Kunst und Kultur in der katholischen Erwachsenenbildung

Die katholische Erwachsenenbildung Deutschland (KEB)
Die KEB ist ein 1957 gegründeter Zusammenschluss von katholischen Trägern der Erwachsenen-bildung mit derzeit 57 Mitgliedern und rund 600 Einrichtungen. Sie ist Trägerin öffentlich verantworteter Weiterbildung. Die KEB versteht Erwachsenenbildung als ganzheitliche, wertorientierte und integrierte Bildung, die zu selbständigem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln im persönlichen, familiären, beruflichen, gesellschaftlichem Leben befähigt und sich an den Lebenswelten und den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Im Kontext des „ganzheitlichen“ Bildungsverständnisses stellt die kulturelle Bildung einen großen Schwerpunkt der Bildungsarbeit katholischer Erwachsenenbildung dar. An vielen Orten der Erwachsenenbildung und in den katholischen Akademien findet eine Vielzahl kultureller Veranstaltungen statt.

 

Kunst und Kultur
Kunst wendet sich an Menschen mit heterogenen Vorkenntnissen. Sie irritiert, spielt mit Gewohntem, nötigt zum Verlassen vertrauter Wege, erschließt neue Denkrichtungen. Sie stellt daher eine Herausforderung dar, sich auf Unbekanntes und nicht Eindeutiges einzulassen und vielfältige Facetten und Komplexität auszuhalten. Kunst ist ein Kommunikationsangebot. Dies wird nicht zuletzt in der zeitgenössischen Kunst deutlich, die sich verstärkt mit Kommunikationsformen beschäftigt. Gelingende Kommunikation steht aber in einem Abhängigkeitsverhältnis. Sie wird mitbestimmt von Voraussetzungen und Faktoren wie Biographie, Prägung durch das persönliche und gesellschaftliche Umfeld, Wahrnehmungsgewohnheiten, tradierte Einstellungen, Kenntnisse und Erfahrungen.

 

Kunst und Kultur sind Kommunikationsangebote, die eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Überlegungen und weltanschaulichen Orientierungen ermöglichen und dies in einer sinnlich erfahrbaren Weise. Kunst und Kultur in den Programmen der katholischen Erwachsenenbildung und der Akademien ist eine relevante Aufgabe, die vielfältige Zugänge zu den Künsten anbietet. Die Auseinandersetzung erfolgt in unterschiedlichen Ausprägungen und wird über die fachimmanente Auseinandersetzung mit Kultur auch an der Schnittstelle von Wissenschaft, Gesellschaft und Religion diskutiert. Kunst macht neugierig, sie überschreitet Grenzen, sie provoziert Auseinandersetzung bis hin zum Widerspruch und animiert zum Weiterdenken. Kunst kann Auskunft über den jeweiligen Zustand der Gesellschaft geben und dokumentiert sowohl die Stabilität wie auch frühzeitig die Veränderungen bis hin zu Missständen im gesellschaftlichen System. Kunst enthält Visionen und Utopien. Dieses sind gleichsam Ziele der kulturellen Bildung in der Erwachsenenbildung.

 

Auch innerkirchlich wird im Rahmen der Bischofskonferenz dezidiert auf die Bedeutung der kulturellen Bildung verwiesen: „Literatur, Musik, Architektur, Bildende und Darstellende Kunst sind Möglichkeiten, dem Denken Gestalt zu geben und sich damit kreativ dem Mysterium der Schöpfung anzunähern.“ (Bischof Heinrich Mussinghoff) und „… die Kulturarbeit ist nicht Sektor, sondern integrale Grundperspektive aller Felder kirchlichen Handelns.“ (Karl Kardinal Lehmann) Das Zweite Vatikanische Konzil betont ausdrücklich ein „Recht auf Kultur (Gaudium et Spes 60) für alle Menschen. Die katholische kulturelle Bildungsarbeit setzt sich daher auch für eine soziale Beteiligung des Individuums ein, die sich nicht auf die Arbeitswelt beschränkt, sondern eine Integration in die Gesamtkultur unseres Gemeinwesens ermöglicht. Kunst geht „darauf aus, die Situation des Menschen … zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen“ (Gaudium et Spes 62). Daher spielt die Kunst und die kulturelle Auseinandersetzung eine besondere Rolle in der katholischen Erwachsenenbildung. Im kulturellen Bereich ist Kirche kein zufälliger Akteur. Neben Staat und Kommunen sind die Kirchen größter Kulturträger. Das kulturelle Engagement kommt der ganzen Bevölkerung zugute. (vgl. Gutachten „Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum kulturellen Leben in Deutschland“ beauftragt durch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“)
Die Gemeinsamkeit von Kultur und Kirche ist das Interesse am Menschen und seiner Wirklichkeit. Die Ausrichtung der kulturellen Erwachsenenbildung zielt auf eine sinn- und wertebezogene Orientierung.

Der richtige Umgang mit Kunst, das Lesen von Bildern, das Sehen können lernen, dieses muss gelernt, trainiert und eingeübt werden. Der Schatz der Erfahrungen, die in Kunst überliefert sind, kann fruchtbar gemacht werden, wenn man Hilfen dafür vermittelt, selbst Seherfahrungen zu machen. Die Bereicherung des Lebens, die in der Kunst bereitliegt, muss erschlossen werden durch Selbstbildung, die durch die Erwachsenenbildung gefördert wird. Kunst trägt zur Selbstidentifikation eines Menschen und einer Gesellschaft bei, sie ist nicht Design der Geschichte, sondern die Zeit kommt zu sich selbst in und durch Kunst. Die kulturelle Tradition ist eine die Menschen verbindende Kernkompetenz, die Vergangenheit und Gegenwart bewusst werden lässt. Sie bietet die Möglichkeit, sich mit Wirklichkeit in einer vertieften Wahrnehmung auseinanderzusetzen und eröffnet in der sinnlich erfahrbaren Sprache der Kunst dem Menschen Wege, sich seiner selbst zu vergewissern und kulturelle Gemeinsamkeit zu erfahren. Kunstwerke können über sich selbst hinausweisen und den Menschen eine Brücke zum Spirituellen und Transzendenten bilden. In diesem Sinne thematisiert kulturelle Bildungsarbeit in kirchlicher Trägerschaft Fragen zur menschlichen Existenz wie zur Gestaltung des Lebens, zu Werten und Normen, zu existenziellen Situationen, Spiritualität und religiösen Themen. Dieses zu vermitteln ist eine Aufgabe der kulturellen Bildungsarbeit in der kirchlichen Erwachsenenbildung.

 

Kulturelle Bildungsangebote
Die Programmplanung in den Einrichtungen der katholischen Erwachsenenbildung und Akademien ist mit der Offenheit zu Kooperationen verbunden. Da das Programm sich auf dem freien Markt bewähren soll, besteht ein Spannungsfeld zwischen dem Markt und der Quote der Kulturereignisse und der Anforderung, anspruchsvolle Themen anzubieten. Musik, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Literatur, Filmarbeit, aber auch die Auseinandersetzung mit Architektur werden in den Einrichtungen und Akademien in regional unterschiedlicher Ausprägung aufgegriffen. Dies ist abhängig von übergeordneten Jahresthemen oder langfristigen Schwerpunkten, die in Form von Veranstaltungsreihen zu einer vertieften, regelmäßigen Angebotspalette führen. Symposien und ein Arbeitskreis „Netzwerk: Kirche – Kunst – Kultur“ auf Bundesebene bieten ein Forum für Austausch, Anregung und Synergieeffekte.

 

Darüber hinaus werden in verschiedenen Akademien auch besondere Akzente im kulturellen Bereich realisiert. So bietet die Akademie in Schwerte im Rahmen der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst neben Ausstellungen auch Exkursionen an und ein „Artist in Residence-Stipendium“. Das Katholisch-Soziale Institut in Siegburg zielt darauf, ganzheitlich ausgerichtete Denkräume im kulturellen Bereich zu initiieren. Die interdisziplinäre Vernetzung der Künste erfolgt sowohl im Kontext von Kunstausstellungen als auch in der „Kunst-Akademie im Sommer“, die zudem partizipatorisch angelegt ist. Veranstaltungen zum Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis oder Initiativen im Bereich Theater wie im Franz Hitze Haus in Münster, Lesungen mit renommierten Autoren in der Katholischen Akademie in Berlin, die künstlerische Umsetzung von aktuellen Themen wie Flüchtlinge oder Armut beispielsweise in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart oder die breit angelegte Filmarbeit oder „Sommernacht der Künste“ in der Katholischen Akademie in Bayern, Musik- und Literaturveranstaltungen des Domforums Köln oder die Reihe Kunst und Kirche des Katholischen Bildungszentrums Karlsruhe, die im und mit dem Zentrum für Kunst und Medien sowie der Kunsthalle Karlsruhe die wechselseitige Erschließung von Kunstwerken erprobt, können an dieser Stelle nur ein kleines Streiflicht in der Vielfalt des kulturellen Engagements der katholischen Erwachsenenbildung auf Bundesebene werfen.

 

In vielen Projekten und Veranstaltungen werden die Teilnehmenden angeregt, angeleitet und begleitet, selbst künstlerisch tätig zu sein. Bei der kreativen und künstlerischen Tätigkeit werden kulturelle und individuelle Denk- und Spielräume eröffnet. In den Einrichtungen der katholischen Erwachsenenbildung findet eine Vielzahl von Kunstausstellungen statt. Diese Ausstellungen und deren Vermittlung werden partizipatorisch im Kontext einer dezentralen, von Subsidiarität geprägten Struktur realisiert. Die Unterstützung der lokalen Ebene erfolgt auf Wunsch entsprechend den jeweiligen Bedingungen. Präsentation und Vermittlung werden z.B. von einem gemeindlichen Planungskreis initiiert und in der Gemeinde über formale und informelle Strukturen vernetzt.

 

Die regionalen Gegebenheiten, die Einbindung vieler Kompetenzen und die damit permanent verbundene örtliche Rückbindung modellieren solche Konzepte in den Regionen. Als Baukastensystem wird das Vorhaben über Verhandlungen aus Gruppen- und Einzelinitiativen zusammengefügt. Das Feld reicht von der Begleitung und Auseinandersetzung im Planungsprozess mit den Künstlern über die Verhandlung des Kirchenraumes als Sakral- und Präsentationsraum bis hin zu Begleitveranstaltungen. Die Veranstaltungen können von Gemeindemitgliedern beigetragen oder mittels der Gewinnung externer Referenten durchgeführt werden. Dazu kann die Initiierung von Künstlergesprächen gehören, die Verknüpfung mit verschiedenen Disziplinen der Künste, Aktionen bis hin zu Bezügen in den Alltag hinein. Verfolgt wird ein ganzheitlicher Ansatz in der integrierten Verbindung von sinnenorientierter Erfahrung mit einem fachlichen Crossover.

 

Laut KEB Statistik finden im Jahr in Deutschland bei der katholischen Erwachsenenbildung über 30.000 Veranstaltungen mit knapp 900.000 Teilnahmen im kulturellen Bereich statt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im April 2018.

Ralph Bergold
Ralph Bergold ist Vorstandsmitglied der Katholischen Erwachsenenbildung Deutschland und Direktor des Katholisch-Sozialen Instituts in Siegburg.
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