Einigkeit

Der Deutsche Computerspielpreis 2018

Das Jahr 2017 war für den Deutschen Computerspielpreis ein Jahr der Forderungen und der Kritik. Das Entwicklerstudio Mimimi Productions hatte mit der Ablehnung des Preises für das Beste Gamedesign eine noch kaum verheilte Wunde wieder aufgerissen. Die Juryarbeit wurde kritisiert und man bediente sich hierfür dem eng mit der Geschichte des Computerspielpreises verbundenen Instrument des Skandals. Etwas weniger reißerisch, doch durchaus auch eindeutig hatte Dorothee Bär – damals noch Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und Digitale Infrastruktur – zu Beginn der Verleihung noch gefordert, sich im Angesicht der nahenden Koalitionsverhandlungen offensiv und gemeinsam einzubringen, um die Positionen der Spieleindustrie in der neuen Regierung starkzumachen. Sowohl die Preisverleihung wie auch die Koalitionsverhandlungen verliefen dann durchaus anders als erwartet.

 

2018 könnte nun ein Jahr der Erfolge werden, sofern die diesjährige Preisverleihung ein Indikator sein kann. Zumindest konnten Branchenvertreterinnen und Branchenvertreter ihr wiedererstarktes Selbstbewusstsein kaum verstecken. Beseelt von der Merkel’schen Segnung der Branche – sie hatte im August 2017 die gamescom in Köln eröffnet – scheint nun einfach alles möglich. Auch der größte Zyniker muss anerkennen, dass sich in den Monaten nach der gamescom einige erfreuliche Entwicklungen ergeben haben, die die Branche nun in Aufbruchstimmung schwelgen lassen. Nachdem das braune Monster bei der Bundestagswahl aus der dunkelsten Höhle der Geschichte gekrochen war, mussten die alten und neuen Regierungsparteien zwar erst einige Monate Schockstarre überwinden, konnten sich dann aber doch zusammenraufen. Schon im Januar dieses Jahres waren der Verband GAME und der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) vorbildlich vorangeschritten und hatten der zukünftigen Bundesregierung gezeigt, wie schön Einigkeit doch sein kann, als sie sich zum Verband game zusammenschlossen.

 

Und die guten Nachrichten hörten gar nicht mehr auf. Dorothee Bär stieg in der neu gegründeten Regierung zur Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Digitalisierung auf – eine Position, die sie sich wohl auch als Vorkämpferin für den Computerspielpreis erarbeitet hat. An der diesjährigen Preisverleihung im Münchener Kesselhaus und Kohlebunker konnte sie zwar nicht teilnehmen, doch als sie sich per Videobotschaft meldete, da konnte man spüren, wie die Seriosität des Kanzleramtes auf den Preis danieder ging. Ganz die Digitalministerin bestätigte Dorothee Bär dann auch per Twitter mit einem vielsagenden „So ist das!“, dass der Computerspielpreis das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur im kommenden Jahr hinter sich lassen wird.

 

Dann gab sich auch noch der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Ehre, der den Standortfaktor Computerspiel mit Blick auf die Landtagswahlen in diesem Jahr natürlich nicht verschmähen wollte. Schlussendlich überreichte Söder dann auch den Preis für das Beste Deutsche Spiel an den Abräumer des Abends: „Witch It!“.

 

Auch in den Kategorien Bestes Jugendspiel und Bestes Internationales Multiplayer-Spiel konnte „Witch It!“ – nicht nur zur Überraschung des sympathischen Entwicklerteams Barrel Roll Games – gewinnen und somit insgesamt 185.000 Euro an Preisgeldern einfahren. Mit diesem Geld kann nun sicherlich das aktuell noch unfertige, aber bereits als sogenannter „Early-Access“-Titel verfügbare Spiel fertiggestellt werden.

 

Wer nun die Foren einschlägiger deutscher Computerspielemagazine betritt, der ertrinkt fast in der schier endlosen Flut an Schmähschriften und Berichten über die Unfähigkeit aller Beteiligten an diesem Preis ob der Auszeichnung von „Witch It!“. Besonders überraschte, dass „Witch It!“ mit dem undotierten Preis als Bestes Internationales Multiplayer-Spiel ausgezeichnet wurde und sich dabei gegen finanzstarke und hocherfolgreiche Produktionen wie „Monster Hunter: World“ und „Splatoon 2“ durchsetzte. Dass ein deutsches Spiel in dieser internationalen Kategorie gewinnt, ist ein Novum für den Computerspielpreis. Gewiss ist das ob der starken Konkurrenz überraschend, doch es passt ins Bild des diesjährigen Preises.

 

Der deutsche Markt für Computerspiele wächst seit Jahren und hat nach Zahlen des Verbandes game nun erstmals einen Gesamtumsatz von drei Milliarden Euro überschritten. Riesige Geldmengen werden umgesetzt, doch der Großteil dieses Geldes fließt ins Ausland zu den großen Entwicklerstudios und Publishern. Als Ralf Wirsing stellvertretend für Ubisoft die Auszeichnung als Bestes Internationales Spiel für „Assassin’s Creed Origins“ entgegennahm, da wies er darauf hin, dass dieses Spiel federführend in Montreal und mithilfe vieler „Satellitenstudios“ auf der ganzen Welt produziert wurde. Als Vorstandsvorsitzender des Verbandes game äußerte er dann allerdings auch den Wunsch, in wenigen Jahren einen Preis annehmen zu können für eine Produktion von diesem Kaliber, die dann aber federführend in Deutschland entwickelt sein würde.

Ein Fördersystem wie in Kanada bräuchte es, um diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Und tatsächlich reift die Hoffnung – nicht zuletzt wegen des noch jungen Koalitionsvertrages –, dass ein ähnliches Fördersystem bald in Deutschland installiert werden könnte. So ist auf Seite 18 dieses Vertrages zwischen Union und SPD von der „Einführung von Games-Förderung auf international wettbewerbsfähigem Niveau“ die Rede, auf Seite 44 dann detaillierter von einem „level playing field (…), um den Entwicklerstandort Deutschland zu stärken und international wettbewerbsfähig zu machen“. Die Erwähnung einer solchen Förderung im Koalitionsvertrag gab und gibt der Branche – auch am Abend der Preisverleihung – Rückenwind.

 

Was aus dieser Förderung schlussendlich wird, muss sich zeigen, doch das Signal ist klar. Der Preis nahm in diesem Jahr den Ball auf und spielte ihn weiter. So ist die Auszeichnung von „Witch It!“ vor allem auch als Signal zu verstehen. Der Kampf um die Anerkennung der Computerspiele in Deutschland scheint zumindest vorläufig gewonnen. Jetzt kann der Blick auf die Märkte dieser Welt gerichtet werden. Und „Witch It!“ soll nun zeigen: „Wir können da mithalten!“

 

Ob diese Selbsteinschätzung auch der Realität entspricht, muss zumindest zum jetzigen Zeitpunkt bezweifelt werden. „Shadow Tactics: Blades of the Shogun“, dessen Entwickler den Preis im letzten Jahr ablehnten, ist sicherlich ein Spiel von internationalem Format. „Witch It!“ ist möglicherweise noch nicht so weit, doch ist die Entwicklung dieses Spiels auch noch nicht abgeschlossen. Zumindest begibt sich „Witch It!“ als Multiplayerspiel auf für deutsche Entwicklerinnen und Entwickler eher ungewohntes Terrain und ist wohl auch gerade deshalb als Bestes Deutsches Spiel ausgezeichnet worden.

 

Dem breiten Publikum bleiben die – von mir vermuteten – Nuancen dieser Auszeichnung im Kontext allgemeiner Aufbruchstimmung verborgen. Viele sprechen Produktionen wie „Witch It!“ ab, ein ernsthaftes Spiel zu sein, nur weil da am Horizont irgendwo ein Milliardenprojekt wie „Overwatch“ steht. Diese Einschätzung ist natürlich absolut verfehlt, doch könnten die Jurys des Computerspielpreises gewiss mehr dafür tun, ihre Entscheidungen verständlicher zu machen, indem sie beispielsweise ganz besonderen Wert auf aussagekräftige Begründungstexte legen. Der Computerspielpreis fühlt sich seit jeher und auch in diesem Jahr wie ein Preis der Branche für die Branche an, bei dem Spielerinnen und Spieler nur zugucken dürfen. Natürlich ist der Preis auch als Förderpreis für die Branche angelegt, doch Akzeptanzprobleme in der breiten Öffentlichkeit bleiben auch bei dieser zehnten Verleihung bestehen und müssen angegangen werden.

 

Dabei haben genau diese kritischen Spielerinnen und Spieler in diesem Jahr auch erstmals ein deutsches Spiel mit dem Publikumspreis ausgezeichnet: das von Piranha Bytes entwickelte „Elex“. Es gibt also gewiss keine unüberwindbare Feindschaft zwischen den Spieler­innen und Spielern in diesem Land, die zu den Milliardenumsätzen beitragen, und den Entwicklerinnen und Entwicklern. Die Spiele werden gespielt und Qualität wird – siehe „Elex“ – durchaus auch wertgeschätzt. Vielfach gehen vielversprechende Spiele aus Deutschland aber an dieser Zielgruppe vorbei, die dann beim Computerspielpreis nur ungläubig vor dem Livestream sitzt. Es geht also auch darum, Vorurteile gegenüber deutschen Produktionen abzubauen und die Stärken der Spiele transparenter zu machen. Dazu kann und muss der Computerspielpreis beitragen.

 

Der Kampf um die politische Führungsriege dieses Landes mag vielleicht gewonnen sein, jetzt gilt es, die Millionen Menschen zu überzeugen, die in Deutschland spielen. Dann glaubt nicht nur die Branche selbst daran, dass deutsche Entwicklerstudios zu Global Playern werden können, sondern bald vielleicht auch das ganze Land.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2018.

Felix Zimmermann
Felix Zimmermann promoviert in Köln zu Atmosphären im Computerspiel.
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