Erinnerungskultur braucht den Diskurs

Der gamescom congress 2018

Christian Schiffer legte den Finger in die Wunde: „Computerspiele sind aktuell sehr schwach darin zu sagen: So war es.“ Wenn man es allen recht machen möchte, dann wird es schwierig, eine Aussage zu treffen. Aussagen wie vom ehemaligen Electronic Arts (EA)-Mitarbeiter Patrick Söderlund – „either accept it or don’t buy the game“ – bleiben die krasse Ausnahme. Und das auch vielfach aus Angst vor „sehr lauten, sehr aggressiven Gruppen in der Community, die häufig sehr reaktionäre Thesen vertreten“, wie Jörg Friedrich feststellt. Aber solche Gruppen gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. In Computerspielebereich konnte sich diese rückwärtsgewandte Minderheit wohl einfach nur zu lange im entpolitisierten Raum festsetzen und die Diskussionen prägen. Auch das muss sich jetzt ändern, wenn Computerspiele einen ernsthaften Beitrag zur Erinnerungskultur leisten wollen. Denn schlussendlich geht es nun darum, sich der eigenen Rolle und der eigenen Verantwortung bewusst zu werden. Wer, wie am vieldiskutierten „Wolfenstein: The New Colossus“ deutlich wurde, die Juden aus dem Spiel streicht und durch „Verräter“ ersetzt, so machte Jörg Friedrich deutlich, der betreibe Geschichtsrevisionismus. Das mag dann zwar die ökonomisch klügste Entscheidung gewesen sein, doch es ist gleichzeitig auch Machtmissbrauch. Missbraucht wird die Macht, das Geschichtsbild abertausender Menschen zu prägen. Es ist wichtig, dass die Entwickler und Publisher jetzt merken, dass sie sich auch den kritischen Stimmen stellen müssen, die sich dagegenstellen. „Vor fünf Jahren wollten alle zum Kulturbereich zählen, wussten aber gar nicht, was das bedeutet. Da wollten Leute eher an Fördertöpfe ran“, attestiert Christan Schiffer. Und ja, man kann sagen: Jetzt gehört ihr dazu und jetzt müsst ihr euch auch den Diskussionen stellen. Vor allem müssen die Entwickler und Publisher nun auch all das hinterfragen, was seit Jahrzehnten als gegeben vorausgesetzt wird. Andreas Lange erinnert daran: „Die Spielmechanik liefert Bedeutung mit und zwar implizit und hat dadurch vielleicht eine noch prägendere Wirkung.“ Wenn ein historisches Setting mit den in Computerspielen dominanten Maximen von Wettkampf und Gewinn aufgeladen wird, dann prägt das unweigerlich unser Bild von dieser Zeit.

 

Deswegen tut diese Diskussion auch so weh, sie geht an die Substanz. Im kulturellen Diskurs wird über explizite und implizite Botschaften, über Verantwortung und künstlerisches Selbstverständnis gesprochen. Indem sich das Medium weiter ausdifferenziert, wird gezeigt, was abseits der weißgewaschenen und „politisch entkernten“ – so Schiffer – Kriegs- und Allmachtsfantasien in historischem Gewand sonst noch möglich ist. Jörg Friedrich ist es „ein bisschen leid, den Täter zu spielen“ und deswegen möchte er mit „Through the Darkest of Times“ ein Spiel vorlegen, das historische Persönlichkeiten darstellt, „von denen man mit Fug und Recht behaupten kann: Die haben heldenhaft gehandelt“.

 

Vielleicht wird dieses Spiel die Diskussion um die Erinnerungskultur im Computerspiel noch weiter prägen, vielleicht werden auch wieder ganz andere Formate gefunden werden, um das Historische spielerisch zugänglich zu machen. Diskurse wird es weiterhin geben, dagegen können sich laute Minderheiten in der Spielerschaft oder glattpolierte Publisher noch so sehr sträuben. Das Panel auf dem gamescom congress war ein wichtiges Zeichen. Die Zivilgesellschaft und darin all die Experten in ihren Nischen müssen jetzt gemeinsam auch genau die Diskussionen führen, die weh tun, die nach Moral und Verantwortung fragen. Solche Diskussionen und nicht Fatalismus oder Ausflüchte sind der Weg, um das Medium und unsere Erinnerungskultur zu gestalten.

Felix Zimmermann
Felix Zimmermann promoviert in Köln zu Atmosphären im Computerspiel.
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