Digitales Brotverdienen

Künstlerische Leistungen online auch monetisieren

Wie schön, dich endlich wiederzusehen. Wie schön, endlich wieder von Mensch zu Mensch ohne Maschine miteinander zu sprechen. Wie schön, die Atmosphäre des Miteinanders zu spüren. Sehr oft waren diese und andere Ausrufe in der letzten Zeit zu hören. Die coronabedingten Sitzungen per Zoom, das Verfolgen von Musik oder von Aufführungen im Livestream, die virtuellen Ausstellungen, all dies führte vor Augen und Ohren wie analog wir Menschen doch sind. Live ist live. Der unmittelbare Austausch, der direkte Kontakt, er kann nicht durch digitale Formen ersetzt werden. Jedoch wäre es verkürzt, das Digitale auf eine Lückenbüßerrolle zu reduzieren.

 

Digitale Kunstproduktion ist längst ein alter Hut. In der bildenden Kunst und in der Musik gehört die digitale Werkschöpfung zu den Selbstverständlichkeiten. Elektroakustische Musik ist auch technologiegetrieben. Was vor Jahrzehnten noch riesige Räume beanspruchte, wie das Studio für elektronische Musik des WDR, passt heute in ein kleines Computergehäuse. Das legendäre Studio für elektronische Musik des WDR war weltweit eines der ersten Studios seiner Art und steht für die Produktion und Unterstützung avancierter Musikproduktion. Obwohl es bereits in den 1950er Jahren aufgebaut wurde, erhielt es seine Bekanntheit durch Karlheinz Stockhausen, der ab 1963 dort wirkte. Elektroakustische Musik heute ist avancierte Kunstmusik, populäre Musik, Werbe- und Filmmusik. Künstliche Intelligenz wird bei vielen Kompositionen heute selbstverständlich genutzt.

 

In der bildenden Kunst kann der Bogen von Nam June Paik, einem Pionier der Videokunst aus den 1960er Jahren, bis zu zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern gezogen werden. Mit dem ZKM in Karlsruhe und der Kunsthochschule für Medien in Köln haben sich zwei Kunsthochschulen in Deutschland der künstlerischen Ausbildung in „Medienkunst“ verschrieben. Die Zahl der in der Künstlersozialkasse versicherten Medienkünstlerinnen und -künstler der Berufsgruppe bildende Kunst wächst stetig an. Auffallend ist hier, dass im Jahr 2019 1.276 versicherten Künstlern 543 versicherte Künstlerinnen gegenüberstanden. Medienkunst – eine Domäne der Männer.
In der darstellenden Kunst werden mit der Akademie für Digitalität und Theater am Theater Dortmund neue Wege beschritten. Das Besondere ist hier, dass es nicht allein um die Nutzung digitaler Techniken in der normalen Theaterproduktion geht, sondern um eine eigene Sparte am Theater, die eine eigene künstlerische Entwicklung vorantreiben will. Die Akademie für Digitalität und Theater bildet neben der Oper, dem Ballett, den Philharmonikern, dem Schauspiel und dem Kinder- und Jugendtheater die sechste Sparte des Theaters Dortmund.

 

Eine noch junge Kunstform sind die Computerspiele. Games haben gegenüber den anderen künstlerischen Sparten ein Alleinstellungsmerkmal: Es gab sie noch nie analog, sondern schon immer digital.

 

Während in der künstlerischen Produktion die Digitalisierung bzw. ihre Vorformen schon lange Einzug gehalten haben, hat die Verbreitung und Vermittlung künstlerischer Werke im digitalen Raum eine deutlich kürzere Geschichte. Das hängt mit der technischen Ausstattung der Institutionen und vor allem mit den Übertragungskapazitäten im Netz zusammen. Erst die technische Innovation und der Ausbau der Netze machte es möglich, Bewegtbild zu übertragen und massentauglich zu machen. Was heute selbstverständlich ist, wie das Anschauen eines Films auf dem Smartphone, war vor einem Jahrzehnt noch Zukunftsmusik. Da der Breitbandausbau in vielen Regionen in Deutschland nach wie vor absolut unzureichend ist, ist der Zugang zu digital zugänglichen Informationen oder auch Werken auch vom Stand- bzw. Wohnort abhängig.

 

Die Corona-Pandemie der letzten Monate hat uns gelehrt, dass digitale Angebote so einfach auch nicht zu erstellen sind. Es gehört eben mehr dazu als die Handykamera auf einen ausübenden Künstler oder eine Künstlerin zu halten und ein Stück aufzunehmen. Der Charme des Unperfekten löst sich auf, wenn vieles unperfekte zu sehen ist.

 

Auch digitale Vermittlung und kulturelle Bildung brauchen ein Konzept, benötigen Expertise und eine adäquate Umsetzung. Vieles ist in den letzten Monaten neu entstanden, dem Impuls geschuldet, zumindest „irgendwie“ präsent zu sein. Einiges davon wird sicherlich verschwinden, manches wird bleiben. Die zentrale Herausforderung wird darin bestehen, Angebote weiterzuentwickeln, Ressourcen bereitzustellen, damit Menschen diese Konzepte erdenken, planen, umsetzen und vor allem pflegen können. Investitionen in die digitale Vermittlung und Verbreitung sind keine Einmal- sondern Dauerinvestitionen. Das muss bedacht werden, wenn jetzt schnell Mittel bereitgestellt werden, um die Digitalisierung im Kulturbereich voranzutreiben. Nur wenn das Angebot permanent weiterentwickelt, technisch und inhaltlich jeweils auf dem neuesten Stand ist, bleibt es auf Dauer attraktiv und findet sein Publikum.

 

Die wichtigste Aufgabe ist aber jetzt, die vielfältigen neuen digitalen Angebote auch als künstlerische Leistung zu monetisieren. Bislang können noch viel zu wenige Kulturschaffende in der digitalen Welt ihr Brot verdienen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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