Der kulturelle Ausdruck einer jungen Generation

Die Zukunft der Computerspielpolitik

Seit mehr als einer Dekade verkennt die deutsche Kulturpolitik den Stellenwert von Computerspielen als Kulturgut. Trotz der entsprechenden Anerkennung durch den Bundestag im Jahr 2007 wird der deutsche Beitrag zur globalen Kulturpolitik in diesem Wachstumssegment gebremst. Damit einhergehend wurden maßgebliche gestaltende Impulse zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung unterlassen. Ein Ausklammern der kulturellen Bedeutung und damit eine auf wirtschaftliche und technologische Bedeutung reduzierte Sicht auf Computerspiele führt zu einem unvollständigen Blick auf den Paradigmenwechsel durch die Digitalisierung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den damit einhergehenden disruptiven gesellschaftlichen Veränderungen. Deutschland hat dadurch eine schlechtere Startposition um den Wettbewerb für eine zukunftsfähige Gesellschaft.

 

Es bedarf dringend einer gesellschaftlichen Diskussion, die durch Unterstützung der Kulturwissenschaft auf eine Ebene gehoben werden muss, die dem Kulturgut Computerspiele angemessen ist. Denn Computerspiele werden die Entwicklung unserer kulturellen und ethischen Werte immer stärker prägen.

 

Computerspiele sind Kulturgut und Kunst
Computerspiele sind nicht nur dann Kulturgut, wenn sie in Deutschland hergestellt wurden oder es Schauplatz ihrer Geschichten ist. Schwerpunkte der kulturellen Begegnung sind die Communities, in denen Spieler vor allem miteinander interagieren. Als kürzlich Stephen Hawkings verstarb, haben sich Spieler von Eve Online – einem Online-Multiplayer Universum – zusammengeschlossen und den Himmel dieses virtuellen Universums ihm zu Ehren erhellt. In diesen oftmals globalen und für prinzipiell jeden zugänglichen Communities werden Menschen zu Freunden, sie unterstützen einander und entwickeln Projekte oder spenden gemeinsam für gemeinnützige Zwecke. Hier werden gemeinsame Werte entwickelt und ausgetauscht, auch hier findet gesellschaftlicher Diskurs statt.

 

Ein anderer Schwerpunkt kultureller Bedeutung, der für viele oft gar nicht sichtbar ist, liegt in der grundsätzlichen Systematik von Computerspielen – nämlich, dass sie fair sein müssen. Der geradezu wichtigste Bereich des Game Designs liegt deshalb im sogenannten „Balancing“ – was nichts anderes aussagt, als dass Spieler sich weder vom Spiel selbst noch von Mitspielern betrogen fühlen möchten und dass es gerecht zugeht. Fairness in einem Spiel herzustellen, ist somit eine zentrale Aufgabe der Spieleentwicklung. Fairness ist für die Spieler so essenziell wichtig, weil dies in einem System, was auf Regeln basiert, die einzige verbindliche Verabredung ist. Fairness als Grundprinzip gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begreifen, wird in Computerspielen gelebt und im wahrsten Sinne des Wortes kultiviert.

 

Um zu verdeutlichen, wie wichtig dieser Aspekt ist, lohnt sich ein Blick auf Spiele, die aus künstlerischer Absicht dem Spieler ein faires Spiel verweigern. Die Einzigartigkeit der Kunstform Computerspiele zeigt sich genau dann, wenn in dem Spiel „This war of Mine“ – welches das menschliche Leiden in Kriegsgebieten zum Thema hat – ein Gewinnen letztlich nicht möglich ist, dann vermittelt das Spiel die Botschaft, dass es im Krieg nur Verlierer gibt. Wenn in „Spec Ops the Line“ Spielern keine echte Wahl gegeben wird, ob sie sich moralisch gut verhalten können, selbst wenn sie es erbittert versuchen, vermittelt das die Botschaft, dass Krieg ein vollkommen sinnloses Unterfangen ist.

 

Computerspiele sind Kunst und als solche einzigartig, insofern sie als Medium die Möglichkeiten der narrativen, ästhetischen und interaktiven Ausdrucksformen nutzen, um Spiegel der Gesellschaft zu sein.

 

Computerspiele haben ihr größtes Publikum bei überwiegend jüngeren Menschen – der kommenden, die nachfolgende Gesellschaft gestaltende Generation. So wie für frühere Generationen junge Medienformate wie Comics oder Rock ’n’ Roll gleichzeitig Identifikation und Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration waren, sind dies heute Computerspiele. Sie sind Ausdruck der Kultur einer jungen Generation. Die Zukunft der nächsten Generation wird durch Technologie, Digitalisierung und ihren Ausdrucksmitteln maßgeblich beeinflusst. Diese Generation will nicht nur konsumieren, sondern auch gestalten – wie sich auch an den ständig wachsenden Angeboten und der Nachfrage nach Studienplätzen im Bereich Spieleentwicklung ablesen lässt: Allein mehr als 20 staatliche Angebote rund um die Entwicklung von Computerspielen haben sich in den letzten gut zehn Jahren in Deutschland etabliert. Immer häufiger entstehen kleine Teams mit eigenen kreativen und künstlerischen Projekten, die sich als Grundlage für die Gründung von Entwicklerstudios eignen.

 

Wenn aber junge Gründer ihre Spielideen und kreativen Konzepte realisieren wollen, stehen sie vor der großen Herausforderung, dass ihre künstlerischen Ambitionen nachvollziehbarer Weise nicht von denen finanziert werden, die ausschließlich in voraussichtlich ökonomisch erfolgreiche Projekte investieren. Die Publisherfinanzierung ist jedoch bisher die nahezu einzige Möglichkeit, eine Finanzierung für eine teilweise mehrjährige Entwicklung zu realisieren. Aber selbst wenn eine Publisherfinanzierung glückt, bedeutet es, dass die IP und somit die Marke an den Publisher übergehen. Kreative lassen sich in der Regel darauf ein, da sie nur so ihr Projekt überhaupt beenden und der Öffentlichkeit zugänglich machen können. Nach Beendigung des Projektes stehen sie folglich wieder am Anfang, häufig sogar mit weniger als vorher, da sie in den Aufbau der Marke zumeist mit eigenen Mitteln investiert haben. Gleichzeitig werden die von ihnen entwickelten Marken nicht mehr von ihnen selbst betrieben und weiterentwickelt werden können.

Linda Breitlauch
Linda Breitlauch ist Professorin für Game Design an der Hochschule Trier und Jurymitglied des Deutschen Computerspielpreises.
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