Das Handlungsfeld Medienpädagogik
Die Digitalisierung und Mediatisierung unserer Lebenswelten revolutioniert gegenwärtig unseren Alltag, sowohl in Bezug auf die Freizeit, die beruflichen Settings als auch die Bildungskontexte. In allen Handlungsfeldern sind derzeit Akteure unterwegs, um Digitalisierungsstrategien und -prozesse in pädagogiknahen Bereichen zu unterstützen und nachhaltig zu verankern. Gleichwohl sind auch zahlreiche Widerstände und Bedenken gegen diese vermeintlichen „Zumutungen“ für die Praxis zu verzeichnen. Diese beziehen sich einerseits auf den pädagogisch zu hinterfragenden Wert der digitalen Medien, andererseits aber auch auf Einstellungen und Voraussetzungen der professionell Tätigen. Die wissenschaftliche Disziplin Medienpädagogik ist deshalb gefordert, das Handlungsfeld zu erforschen, zu reflektieren und differenzierte Handlungsempfehlungen auszusprechen. Bislang wird Medienpädagogik vor allem als „Querschnittsbereich“ im pädagogischen Gefüge adressiert, gleichzeitig ist sie zunehmend als eigenständiges pädagogisches Handlungsfeld gefragt.
Betrachtet man die Aktivitäten in der medienpädagogischen Praxis, die von der frühkindlichen Bildung über die außerschulische und schulische Bildungsarbeit bis hin zur Weiterbildung und Seniorenbildung reicht, dann fällt die Vielfalt auf, mit der sowohl die klassischen als auch die digitalen Medien in die pädagogische Arbeit integriert werden. Dies verwundert wenig, da wir es im medienpädagogischen Feld mit sehr unterschiedlichen Trägern und Einrichtungen, aber auch verschiedenen Konzepten und Zielstellungen medienpädagogischen Handelns zu tun haben. Insgesamt zeigt sich in der Praxis, dass sich die Themen, die in der medienpädagogischen Arbeit aufgegriffen werden, rasant um mobile digitale Medien erweitern.
Verdeutlichen lässt sich dies anhand des Dieter-Baacke-Preises, dem renommiertesten medienpädagogischen Preis für Projekte außerschulischer Träger. Die Einreichungen belegen ein breites Spektrum an Aktivitäten und kreativen Möglichkeiten, die digitale Medien bieten. So ermöglichte ein Preisträger einer Gruppe Jugendlicher, ein „Alternate Reality“ Game zu dem komplexen Thema Überwachung, Verschlüsselung und Datenschutz zu erstellen. Darüber hinaus lernten Jugendliche im „App Summer Camp“ über das Entwickeln eigener Apps einen selbstbestimmten kreativ-kritischen Medienumgang.
Auch im schulischen Kontext werden digitale Medien und Medienbildung immer bedeutsamer. Seit der KMK-Erklärung von 2016 haben Aspekte der Digitalisierung in den Unterrichtsfächern eine besondere Relevanz erhalten. Das soll insbesondere über eine fachintegrative Verankerung digitaler Medien realisiert werden. Nachdem in Deutschland im internationalen Vergleich in puncto Medienintegration, Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler und medienpädagogischer Kompetenz der Lehrkräfte Nachholbedarf besteht, sind nun Aktivitäten von Bund und Ländern gefordert. Insofern gibt es gegenwärtig neue Initiativen, die zumindest ein Lernen mit Medien, gleichwohl weniger ein Lernen über Medien forcieren.
Medienpädagogik als Wissenschaft
Die medienpädagogische Praxis bedarf einer wissenschaftlichen Fundierung, die sowohl die Theorie, die Forschung und die Praxis weiterentwickelt. Etabliert hat sich die Medienpädagogik seit den 1960er Jahren als Disziplin innerhalb der Erziehungswissenschaften, wobei Fragen des Lehrens und Lernens mit Medien genauso wie Aspekte der Medienerziehung, der Mediensozialisation und der Medienforschung weiterentwickelt wurden. Während bis in die 1960er Jahre noch stärker die Erziehung hin zum pädagogisch wertvollen Medium und auch „bewahrpädagogische“ Konzepte im Vordergrund der Medienpraxis standen, setzten sich seither zunehmend „handlungs- und wertorientierte“ Medienkonzepte durch, die auf die aktive, produktive und kritische Auseinandersetzung mit den Medien abzielen. Das dahinterstehende theoretische Konzept beruht im Wesentlichen auf einem Verständnis von Medienkompetenz nach Dieter Baacke, der diese als „die Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen“ (Baacke 1996) versteht. Die Dimensionen von Medienkompetenz wurden von ihm hinsichtlich Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung ausformuliert und nachfolgend von weiteren Medienpädagogen wie Stefan Aufenanger, Bernd Schorb oder Gerhard Tulodziecki ausdifferenziert. In den letzten Jahren wurden die Konzepte um den Begriff der Medienbildung erweitert und öffnen sich damit stärker für die Diskurse um Bildungsprozesse allgemein. Angesichts der technologischen Entwicklungen erweitert sich gegenwärtig zudem das pädagogische Handeln und schließt auch die Gestaltung und Planung von Lernarrangements sowie deren Kommunikation und Veröffentlichung über verschiedene Medienkanäle ein. Insofern ist die Medienpädagogik in ihrem wissenschaftlichen Diskurs nicht nur konzentriert auf die jeweils aktuellen „neuen Medien“, sondern sucht nach Theorien, Konzepten und Modellen, die tragfähig zur Analyse und Untersuchung des jeweiligen Gegenstandes und anschlussfähig für weitere Disziplinen sind.
Die medienpädagogische Forschung konzentrierte sich deshalb in den letzten Jahren auf die Fundierung und Konzeption medienpädagogischen Handelns und deren wissenschaftliche Begründungen. Damit wurden wichtige Grundlagen für das professionelle Handeln gelegt. Auch war es möglich, den Einfluss von digitalen Medien in verschiedenen Handlungsfeldern zu untersuchen. Dazu gehören Bereiche wie das familiale Medienhandeln, die Analyse verschiedener Jugendmedien-szenen oder die Folgen exzessiver Mediennutzung. Aber auch die Untersuchung von schulischen Umsetzungen des mobilen Medieneinsatzes zählen genauso dazu wie die Analyse des medien-bezogenen Habitus von Lehr- und Erziehungspersonen. Gleichwohl bestehen angesichts der mit dem technologischen Wandel einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse weiterhin erhebliche Forschungsdesiderate und -bedarfe.
Aus- und Weiterbildung von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen
Gegenwärtig mangelt es nicht an politischen Aussagen und Willenserklärungen, die betonen, wie wichtig die Einbeziehung digitaler Medien in allen Bildungsbereichen ist –angefangen bei der frühkindlichen Bildung, über die Schule, der außerschulischen Bildung und Kulturarbeit bis hin zur Erwachsenen- und Weiterbildung. Das Anliegen ist sehr ambitioniert, erfordert es doch eine umfassende Aus- und Fortbildung von pädagogisch Tätigen. Um Medienbildung entlang der gesamten Bildungskette zu gewährleisten, braucht es also Medienpädagoginnen und Medienpädagogen mit hoher Expertise sowie medienpädagogische Anteile in allen pädagogisch orientierten Ausbildungen.
Eine Zusammenstellung aller Studiengänge, in denen zumindest anteilig Medienpädagogik studiert werden kann, fällt ernüchternd aus. Lediglich insgesamt 56 Hochschulen im gesamten deutschsprachigen Raum sind mit entsprechenden Professuren, die ein fundiertes Studium gewährleisten, gelistet. Nach der Recherche der Sektion Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) und der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) sind darunter nur wenige Angebote, bei denen Medienbildung als Hauptfach studiert werden kann (etwa Uni Magdeburg, PH Ludwigsburg, FH Merseburg).
Diese wenigen Studiengänge bilden grundlegend in medienpädagogischen Feldern aus und vermitteln sowohl theoretische als auch medienpraktische Kompetenzen, teilweise auch mit der Möglichkeit einer Forschungsorientierung. Meist wird Medienpädagogik jedoch als ein Wahl- oder Spezialisierungsbereich mit ganz unterschiedlichen Umfängen in der Stundenzahl innerhalb pädagogischer oder auch medien- und kommunikationswissenschaftlicher Studiengänge angeboten. Das kann bedeuten, dass lediglich medienpädagogische Angebote innerhalb von Wahlmodulen studiert werden können (wie an der Uni Paderborn); es kann auch bedeuten, ein Modul wie etwa Mediendidaktik zu belegen (wie an der Uni Duisburg-Essen) oder einen Schwerpunkt Medienpädagogik innerhalb des erziehungswissenschaftlichen Studiums mit mehreren Modulen zu wählen (wie an der Uni Bielefeld). Auch in der Lehramtsausbildung wird Medienbildung erst in jüngster Zeit in ganz wenigen Bundesländern verpflichtend. Meist kann Medienbildung, wenn es denn überhaupt im Curriculum vorgesehen ist, als Profilbereich (PH Schwäbisch Gmünd), als möglicher medienpädagogischer Schwerpunkt in der Lehramtsausbildung (wie an der RWTH Aachen) oder als Erweiterungsfach (Uni Erlangen-Nürnberg) studiert werden.
Insgesamt muss für den hochschulischen Bereich konstatiert werden, dass Medienbildung in den meisten pädagogischen Studiengängen ein freiwilliges Angebot darstellt, das im Umfang von der Einrichtung entsprechender medienpädagogischer Professuren abhängig ist. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Studium der Erziehungs- oder Bildungswissenschaften, der Sozialpädagogik oder eines Lehramts heute ausreichende medienpädagogische Kompetenzen im Kontext digitaler Medien erworben werden, um sie in den verschiedenen Handlungsfeldern medienkompetent vermitteln zu können.
Doch nicht nur die medienpädagogischen Studiengänge sind sehr unterschiedlich strukturiert, eine noch schwächere medienpädagogische Durchdringung findet sich in der Ausbildungssituation von pädagogischen Fachkräften wieder. Auch wenn öffentlich viel darüber gesprochen wird, wie wichtig Medienbildung bereits in der Kita ist, so ist diese auch hier oft kein systematischer Bestandteil der Ausbildung. Teilweise wird die Thematik etwa als Teilbereich „Medien“ in frühkindlichen Ausbildungsgängen unterrichtet, in manchen Bundesländern ist ein gewisser medienpädagogischer Anteil sogar Pflicht. Aber auch für weitere Ausbildungsberufe, wie etwa therapeutische Berufe (Heilerziehungspflege, Logopädie oder Ergotherapie), stellen medienpädagogische Konzepte gewinnbringende Ausbildungsinhalte dar. Da in den pädagogischen Ausbildungsgängen die Medienpädagogik noch zu wenig systematisch verbreitet ist, wird viel Hoffnung auf die Weiterbildung gelegt. Daher gibt es inzwischen zahlreiche Weiterbildungsangebote von verschiedenen Trägern. Die zentrale Fortbildung für medienpädagogisch Tätige ist das jährliche Forum Kommunikationskultur der GMK, das ihren Fachgruppen die Möglichkeit bietet, im Kontext eines Jahresmottos ihre spezifischen Fragestellungen zu diskutieren. Fachlich und thematisch orientierte Fortbildungen bieten neben der GMK insbesondere auch die Landesmedienanstalten (LfM) an. Die LfM in Nordrhein-Westfalen etwa bietet für Kitas einen monatlichen Newsletter mit medienpädagogischen Anregungen an. Neben vielfältigen Fortbildungsaktivitäten bildet das Grimme Institut darüber hinaus auch Medienscouts aus und ermöglicht damit Schülerinnen und Schülern, an ihren Schulen Ansprechpartner bei medienbezogenen Fragen zu sein. Doch auch wenn es schon eine Vielzahl an medienpädagogischen Fortbildungen gibt, sind diese bei Weitem noch nicht flächendeckend. Auch gibt es kaum Qualitätssiegel und eine systematische Weiterentwicklung und Verbreitung von evaluierten Konzepten.
Zukunftsperspektiven
Das Ziel, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen sachgerechten, selbstbestimmten, kreativen und sozial verantwortlichen Umgang mit Medien in einer durch Digitalisierung und Mediatisierung geprägten Welt zu ermöglichen, kann nur erreicht werden, wenn den Forderungen der Initiative „Keine Bildung ohne Medien“ sowie dem Medienkompetenzbericht der GMK gefolgt wird. Das bedeutet, dass Medienkompetenzen über die gesamte Bildungskette hinweg systematisch vermittelt werden müssen. Eine solche Vermittlung beginnt damit, dass bereits in den Kitas eine altersgerechte Medienerziehung und Beratung der Eltern erfolgt. In den Schulen sollte anschließend die Medienbildung mit und über Medien gewährleistet sein. Dies erfordert eine Verankerung in den Kerncurricula der Fächer, übergreifende Bildungsstandards sowie eine obligatorische medienpädagogische Qualifizierung in der Lehrkraftaus- und Fortbildung.
Auch in der außerschulischen Kultur- und Bildungsarbeit gehört Medienpädagogik als kulturelles Experimentierfeld und als präventiver Jugendmedienschutz dazu. Wichtig für die medienpädagogische Handlungspraxis ist, dass von den professionell Handelnden ein spezifisches
medienpädagogisches Wissen erwartet werden kann, ein besonderes medienpädagogisches Können gegeben ist und dass Fähigkeiten vorhanden sind, mit den paradoxen Handlungsanforderungen umgehen zu können.
Innerhalb der Wissenschaftscommunity wird daher gegenwärtig diskutiert, dass es zukünftig einen Rahmenplan braucht, an dem sich alle Aus- und Fortbildungen orientieren. Mit Ausdifferenzierungen der Kompetenzfelder und -bereiche liegen bereits Vorschläge vor, die eine wichtige Fundierung für das professionelle Handeln darstellen werden. Angesichts der technologischen Entwicklungen bedeutet es auch, dass in Zukunft noch viel stärker interdisziplinär und innerhalb von Netzwerken gearbeitet werden muss. Nur in Kooperation mit Bezugsdisziplinen wie Informatik, Psychologie, Soziologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften, den Fachdidaktiken etc. wird es gelingen, den Herausforderungen in Erziehung, Bildung, Kultur und Vermittlung gerecht zu werden. Daneben braucht es selbstverständlich auch die Fundierung als eigenständige Disziplin: damit Fragen der Medienerziehung und -sozialisation zukunftsorientiert bearbeitet werden und das Lernen mit und über Medien gestärkt wird, aber auch die Verankerung als Querschnittsdisziplin in Studiengängen und Ausbildungen gewährleistet werden kann.
Weitere Informationen
- Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur
- Lehrstuhl für Medienpädagogik und empirische Medienforschung der Universität Paderborn
Literaturhinweise
- Baacke, Dieter: Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer 1997
- Friederike von Gross / Dorothee M. Meister / Uwe Sander (Hg.): Medienpädagogik – ein Überblick. Weinheim u.a.: Beltz Juventa 2015
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im Juli 2017.