Gatekeeping
Für die Nachrichtenauswahl und -bereitstellung sorgen klassischerweise Gatekeeper, d.h. Journalistinnen und Journalisten und Redaktionen, die Informationsmengen sichten, als wichtig zu erachtende Ereignisse selektieren und diese so aufarbeiten, dass sie für ein Publikum als Nachricht verständlich kommuniziert werden können. Gatekeeper – zu Deutsch: Torwächter oder Schleusenwärter – sind aufgefordert, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, bevor sie einem größeren Leser-und/oder Zuhörerkreis zur Verfügung gestellt werden. Sie tragen in der Regel die Verantwortung für die Inhalte, die sie verbreiten.
Mit dem Aufkommen digitaler Medien und insbesondere dem Internet wird die Rolle und Funktion der Gatekeeper keineswegs obsolet, aber kollaborative Anwendungen wie Blogs, Online-Foren und soziale Netzwerke sorgen dafür, dass im Prinzip nahezu jeder die Funktion des Gatekeeping für einen bestimmten Nutzerkreis übernehmen kann. Konventionelle Medien wie Nachrichtensendungen und Tageszeitungen gelten zwar nach wie vor als vertrauenswürdig, aber sie erhalten durchaus Konkurrenz und Gegenwind durch „Medienamateure“, d.h. Menschen, die nur selten eine journalistische Ausbildung besitzen und dennoch in der Medienöffentlichkeit agieren. Nicht immer verfügen sie über die nötigen Ressourcen und betreiben sie den Aufwand, „ihre“ Nachrichten zu verifizieren. Bisweilen werden auch bewusst Falschmeldungen abgesendet. Die etablierten Medienformate müssen sich nicht generell, aber hin und wieder mit dieser Konkurrenz arrangieren oder sich zu deren Nachrichtenangeboten in Beziehung setzen. Sie sind gefordert, wenn Fake News kursieren, Hass-Kommentare geschickt sowie so genannte Shitstorms bewältigt werden müssen. Ein prominentes Beispiel sind die Moderatorinnen Dunja Hayali (Morgenmagazin, ZDF) und Anja Reschke (Panorama, ARD), die seit 2015 immer mal wieder wegen ihrer kritischen Haltung zum Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland und der Aufklärung über Pegida und die Machenschaften der AfD attackiert wurden. Die klassischen Gatekeeper stehen aktuell viel stärker unter Druck und können in den sozialen Netzwerken sowie auch über das Videoportal YouTube bloßgestellt und angegriffen werden, wobei die soziale Distanz zwischen Gatekeeper und Publikum – zum Vergleich in den 1990er Jahren – deutlich
geringer geworden ist.
Mechanismen konfrontativer Meinungsmache
Konfrontative Meinungsmache erfolgt über Provokationen und Dramatisierungen, indem Ereignisse emotional überhöht dargestellt werden. Werden Ereignisse sehr moralisiert, so spricht man auch von Skandalisierung. Um sich eine Meinung zu bilden, bedarf es nicht nur der Aneignung von Fakten zu einem Sachverhalt, sondern im Grunde ebenso Hintergrundwissen und die Kenntnis verschiedener Argumentationen. Andernfalls fällt es in der Regel schwer, eine Meinung in einer sozialen Gruppe souverän zu vertreten. Sind die angebotenen Lösungen für einen Konflikt jedoch einfach, so können sie eher als Deutungsmuster übernommen werden als wenn sie komplex, ambivalent und vielschichtig sind. Gerade in der Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen werden von den Kritikerinnen und Kritikern oftmals simplifizierende Sichtweisen geäußert.
Konfrontative Meinungsmache zeichnet sich durch klare Schuldzuweisungen
und (Vor-)Verurteilung aus. Soziale Gruppen und Persönlichkeiten werden diskreditiert und abgewertet sowie ausgegrenzt. Hassreden und die Verbreitung radikaler Thesen sowie ideologischer Ideen schüren Abneigungen und ermöglichen Schwarz-Weiß- sowie Gut-Böse-Schemata. Konfrontative Meinungsmache hat Aussicht auf Erfolg, wenn Feindbilder vorhanden sind und Sündenböcke benannt werden können. Konfrontative Meinungsmache gelingt, wenn die verwendeten Begrifflichkeiten eingängig und selbsterklärend sind. Nicht nur Sprache manipuliert, sondern auch zugehörige Bilder können Eindrücke verstärken und sich im Gedächtnis „einbrennen“.
Gezielt und eindeutig werden Ereignisse gerahmt, um somit bestimmte Wirklichkeiten zu erzeugen und für plausibel zu erklären. Wiederkehrende Schlagwörter, Floskeln und Forderungen sowie Bildaussagen haben mitunter Kampagnencharakter und suggerieren zuweilen, dass sehr viele Menschen sich einer Meinung anschließen und dass sie sich einig sind.
Besonders empfänglich für populistische Denkmuster sind Menschen, die sich ein festes Wertekonzept wünschen und sich nach Zugehörigkeit, sozialer Ordnung und Sicherheit sehnen. Auch Menschen, die sich existentiell bedroht fühlen und ein starkes Anomieerleben aufweisen, neigen zu einer dichotomen Weltsicht (Freund-Feind-Schema). Wer anomisch ist, empfindet die Folgen des sozialen Wandels als einschränkend und negativ sowie das Zusammenleben als mehr oder minder regellos. Diese Individuen wollen ihren Unmut klar adressieren können (siehe u.a. Decker/Lewandowsky 2009).
Medienbildungs- und Ermutigungsauftrag
Da die Nachrichtenproduktion und -verbreitung komplexer und unübersichtlicher geworden ist und verschiedene Akteure (Professionelle als auch Laien) als Gatekeeper auftreten können, wird die Fehleranfälligkeit größer. Es wird wahrscheinlicher und zugleich einfacher, dass Fake News und populistische Aussagen in den sozialen Netzwerken gestreut werden. Postings sind nicht immer autorisiert und Bilder kontextualisiert, Twitter-Accounts sind mitunter für bestimmte oder auch erfundene Personen (etwa Mitglieder einer bestimmten Partei) eingerichtet worden. Personen werden Aussagen unterstellt oder sie werden in so genannten Memes verunglimpft. Meist handelt es sich bei Memes um Bildmaterial, das mit Sprüchen versehen wird. Diese haben aber zumeist keinen aufklärerischen oder dokumentarischen Charakter, sondern sind satirisch gemeint oder sollen provozieren sowie polarisieren.
Medienkompetenz ist in Zeiten der zunehmenden Verbreitung von Fake News und Hass-Postings sowie viraler Hetzkampagnen ausgesprochen wichtig. Niemand ist wirklich immer davor gefeit, auf eine Falschmeldung doch mal „reinzufallen“. Insofern gilt es, sich stets selbstkritisch hinsichtlich des eigenen Informationsmanagements zu überprüfen. Man sollte darum bemüht sein, Quellen zu hinterfragen und Informationen abzugleichen, um so Fake News zu identifizieren und zu enttarnen. Bestimmte Hinweisreize (News Cues) wie Gesten, Posen und Symbole deuten mitunter an, dass Zusammenhänge nicht stimmen können oder es sich beispielsweise um eine Fotomontage handelt. Zudem sollten Nutzerinnen und Nutzer ermutigt werden, Fake News und Hass-Postings – sofern möglich – bei Plattformbetreibern zu melden. Immer wieder werden Gegenreden (Counter Speech) eingefordert, um Zivilcourage zu zeigen und Normverletzungen unmittelbar zu ahnden. Hier muss man aber geübt sein, daher ist es ratsam, nicht allein zu agieren. Man muss darum wissen, dass Gegenreden wie ein Zündfunke sein können, man sich angreifbar macht und zur Zielscheibe derjenigen wird, deren Argumente man rational entkräften wollte. Gleichwohl sind alle gesellschaftlichen Kräfte aufgefordert, die Diskussionskultur im Netz mitzugestalten und sich mit Hetzerinnen und Hetzern und Trollen auseinanderzusetzen. Die Verantwortung allein an die Plattformbetreiber und Dienste-Anbieter abzugeben, die Fake News und Hass-Postings verhindern sollen, ist sicherlich nicht dauerhaft zielführend. Es ist auch fraglich, ob diese restriktive Regelungen organisieren können, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Generell dürfen die Mechanismen konfrontativer Meinungsmache nicht verkannt werden und sollte die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden nicht gescheut werden.
Literatur
- Decker, Frank / Lewandowsky, Marcel (2009): Populismus. Erscheinungsformen, Entstehungshintergründe und Folgen eines politischen Phänomens
- Rambukkana, Nathan (Hrsg.) (2015): Hashtag Publics. The Power and Politics of Discursive Networks, New York.
Weitere Informationen
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im Juli 2017.