„Was für ein Theater machen Sie eigentlich?“ – das werde ich immer wieder mal gefragt. Von Kulturfreunden in München, die sich mit Kultur eigentlich auskennen sollten, und von Politikern in Berlin, die eigentlich über wichtige Verbände und Vereine Bescheid wissen müssten. Die Frage geht von einer falschen Annahme aus. Denn, nein, Theater im eigentlichen Wortsinn machen die Theatergemeinden normalerweise nicht. Wir vermitteln Theater. Aber auch Musik, Film, Brauchtum, Kunst und noch viel mehr. Wir bringen die Kultur, so wie sie entsteht, gefördert wird, produziert wird, mit denjenigen zusammen, die sie erreichen will: mit dem Publikum. Wir helfen den Menschen, die gerne zur Kultur möchten, die sozusagen Publikum werden möchten, aber durch Schwellenangst, Sprachbarrieren, Geldmangel oder Lustlosigkeit davon abgehalten werden. Wir machen Lust auf Kultur, wir bieten Service, Informationen und Rabatte, wir geben Wissen weiter, wir vermitteln Inhalte – zu besonders günstigen Preisen. Und das machen wir im Rahmen des ehrenamtlichen, gemeinnützigen Vereins. Nicht ohne Stolz halten wir uns für ein Paradebeispiel der Kulturvermittlung: demokratischen Grundwerten und dem Gedanken der Volksbildung verpflichtet, uneigennützig, überparteilich und nachhaltig.
Doch der Reihe nach: Was machen denn jetzt diese Theatergemeinden konkret? Die Antwort ist so einfach nicht. Theatergemeinden sind Kulturvereine, die theoretisch in jeder deutschen Stadt entstehen können. Es braucht dafür lediglich einige kulturinteressierte Bürger, die einen Verein gründen wollen, und Kultureinrichtungen, die zur Kooperation bereit sind. In der Vereinssatzung ist in aller Regel festgelegt, dass die Vereine die Volksbildung, insbesondere Erwachsenenbildung, fördern und befördern müssen, denn nur so dienen sie der Allgemeinheit. Dafür werden sie vom Staat begünstigt. Sie dürfen zu günstigeren Preisen als im allgemeinen Verkauf Tickets für Kulturveranstaltungen kaufen und verkaufen. Und das selbst dann, wenn diese aus dem Bereich der öffentlichen Kultur stammen, also von Bühnen und Orchestern, die mit Steuermitteln finanziert werden. Der Gewinn, den die Vereine dabei erzielen, muss dann wieder komplett im Sinne der Satzung, also für die Kultur- und Bildungsarbeit verwendet werden. Das ist es, was Theatergemeinden von kommerziellen Ticketverwertern und Rabattanbietern unterscheidet, die in großer Zahl vor allem in Internet entstanden sind: Den Theatergemeinden geht es um den Inhalt und die Kultur – nicht ums Geld.
Zur Geschichte der Theatergemeinden
Der Bund der Theatergemeinden ist die Dachorganisation dieser Vereine in Deutschland. Er wurde 1951 gegründet und vertritt 23 Theatergemeinden mit insgesamt rund 82.000 Mitgliedern. Der frühere Präsident dieses Bundes, Dr. Rudolf Reuter, sagte bei der Gründung: „Der Mensch von heute braucht Gestalt im Chaos, klar erkennbare Male der Orientierung. Er braucht Muße, braucht zweckfreie Hingabe an Welt und Geist – braucht Literatur und Theater.“ So weihevoll sprach man damals! – Aber, wenn man genau hinschaut: Ist das nicht auch heute brandaktuell? Ist es nicht entscheidender denn je für die Zukunft der Demokratie, dass eine ausreichend große Zahl von Bürgern Orientierung und Halt findet durch Bildung und Kultur?
Die Idee von Kulturgemeinden in Vereinsform ist um einiges älter als der nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergegründete Dachverband. Ursprünglich kommt der Gedanke aus der Bildungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Er entstammt der gleichen kulturhistorischen Wurzel, aus der zum Beispiel Volkshochschulen und öffentliche Bibliotheken erwuchsen sowie überhaupt die öffentliche Kultur selbst. Also Theater und Orchester, die nicht mehr nur für Herrschende und einige Auserwählte zugänglich sind, sondern für alle! Das ganze Volk, alle sollten Kultur genießen und für sich nutzen können. Für uns heute ist es fast unvorstellbar, dass das Ende des vorvergangenen Jahrhunderts noch keinesfalls selbstverständlich war. Kultur und Publikum mussten erst zusammenkommen dürfen. Und die Theatergemeinden gingen noch einen Schritt weiter: Sie wollten, dass dem Volk nicht nur die Teilnahme an der Kultur erlaubt wird, sondern dass ihm Kultur gezielt und aktiv nähergebracht wird, damit Geist, Liberalität und Demokratie wachsen und gedeihen.
Wichtig ist außerdem zu wissen, dass der Oberbegriff für Theatergemeinde „Publikumsorganisation“ lautet. Somit gibt es noch weitere, ähnliche Vereine, die aber andere Namen tragen. Dabei sind insbesondere zu nennen die „Volksbühnen“ mit ihrer Dachorganisation Bund Deutscher Volksbühnen. So wurde 1890 in Berlin die erste Freie Volksbühne gegründet, um vor allem Arbeitern Theaterbesuche zu ermöglichen. Als Vorläufer gilt die „Freie Bühne“ in Berlin von 1889, gegründet von Autoren und Theaterkritikern. Sogar im Münchner Umfeld des Schriftstellers Thomas Mann findet sich im Jahr 1907 ein Hinweis, dass die Männer „in der Theater-Verein-Sitzung“ seien. Man kann nur vermuten, dass es sich hierbei um eine frühe Art von Publikumsorganisation handelt, schließlich war Thomas Mann später in den 1920er Jahren Ehrenmitglied der Volksbühne München. Aber aus diesen Zeiten erklärt sich auch ein Unterschied, der zwischen Theatergemeinden und Volksbühnen bis weit in die Nachkriegszeit hinein wichtig war, heute aber bei den meisten Vereinen keine Rolle mehr spielt: die konfessionelle oder politische Überzeugung. Theatergemeinden waren die kulturelle Heimat für christliches, zumeist katholisch geprägtes Bürgertum, die Volksbühnen für sozialdemokratisch oder sozialistisch orientierte Arbeiterschaft. Diese unterschiedlichen Prägungen kann man heute noch an der Verteilung der Vereine auf der Deutschlandkarte ablesen: Im katholischen Süden und entlang der Rheinschiene im Westen dominieren eher die Theatergemeinden, im Rest eher die Volksbühnen.