Keine Inklusion ohne Medien

Inklusive Medienbildung – Kompetenzen aufbauen
Bessere Zugangsmöglichkeiten bedeuten allerdings noch lange nicht, dass sie auch tatsächlich genutzt werden. Im aktuellen Medienkompetenzbericht der Bundesregierung wird darauf hingewiesen, dass „besonders bildungsbenachteiligte Familien, Migrantenmilieus, Seniorinnen und Senioren ebenso wie Menschen mit Behinderung (…) einer zielgruppenspezifischen Ansprache und alltagsnahen Unterstützung [bedürfen]“ (Pöttinger (2013), Stellungnahme der GMK zur Förderung von Medienkompetenz in Deutschland. In: Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche, S. 102).

 

Hier ist nicht nur die Schule gefragt, auch und gerade die nonformalen Bildungskontexte der kulturellen Bildung können Medienkompetenz vermitteln. Bei ihnen stehen in der Regel zentrale Prinzipien inklusiver Medienbildung im Vordergrund: Lebensweltorientierung, Handlungsorientierung und Ressourcenorientierung. Die aktive Auseinandersetzung mit Medien steht im Vordergrund, dabei setzen sie an den Interessen, Themen, Vorerfahrungen und Fähigkeiten der Teilnehmer/innen an. Bei Menschen mit Behinderung handelt es sich um eine heterogene Gruppe mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen. Dementsprechend vielfältig sind auch die Konzepte inklusiver Medienbildung. Dass handlungs- und produktionsorientierte Medienarbeit mit Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten funktioniert, dafür gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit.

 

NIMM, das Netzwerk Inklusion mit Medien, sammelt Beispiele guter Praxis und fördert den Austausch. In diesem Jahr bietet das Netzwerk bereits zum dritten Mal eine berufsbegleitende Fortbildung für inklusive Medienpädagogik an (www.inklusive-medienarbeit.de). In der Schule stoßen Lehrkräfte schnell an ihre Grenzen, wenn es um die Erarbeitung von Medienprodukten in überschaubarer Zeit geht. Hier sind Kooperationen mit außerschulischen Trägern der Medienpädagogik sinnvoll und erfolgsversprechend. Blickwechsel e.V. aus Göttingen wurde 2012 für das Projekt „Siehste Töne!? Hörste Bilder!?“ mit dem Dieter Baacke Preis der GMK ausgezeichnet. In einer Projektewoche produzierten Schüler/innen einer Förderschule für geistige Entwicklung zusammen mit den Medienpädagog/innen kleine Filme unter dem Thema „Ich wünschte, ich wäre ein…“ (www.blickwechsel.org).

 

Empowerment durch Medienbildung ist auch das Ziel des Projekts „Wir zeigen es allen“ von doxs, der Kinder- und Jugendsektion der Duisburger Filmwoche. Sie arbeiten mit verschiedenen Förderschulen für Sehen, Geistige Entwicklung oder Emotionale und Soziale Entwicklung zusammen. Angefangen bei dem gemeinsamen Sehen, Hören und Erschließen von Filmen, bis hin zu eigenständig umgesetzten Filmprojekten, können Schülerinnen und Schüler ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten erproben und schulen. (www.do-xs.de).

 

Schon mehrfach ausgezeichnet wurde das PIKSL-Projekt der In der Gemeinde leben gGmbH (IGL) in Düsseldorf. PIKSL verfolgt das Ziel, moderne Informations- und Kommunikationstechnologie für Menschen mit geistiger Behinderung zugänglich zu machen und weiter zu entwickeln. PIKSL hat ein Computerlabor im Stadtteil Flingern eingerichtet, in denen Menschen mit Lernschwierigkeiten – unterstützt durch ein offenes erwachsenbildnerisches Angebot – Erfahrungen im Umgang mit digitaler Informations- und Kommunikationstechnik sammeln und ihre Kenntnisse vertiefen können. Sie fungieren gleichzeitig als Expert/innen in eigener Sache und beraten Wissenschaftler/innen und Anwender/innen bei der Entwicklung von digitaler Technik und Programmen (www.piksl.net). PIKSL setzt damit ein wichtiges Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention um: Nichts über uns ohne uns. Menschen mit Behinderung müssen in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse aktiv einbezogen werden. Und es hat Ausstrahlung in den Stadtteil entwickelt: Mittlerweile sind die Klient/innen zu Lehrenden geworden und geben Computer- und Internetkurse für Seniorinnen und Senioren.

 

Handlungsspielräume eröffnen
Das Zusammenspiel von barrierefreien Zugängen und einer adressatenbezogen, ressourcenorientierten Medienbildung kann Handlungsspielräume mit digitalen Medien eröffnen. Man entdeckt neue Handlungs-, Kommunikations- und Erfahrungsräume. Soziale Medien können Menschen mit eingeschränkter Verbalsprache oder eingeschränkter Mobilität neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen. Entscheidende Interaktionsstörungen gegenüber Menschen mit Behinderungen sind ihre Auffälligkeit und ästhetische Beeinträchtigung. In virtuellen Räumen spielt das Aussehen erstmal keine Rolle.

 

Die oben beschriebenen Ansätze der handlungsorientierten Medienbildung eröffnen Möglichkeiten des Selbstausdrucks mit Medien und der Teilnahme an öffentlicher Kommunikation. Es gibt beispielsweise zahlreiche Blogs und Twitteraccounts von Menschen mit Behinderung, die die Diskussion um Inklusion oder die Darstellung von Menschen mit Behinderung in den Medien mitprägen und bei den „klassischen“ Medien als Quelle genutzt werden und als Experten Gehör finden.

 

Diese Beispiele machen deutlich, dass inklusive Medienbildung deutlich mehr meint, als die technische Ermöglichung des Zugangs zu digitalen Medien. Es geht ebenso um die reflexive, die soziale und die kulturelle Dimension des Erwerbs von Medienkompetenz. Inklusive Medienbildung verfolgt das Ziel „allen gleichermaßen Mediennutzung zu ermöglichen, Medienkompetenz in allen räumlichen, sozialen und generativen Bereichen zu verankern, soziale und politische Teilhabe für alle zu ermöglichen. […] Seien es ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit formal niedriger Bildung oder Menschen mit Behinderung“ (Bosse, Jäcklein-Kreis (2012), Editorial. In: Medien + Erziehung. Themenheft Medienpädagogik und Inklusion, S. 8).

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im März 2015.

Ingo Bosse und Anne Haage
Ingo Bosse ist Junior-Professor im Lehrgebiet Körperliche und Motorische Entwicklung an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund und Sprecher der Fachgruppe Inklusive Medienbildung der GMK. Anne Haage ist Mitarbeiterin im Lehrgebiet Körperliche und Motorische Entwicklung an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund.
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