesen Figuren, über diesen Zeitraum, diese Entwicklung, diese Veränderung. Daher war es auch wichtig, dass wir nicht nur eine West- oder eine Ostperspektive, sondern mehrdimensional diesen Mikrokosmos erzählen. Wir haben auch die unterschiedlichen Perspektiven jüngerer und älterer Generationen miterzählt. Dabei ist es nicht ganz einfach, tiefer und länger in einer Perspektive zu bleiben, da man sich aufgrund des historischen Zeitstrahls und der Sendezeit – die berühmten 90 Minuten – beschränken muss.

 

Was ist Ihnen von der Arbeit an Tannbach besonders in Erinnerung geblieben?
Es war eine Herausforderung, sich als Person, die nicht in dieser Zeit aufgewachsen ist, in diese Jahre hineinzuversetzen. Sie müssen wissen, wir haben den Prozess vom ersten Zaun und Pflock über den ersten Stacheldraht bis zu Mauer und Wachturm baulich nachempfunden. Das heißt, wir haben wirklich in diesem Dorf in Tschechien, das als Drehort gedient hat, eine Mauer gebaut. Zu Beginn des filmischen Prozesses bewege ich mich frei, bin auf einer Motivbesichtigung, kenne mein Kernthema, überlege, wie ich das darstelle – und Monate später stehe ich vor einer Mauer und kann selbst nicht zu meinem Team, das auf der anderen Seite ist. Das macht etwas mit einem. Man fühlt sich ansatzweise hineinversetzt in diese Art der Trennung bzw. Teilung. Das ist mir sehr in Erinnerung geblieben.

 

Welche Bedeutung kommt der Verarbeitung der deutsch-deutschen Erinnerung im Film zu?
Man kann und sollte aus der Geschichte unglaublich viel für die Gegenwart lernen. Das bedeutet nicht immer, dass sich die Historie wiederholen muss, aber womöglich tut sie das, aber in einem anderen Gewand. Prozesse können wiederkehren. Historische Bildung ist in einer Demokratie zwingend notwendig, damit man eine eigene Haltung zur Gegenwart und Zukunft entwickeln kann. Die Auseinandersetzung mit Vergangenem ist für die Gegenwart essenziell. Daher ist es für mich unerlässlich, sich als Filmemacher auch mit historischen Stoffen zu beschäftigen, ob inszenierend oder rezipierend.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.

Alexander Dierbach & Theresa Brüheim
Alexander Dierbach ist Regisseur. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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