Die japanisch-schweizerische Malerin, Grafikerin und Bildhauerin Leiko Ikemura gibt im Gespräch mit Cornelie Kunkat Einblick in ihre Arbeit, ihre Perspektive auf den Kunstmarkt und die Rolle von Künstlerinnen in diesem.
Cornelie Kunkat: Frau Ikemura, Ihre letzte Ausstellung in Berlin in St. Matthäus präsentierte sich im Kirchenraum wieder in einer für Sie charakteristischen Bandbreite zwischen Abstraktion und Figuration, Malerei und Skulptur. Entstehen diese vielfältigen Werke parallel oder arbeiten Sie in thematischen bzw. stilistischen Phasen?
Leiko Ikemura: Sowohl als auch. Häufig sind meine Arbeitsweisen etwas zeitversetzt und überlappen sich. So habe ich auch im Atelier drei Räume: einen vor allem für die Malerei, das ist der hinterste Raum, und davor ist die Skulptur. Je nach Stimmung bewege ich mich von Raum zu Raum. Z. B. war der Beginn der Coronazeit, der erste Lockdown, für mich eine unglaublich introspektive Zeit, die ich aber positiv nutzen wollte. Da entstand mehr Malerei. Später, im Sommer, empfing ich dann den Impuls, wieder mit der Skulptur zu arbeiten. Diese Stimmungen kommen nicht nur aus mir heraus, sondern hängen indirekt auch damit zusammen, was in der Umwelt oder Politik passiert.
Was möchten Sie mit Ihren Werken zum Ausdruck bringen?
Das ist sehr vielfältig. Es ist einerseits eine ständige Suche, eine Selbstbefragung, inhaltlich, kunstimmanent und introspektiv. Auf der anderen Seite möchte ich etwas mitteilen, an die anderen, an dich, an jeden, der es sein könnte. Diese Mitteilung soll aber wahrhaftig und authentisch sein, auch wenn das etwas pathetisch klingt. Sie soll also nicht mit einer Strategie oder einem rein diesseitigen Interesse verbunden sein. Diese Mitteilung kann nicht verbal ausgedrückt werden und lässt auch dem Betrachter viele Möglichkeiten.
Die Interpretation möchten Sie also offenlassen?
Genau, es sind offene Möglichkeiten. Und ich wünsche mir, dass meine Mitteilungen nicht verstanden, sondern empfunden werden, also körperlich-emotional.
Das ist eindrücklich formuliert. Gab es einen Punkt in Ihrer Entwicklung als Künstlerin, von dem Sie sagen würden: Jetzt habe ich mich als Künstlerin etabliert?
Das ist eine sehr verständliche, aber auch eine gefährliche Frage. Denn genau das meide ich, in diesen Kategorien zu denken. Kunst ist ein lebenslanger Weg, mein Commitment, mein alles. Aber natürlich freue ich mich ab und zu, wenn ich sehe, eines meiner Werke hat eigenständigen Charakter, eigene Lebensqualität oder besser Überlebensqualität.
Gab es trotzdem eine Ausstellung oder einen Verkauf, nach dem Sie plötzlich dachten: „Wow, ein Stück des Weges geschafft“?
Das gab es immer wieder, zum Glück, weil das ja auch ein Dialog mit dem unbekannten Publikum ist. Und es ist eine subversive Botschaft, nicht verbal fixierbar, aber eine emotionale Kommunikation, eine Würdigung. So hatte ich z. B. letztes Jahr eine große Ausstellung im National Art Center in Tokio und im Kunstmuseum Basel. Es war wie eine gewisse Anerkennung meiner künstlerischen Arbeit aus 40 Jahren. Es gab einen Moment, wo man sagen konnte, ja, trotz vieler Zweifel habe ich mein Bestes gegeben und meine Arbeit wurde mit einer Energie angenommen. Das lässt mich empfinden, dass ich auf einem guten Weg bin. In dem Sinne war es ein sehr schöner Moment.
War es auf Ihrem Weg wichtig, dass Sie als Professorin gewirkt haben? Sie sind ja 1991 an die Universität der Künste Berlin berufen worden und 2014 an eine Universität nach Japan.
Ja, sehr. Als ich als Professorin tätig war, habe ich das aber nicht immer so empfunden. Die Zusammenarbeit mit der jüngeren Generation hat mir unglaublich viel gegeben und ich ahnte, was ich beitragen könnte als Fremde, als Andersdenkende. Außerdem war es eine Verankerung in dieser Realität und im Engagement. Ich habe versucht, nicht die einseitig auf Erfolg orientierte Kunstmarktwelt zu vermitteln. Und ich hoffe, dass mir das auch gelungen ist.
Hatten Sie das Gefühl, sich irgendwann in diesem Kunstmarkt etabliert zu haben, selbst wenn es nicht Ihr primäres Ziel war? Gab es da einen markanten Punkt?
Ich sage mal so, als ich gemerkt habe – schon lange her –, dass meine Arbeiten als Werk eine bleibende Qualität haben und sie deshalb jemand besitzen und dafür Geld zahlen will, hat mich berührt. Dieser merkantile Aspekt ist ein Teil von unserem Leben. Und es ist ein Spagat, man muss mit ihm leben. Denn wir haben das Recht, von dem, was man liebt zu machen, auch zu leben.
Machen Sie sich über den Kunstmarkt während Ihres Schaffensprozesses Gedanken?
Nicht während der Atelierarbeit. Aber natürlich denke ich über Ausstellungsmöglichkeiten nach und dazu gehört die Kunstmarktsituation, das ist eine fließende Grenze. Denn wenn man eine gute Ausstellung macht, gibt es auch Anfragen. Deshalb arbeite ich mit Galeristen zusammen. Sie sind dafür zuständig, dass meine Arbeiten nicht nur vermittelt, sondern auch verkauft werden, an gute Adressen kommen, Museen oder gute Sammlungen. Also nicht nur schnelles Business.
Mit wie vielen Galeristen arbeiten Sie derzeit zusammen?
Also, ich würde sagen, sechs, sieben, je nach Lage und Situation der Nachfrage.
In wie vielen Ländern?
Meist in Deutschland. Schweiz. Frankreich. Italien. Ich hatte auch mal Galerieausstellungen in Dänemark, Belgien, Holland. Japan natürlich, Amerika ist noch offen. Diese Internationalität ist ein großer Wunsch von mir.
Wie lang ist Ihr längstes Galerieverhältnis?
Mit der Galerie Karsten Greve in Köln, Paris und St. Moritz bin ich schon über 30 Jahre verbunden. Andere Zusammenarbeiten dauern meistens lange, oft mehrere Jahre.
Das klingt spannend und dynamisch. Und wie viele Ihrer Sammler kennen Sie?
Ich bin da eher zurückhaltend, weil ich diese Arbeiten den Galeristen überlasse. Aber es entstehen immer wieder tolle Freundschaften über die Jahre – vor allem im Rheinland. Dort sind die Menschen sehr, ich sage mal, warmherzig – sie sind Genussmenschen. Sie leben mit der Kunst und laden Künstler ein. Dieses lebendige Gespräch, das mag ich schon sehr.
Wie hat sich in Ihrer Wahrnehmung der Kunstmarkt seit den 1980er Jahren entwickelt?
Enorm. In den 1980er Jahren war der Kunstmarkt noch so jungfräulich. An sich ist dieser Markt ja schon uralt, aber in den 1980er Jahren hat sich eine Art neue Landschaft eröffnet, das Bürgertum war nicht mehr so dominant. Jeder Interessierte konnte im Prinzip mitmachen. Es entwickelte sich eine spezielle Atmosphäre, offen und lebendig. Künstler wurden Teil der gesellschaftlichen Struktur. Ende der 1980er Jahre kam dann eine eher postmoderne Atmosphäre von „Anything Goes“ auf. Und immer mal wieder gab es Finanzkrisen.
Also, ich habe mindestens dreimal so ein Auf und Ab erlebt. Insbesondere für Künstler ist dies schwer zu überleben. Ja, und derzeit ist der Kunstmarkt zwar aktiv, aber zu viele kaufen mit den Ohren und nicht mit dem Herzen. Es ist ein bisschen kalt geworden. In den 1980er Jahren war zwar auch das Geld ein aktiver Motor, aber es gab mehr Wärme und Prinzipien des Zusammenkommens.
Haben Sie grundsätzlich das Gefühl, dass Frauen eine andere Rolle als Künstlerinnen und entsprechend auf dem Kunstmarkt spielen?
Das ist eine sehr heikle Frage – immer wieder gestellt, immer wieder schwer zu beantworten. Ja, Frauen haben es schwerer, aber das ist auch generationenabhängig. In den 1970er Jahren war Feminismus fast ein „Must“. Die damaligen Künstlerinnen haben Pionierarbeiten gemacht, die Wege geebnet und sehr viel Hohn bekommen. Meine Generation stand ein bisschen besser da, aber noch immer ohne Kooperation zwischen den Geschlechtern. Für mich als Professorin war es deshalb wichtig, dass ich den Studentinnen Selbstbewusstsein vermittle, mehr an sich zu glauben und an den eigenen Zweifeln nicht kaputtzugehen. Auch ich kenne das bei mir, aber ich kämpfe dagegen und versuche es nicht immer zu thematisieren, nach dem Motto: Ach, die Gesellschaft ist schlecht und die Männer sind blöd, sondern lieber: Was kann ich da machen?
Haben Sie es als besondere Auszeichnung empfunden, mit 40 eine Professur angeboten zu bekommen? Damals waren ja noch sehr wenige Frauen als Lehrende tätig.
Tatsächlich war es sehr hart. Beinahe sollte es sogar verhindert werden. Ich war die erste ausländische Professorin für die Männerdomäne Malerei und sehr, sehr jung. Lange hat es gedauert, bis meine Haltung akzeptiert wurde. Ich musste sehr kämpfen, denn ich musste neben der Lehre ja auch noch meine eigene Arbeit vorantreiben. Das war das wichtigste Ziel.
Haben Sie Wünsche an die Zukunft, vielleicht auch in Hinsicht auf den Kunstmarkt?
Ich wünschte, dass die Kunst in der Gesellschaft eine andere Wertigkeit hätte. Die Kunstmarktobrigkeit und -hörigkeit finde ich einseitig und übertrieben. Natürlich ist der Markt ein wichtiger Faktor, aber nicht das einzige Kriterium für Wertigkeit. Weniger dotierte und bekannte Künstler sollten mehr Aufmerksamkeit bekommen – einfach für deren Qualität. Natürlich ist die Qualitätsfrage sehr schwierig, weil sie immer subjektiv ist und mit der eigenen Weltanschauung zu tun hat. Wichtig wäre mir, dass auch Performances und interdisziplinäre Gattungen mehr honoriert werden. Ich finde, die Arbeit von Kunstvereinen und Kunst-Biennalen einerseits und der Kunstmarkt andererseits driften oft zu stark auseinander. Sie sollten aber nicht gespalten sein und die Künstler viel autonomer werden. Das ist der Punkt. Die Kunstmarktgläubigkeit hat die Künstlerinnen und Künstler stark dividiert. Wir alle sind irgendwie Einzelkämpfer, wenn man ganz ehrlich ist. Und das finde ich sehr schade.
Gibt es gar keine Lichtblicke?
Doch, neulich hat mich ein junger Künstler gefragt, ob ich bei einer von ihm kuratierten Ausstellung teilnehmen möchte. Es müsse kein Werk, sondern könne auch ein Prozess sein. Das finde ich total schön. Solche kollegialen Aktivitäten, die inhaltlich motiviert sind, mit dem Leben und der Suche zu tun haben. Die braucht es unter Künstlern.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.