Nie waren sie so wertvoll wie heute

Grünflächen und städtische Kultur

Landschaftsarchitektur gestaltet vor allem die öffentlichen Räume der Stadt, grüne, blaue und auch graue. Wie wichtig diese Räume für das Wohlbefinden und die psycho-soziale Resilienz – zusätzlich zur ökologischen – der Stadtbevölkerung sind, hat sich gerade im Frühjahr 2020 während des Lockdowns gezeigt, als die Grünflächen einen ungeahnten Nutzungsaufschwung erlebten. Sie waren und sind ein Ort, der noch Freiraum bietet und öffentliches Leben ermöglicht, ein wesentlicher Bestandteil der Stadtkultur.

 

Die Grünanlagen sind auch der Ort, der von bis zu 95 Prozent der Bevölkerung zumindest gelegentlich besucht wird, so viel und so oft wie sonst kaum eine Einrichtung, unabhängig von Alter, Geschlecht, Schicht, Lebensstilgruppe, Herkunft und was es sonst noch so für Unterscheidungsmerkmale gibt. Hier begegnen sich alle und nehmen sich zumindest visuell wahr, auch das ein wesentlicher Beitrag zur städtischen Kultur.

 

Solche Räume zu gestalten, ist Aufgabe der Landschaftsarchitektur seit der Herausbildung des Berufsstandes im ausgehenden 19. Jahrhundert, dem Weg vom Hofgärtner zum kommunalen Angestellten und freien Landschaftsarchitekten. In den immer dichter werdenden Städten wuchs das Bedürfnis nach Licht, Luft und Sonne und fand Ausdruck in Stadt- und Volksparks, sowie damals neuen Kinderspielplätzen und Sportanlagen. So war die Verbesserung der Umweltbedingungen neben der Schaffung von benutzbaren und schönen Grünanlagen von Anfang an eine wichtige Aufgabe. Dazu kam die Planung stadtgliedernder Elemente wie Uferpromenaden und Grünzüge.

 

Die Akzentsetzungen bezüglich der drei Pole der Landschaftsarchitektur, dem Sozial-Funktionalen, dem Ästhetischen und dem Ökologischen, sind immer wieder zu diskutieren. Im Spannungsfeld zwischen ihnen gibt es ständige Fluktuationen; doch einen Pol abzuschalten, führt zu Spannungsabfall. Was in der Wissenschaft getrennt behandelt wird, versucht der künstlerische Prozess immer wieder zu vereinen. Jede Zeit muss dabei entsprechend ihren Bedingungen ein neues Gleichgewicht finden.

 

Landschaftsarchitektur ist unbedingt eine künstlerisch-kulturelle Leistung, im 18. Jahrhundert galt sie gar als die höchste der Künste, weil sie alle anderen in sich vereinte, doch ist sie kein Selbstzweck. Baukultur manifestiert sich nicht nur im Ergebnis, sondern auch im Prozess. Die Einbeziehung der Bürgerschaft in den Planungsprozess ist gerade in der Landschaftsarchitektur besonders wichtig, denn anders als für Gebäude gibt es keine definierten Nutzer mit einem klaren Programm. Dieses muss für jedes Werk an seinem spezifischen Ort neu definiert werden und allen Besucherinnen und Besuchern etwas geben.

 

Dabei ist aber auch zu bedenken, dass Stile und Nutzungsformen einem steten Wandel unterliegen. Ein Park entsteht über längere Zeit, wächst und schafft Räume, die mehrere Epochen überdauern sollten, mindestens ein Baumleben lang. Er muss also Qualitäten aufweisen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Die Erfahrung zeigt, dass es auch vielen alten Parks gelingt, sich an heutige Nutzungen anzupassen, ohne ihre gestalterische Integrität und ästhetische Relevanz zu verlieren.

 

Umberto Eco prägte 1977 im gleichnamigen Buch den Begriff des „offenen Kunstwerks“. Das offene Kunstwerk ist ein Kunstwerk in Bewegung, das eben offen für Eingriffe der Interpreten ist. Eine solche Auffassung vom Park trägt einerseits dem bewussten Gestaltungswillen Rechnung, lässt aber auch der Eigendynamik der Besucher wie der Vegetation ihren Spielraum.

 

Walter Siebel hat nach Winnicott den Begriff des Möglichkeitsraums in die Planung eingeführt. Der Möglichkeitsraum ist kein Raum, der beliebig alles zulässt, vielmehr gibt er Rahmen und Regeln vor, auf deren Basis sich dann vielfältige Möglichkeiten der Interaktion und Identitätsbildung eröffnen.

 

Beide Begriffe weisen in die gleiche Richtung. Für einen Park heute bedeutet dies: Er muss offen für vieles sein, aber nicht für alles; er muss Orientierung bieten und unverwechselbar sein, einen klaren Rahmen abstecken, aber wenig vorschreiben wollen; und er muss für einen längeren Zeitraum angelegt werden und doch die sich beschleunigenden Veränderungsprozesse mit einkalkulieren. Wenn Grundprinzipien klar sind, die Essentials identifiziert sind, können Wandlungsprozesse stattfinden, ohne dass die grundlegende Identität verloren geht. Denn niemand will, dass alle Parkanlagen gleich sind oder gleich aussehen, auch wenn man überall das Gleiche oder Ähnliches machen will. Was überwiegt, das Bleibende oder das Bewegliche, muss von Fall zu Fall neu austariert werden. So eröffnen sich immer wieder neue Möglichkeitsräume, für die Natur, die Kultur und die Menschen.

 

Auch die Straßen und Plätze einer Stadt sind wichtig für ihre Identität und Qualität. Wie der bekannte Schweizer Landschaftsarchitekt Dieter Kienast in seinen Thesen zur Landschaftsarchitektur formulierte, ist sie auch für das „Grau“ der Städte zuständig. Oft erwarten Bürgerinnen und Bürger nur das Grün vom Berufsstand. Seine Strapazierfähigkeit wird jedoch häufig erheblich überschätzt. Viel begangene Orte geben einem Rasen oder einem Blumenbeet nun einmal keine Chance, ein Marktplatz braucht zum Beispiel einen strapazierfähigen Belag. Elemente wie Bäume und Wasser schaffen jedoch Aufenthaltsqualität auch dort.

Bei dem zu erwartenden Verlust von Handel und Gewerbe in Innenstädten, welcher durch Corona wohl noch beschleunigt wird, kommt der attraktiven Gestaltung des öffentlichen Raums eine verstärkte Bedeutung zu. Denn die Bürgerschaft einer Stadt will sich trotzdem mit der Innenstadt identifizieren und gern dort aufhalten. Landschaftsarchitektur kann durch Aufgreifen historischer und aktueller Bezüge unverwechselbare Orte schaffen, wie z. B. den Marienplatz in Görlitz, die dies ermöglichen und so zur Stadtkultur beitragen.

 

Mit der Ausdehnung der Städte und der Verarmung von monokulturellen Agrarlandschaften wuchs der Anspruch, Natur stärker in die Stadt zu integrieren. Inzwischen ist die Biodiversität in vielen Stadtbereichen größer als in der freien Landschaft. Mit animal-aided design werden Lebensräume gestalterisch in Grünflächen und Gebäude integriert, die die entsprechenden Arten unterstützen.

 

Auch die Begeisterung für Urban Gardening beruht auf dem Trend, früher Ländliches in die Stadt zu integrieren. Immer schon gab es Nutzgärten in der Stadt, die jedoch mit zunehmender Verdichtung weichen mussten. Als Gegenbewegung entstand Ende des 19. Jahrhunderts die Kleingartenbewegung, sicherlich die bedeutendste Form des städtischen Gärtners heute. Sie sollten die Nahrungspalette der Mietskasernenbewohner erweitern und für Bewegung im Freien sorgen. Über USA und England gelangten dann in den 2000er Jahren neue Formen des urbanen Gärtners in unsere Städte. Gemeinschaften verschiedener Art suchten sich Brachflächen und kultivierten sie, schufen so sozialen Zusammenhalt und führten zurück zur Gartenarbeit. Inzwischen werden sie auch in Parkanlagen eingefügt, wie z. B. im Park auf dem Gleisdreieck in Berlin, ebenso Kleingärten, wie auch bereits in den Rehbergen in den 1920er Jahren. So werden Kulturflächen im ursprünglichen Sinne des Wortes in städtische Räume integriert.

 

Das Gestalten mit und am Wasser leistet einen wertvollen Beitrag zum städtischen Leben, aber auch zum Schutz vor Hochwasser, Überschwemmungen, Trockenheit und zur Verbesserung des Mikroklimas. So schützt die linksrheinische Rheinuferpromenade in Köln vor Hochwasser – weswegen dort keine Bäume sein dürfen –, vor allem aber bietet sie eine gut gestaltete Bühne für städtisches Leben und eröffnet ein großartiges Panorama auf die Altstadt.

 

Die Schwammstadt ist das Motto für die Zukunft, eine Stadt, die Wasser aufnimmt und bei Bedarf wieder abgibt. Dach- und Fassadenbegrünung verlangsamen den Abfluss von Regenwasser bei heftigen Regenfällen, Regengärten speichern Wasser, geben es bei Trockenheit wieder ab, Rigolensysteme reichern das Grundwasser an. Das alles verbessert das Mikroklima und mildert die Folgen des Klimawandels. Man kann solche Einrichtungen technokratisch, aber auch ansprechend gestalten, ebenso wie andere ökologisch sinnvolle Maßnahmen, und sie so auch zu kulturell wertvollen Elementen der Stadt formen.

 

In Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen den Klimawandel zu gestalten, die blaugrüne Infrastruktur von Städten zu verbessern und auszubauen, die Städte trotz Verdichtung grüner zu machen, darüber aber die Nutzbarkeit und die Gestaltung nicht zu vernachlässigen – das ist die Herausforderung für die Landschaftsarchitektur in den kommenden Jahren. Hierfür zu werben und dabei zu unterstützen, darin sieht der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla) eine wichtige Aufgabe. Seine Mitglieder sind hauptsächlich freischaffende Landschaftsarchitekten und -architektinnen, kommen aber auch aus der Verwaltung und anderen Bereichen.

 

Das Europäische Bauhaus hat sich zum Ziel gesetzt, die für den Klimawandel erforderlichen Nachhaltigkeitsprozesse kulturell hochstehend zu formen. „Den Klimawandel gestalten“ ist auch das Motto des bdla für die kommenden Jahre. Städtische Räume und städtisches Leben werden davon profitieren.

 

Es wird also viel Neues entstehen sowie Vorhandenes zu verbessern und zu erhalten sein. Dafür ist allerdings eine Trendumkehr bei der städtischen Grünpflege erforderlich. In den letzten Jahrzehnten war dieser Bereich das Sparschwein der Kommunen, obwohl die Grünflächen die am meisten und von den meisten genutzten öffentlichen (Kultur-)Einrichtungen der Städte sind. Gerade schien sich dies zu ändern. Doch steht zu befürchten, dass durch Corona-Folgen bedrängte Haushalte hier wieder sparen werden. Auch deshalb müssen die Kommunen dringend entlastet werden.

 

Wenn Grünflächen nicht gepflegt werden, verlieren sie drastisch an Benutzbarkeit, an Klimawirkung und an Qualität, somit an Wert. Bäumen gehen bei Trockenheit ein, frisch gepflanzte wachsen erst gar nicht an. Da kann man das Geld dafür dann auch gleich zum Fenster rauswerfen. Für städtische Lebensqualität und -kultur werden die Grünflächen immer unverzichtbarer, deswegen muss die Pflege gesichert werden. Wie schon Altmeister Peter Josef Lenné wusste: „Nichts gedeiht ohne Pflege, und die vortrefflichsten Dinge verlieren durch unzweckmäßige Behandlung ihren Wert.“

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Almut Jirku
Almut Jirku ist Landschaftsplanerin und Mitglied in den Arbeitskreisen Städtebau, Internationales und Wettbewerbswesen des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla).
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