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Die Digitalisierung verändert das Verständnis von Kultur und Museen

 

Wenn man annimmt, dass heranwachsende Generationen über die selbstverständliche Handhabe und den Umgang mit digital gestützter Kultur in ihrem Kulturverständnis geprägt werden, wird plausibel, dass sich unser Verständnis von Museen und dem durch sie bewahrten kulturellen Erbe weiter wandeln wird. Auch müsste man dann jenseits des traditionellen Bereichs unserer Kultur diesen Bedeutungswandel wahrnehmen können. So ist z. B. die Abnahme des Prestiges, das speziell bei uns in Deutschland in der Vergangenheit mit dem Besitz eines Autos verbunden war, durchaus als eine Konsequenz dieses kulturellen Wandels deutbar. Ziehen doch vor allem junge Menschen zunehmend vor, sich ein Auto, das ihnen nicht gehört, spontan zu benutzen, wenn sie es gerade benötigen. Das Mobilitätsbedürfnis steigt, wird jedoch zunehmend unabhängig von eigenen Fahrzeugen befriedigt. Die durch digitale Technologien ermöglichte Sharing-Ökonomie kann als Symptom für diesen tief greifenden durch die Verbreitung digitaler Technologien hervorgerufenen Wandel verstanden werden.

 

Kommen wir nun zu der Frage, inwieweit die Definition von Kultur im Allgemeinen und immateriellem Kulturgut im Speziellen durch diese Überlegungen befruchtet werden kann. Einerseits scheint klar, dass originär digitale Werke und kulturelle Traditionen einer eigenen Zuordnung bedürfen. Wenn sie aufgrund ihrer immateriellen Natur nicht zum materiellen kulturellen Erbe zählen, müssen sie entweder als immaterielles Kulturerbe verstanden werden oder man muss eine neue Kategorie eröffnen.

 

Allerdings ist es mir an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass die zunehmende Digitalisierung unserer Lebensbereiche nicht notwendigerweise zur Folge hat, dass eine wesentliche gedankliche Grundlage, auf der unsere traditionelle Wertschätzung materieller Kultur beruht und die vereinfachend als Leistungsgesellschaft beschrieben werden kann, an Gültigkeit verliert. Auf der praktischen Ebene der Werkzeuge und Anwendungen werden virtuelle Güter und Prozesse zunehmend die materiellen ersetzen, da sie bessere Zugangs- und Partizipationsmöglichkeiten versprechen. Auf einer übergeordneten Ebene jedoch können diese neuen Möglichkeiten durchaus zur Weiterentwicklung der gedanklichen Grundlage unseres materiellen Weltbildes beitragen, eine Möglichkeit, die sich ebenfalls gut an Computerspielen verdeutlichen lässt. Schaut man sich die Marktentwicklung der letzten Jahre an, wird ein zunehmend großer Teil des Umsatzes nicht mehr durch den Verkauf von den Spielen selbst, sondern durch virtuelle Gegenstände wie besondere Kleidungsaccessoires generiert, mit denen sich die Spieler von anderen Spielern im Spiel abheben können. Zwar handelt es sich dabei nicht um materielle Güter, die man traditionell besitzen kann, aber Statussymbole im althergebrachten Sinne sind es allemal. Und bedenkt man darüber hinaus, dass die soziale Stellung eines Spielers auch wesentlich von seiner Leistung im Spiel abhängt, wird augenscheinlich, dass Spiele an sich geeignet sind, als Miniaturmodell unserer Leistungsgesellschaft verstanden zu werden. Nur, weil eine kulturelle Tradition von ihrem Wesen her immateriell ist, muss dies nicht notwendiger Weise bedeuten, dass sie der Weltsicht widerspricht, die dem Materialismus zugrunde liegt. Im Gegenteil kann sie den Materialismus, in unserem Fall durch Entmaterialisierung, auf eine neue Stufe heben, und in Bereichen wirkungsmächtig werden lassen, in denen bisher andere ideologische Orientierungen galten.

 

Nur im Bewusstsein dieses Kontextes scheint mir die Diskussion um eine Neudefinition unseres Verständnisses des kulturellen Erbes fruchtbar. So möchte ich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es zu einer Art „Comeback“ der physischen Welt kommen wird, die ja auch immer einen Möglichkeitsraum unmittelbarer sozialer Begegnungen und Interaktionen zwischen Menschen bleiben wird. Welchen Einfluss es dann aber auf unsere kulturelle Praxis hat, dass dieses Miteinander nicht mehr der Normalzustand, sondern ein besonderer und zunehmend bewusst inszenierter ist, wird eine der zentralen Fragen sein, deren Beantwortung aus der Definition unserer Kultur im Allgemeinen und des Verständnis von Museen im Besonderen mitgedacht werden sollte.

Andreas Lange
Andreas Lange ist Direktor des Computerspielemuseums in Berlin.
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