Kultur in der Stadt

Chancen für Weiterentwicklung der Stadtkultur

Die Vollkommenheit einer Stadt hängt von den in ihr gepflegten Künsten ab“ – dieser Satz des mittelalterlichen Gelehrten Albertus Magnus lässt sich auf die heutigen Verhältnisse etwa so übertragen: Eine Stadt wird erst durch Kunst und Kultur zur Stadt, eine Stadt ohne Kultur ist keine Stadt. Die Kultur ist seit der Herausbildung des Typus der europäischen Stadt, wie wir sie heute kennen, ein zentrales Kennzeichen städtischer Entwicklung. Es ist nicht ganz einfach zu definieren, was Stadtkultur ist oder ausmacht. Zunächst sind die kulturelle Infrastruktur und das Kulturangebot zu nennen, und zwar sowohl das durch die öffentlichen Hände getragene wie auch das durch die freie Kultur erbrachte Kulturangebot. Beide sind konstitutiv für eine lebendige Kulturlandschaft vor Ort. Rechtliche Vorgaben über eine kulturelle „Grundausstattung“ einer Stadt gibt es in den Kulturgesetzen der Länder nicht. Dies ist auch gut so. Politische Entscheidungen zur kulturellen Infrastruktur sind verantwortungsvolle Aufgaben der Städte, weil sie das Lebensumfeld aller Bürgerinnen und Bürger betreffen. Die kommunale Gestaltungsfreiheit darf dabei keinen nationalen oder internationalen Beschränkungen unterworfen werden. Bund und Länder können – und sollen – hier mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nur unterstützend wirken.

 

Auch ohne staatliche Vorgaben hat sich unter den Städten einer bestimmten Größenordnung eine durchaus vergleichbare kulturelle Infrastruktur herausgebildet, die je nach Historie und kulturellen Traditionen, regionalen Besonderheiten und auch Finanzkraft unterschiedlich ausgeprägt ist. So verfügen z. B. die meisten größeren und Großstädte über eigene Theater, mit eigenem Ensemble und in der Regel mehrere Sparten, über Museen sowie kulturelle Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken oder Musikschulen.

 

Stadtkultur ist über die Infrastruktur hinaus aber auch durch das „kulturelle Klima“, Werthaltungen, Vielfalt und Diversität, eine lebendige Künstlerszene, historische Traditionen und viele weitere Faktoren gekennzeichnet. Kultur in der Stadt und die Gestaltung der kulturellen Infrastruktur sind keine ausschließliche Aufgabe der Städte oder der Länder, denn sowohl zivilgesellschaftliche Strukturen, die freie Kulturszene und auch die Kulturwirtschaft leisten dazu wichtige Beiträge. Kultur in der Stadt ist somit weit mehr als Kultur von der Stadt.

 

Bedeutung von Kunst und Kultur für die Städte

 

Kunst und Kultur sind unverzichtbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Dies gilt gerade für die Städte, denn dort findet gesellschaftliches Leben konkret statt. Die kulturellen Einrichtungen und Angebote in den Städten zeichnen sich durch ihre künstlerische Qualität und ihre Vielfalt aus. Sie sind ortsnah, identitätsstiftend, gleichzeitig weltoffen und international. Die Baukultur sowie die Welterbestätten und Denkmäler prägen vielerorts das Stadtbild und das kulturelle Klima. Der Deutsche Städtetag tritt für den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser Kulturlandschaften seit jeher ein.

 

Kunst und Kultur sind der „Kit“ der Gesellschaft, dies wird in der gegenwärtigen Pandemie besonders deutlich. Sie haben für den sozialen Zusammenhalt eine grundlegende Funktion, geben Menschen Heimat und entfalten eine identitätsstiftende Wirkung. In einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Gegensätze und Desintegration wirken sie auf Teilhabe und den Austausch möglichst breiter Bevölkerungsschichten hin. Durch ihre grundsätzliche Offenheit für alle Lebenswelten können Kunst und Kultur einen wichtigen Beitrag für Toleranz und Integration leisten. Vielfalt als Chance, Gewinn und Bereicherung für das städtische Leben zu sehen und zu erschließen, ist dabei das Ziel.

 

Kunst und Kultur halten der Gesellschaft überdies mit ihren künstlerischen Ausdrucksformen und kreativen Ansätzen den Spiegel vor und verstehen sich als Forum für die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie können damit darauf hinwirken, populistischen Parolen, Rassismus und Diskriminierung sowie religiösem Fanatismus eine wertebasierte und gemeinsam getragene Haltung entgegenzusetzen. Kultureller Bildung kommt eine Schlüsselrolle für die soziale Teilhabe und Demokratieförderung in den Städten zu und muss daher für alle zugänglich sein.

 

Schließlich gewinnt die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren zahlreichen Sparten und Potenzialen zunehmende Bedeutung als eigenständiger Wirtschaftsbereich. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt, zu Beschäftigung und Wertschöpfung sowie zum Strukturwandel von der industriellen zur Dienstleistungsproduktion. Die Städte sind bemüht, kreative Milieus zu fördern und gute Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Kultur und Wirtschaft zu schaffen. Dies dient nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der kulturellen Entwicklung in der Stadt. Insgesamt sind die kulturelle Infrastruktur und ein attraktives kulturelles Angebot einer Stadt bzw. einer Region ein bedeutender Standortfaktor. Kommunaler Kulturpolitik und Kulturförderung als Kernbestandteil der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung kommt nicht nur die Aufgabe zu, die Rahmenbedingungen für die Entfaltung von Kunst und Kultur und die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten zu schaffen. Sie ist vielmehr auch als strategisch-gestaltendes Element der Stadtpolitik und der Stadtentwicklung zu verstehen, denn: Kulturpolitik ist Stadtpolitik.

Auswirkungen der Corona-Pandemie

 

Die Corona-Pandemie hat gravierende Folgen für die Kultur. Es ist ungewiss, wann der Kulturbetrieb seine Aktivitäten wieder aufnehmen kann. Es steht zu vermuten, dass die Beeinträchtigungen auch in diesem gerade begonnenen Jahr zunächst fortbestehen oder sogar weiter verschärft werden müssen. Viele Kulturschaffende und Kultureinrichtungen sind damit in gravierender und andauernder Weise von den sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieses kulturellen Stillstands betroffen. Die kulturelle Infrastruktur ist gefährdet und droht in Teilen wegzubrechen: Freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die gemeinnützigen und intermediären Zusammenschlüsse und Einrichtungen und auch die öffentlich getragenen Kulturinstitutionen wie Theater, Museen, Bibliotheken etc. sind davon betroffen. Die freie und privatwirtschaftlich getragene Kunst- und Kulturszene muss sich aktiv mit der drohenden Schließung von Häusern auseinandersetzen. Freischaffende Künstlerinnen und Künstler sind in ihrer Existenz gefährdet. Bund, Länder und Kommunen sind bestrebt, mit Nothilfen und Unterstützungsmaßnahmen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Kulturbereich abzumildern und die kulturelle Infrastruktur sowie die Kulturschaffenden zu unterstützen. Die Städte bekennen sich gemeinsam mit Bund und Ländern zu ihrer Verantwortung für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur vor Ort. Sie unterstützen die freie und private kulturelle Szene vor allem dort, wo andere Hilfsprogramme nicht greifen. So werden Fördermittel fortgezahlt, Raummieten erlassen oder gestundet, Ausfallhonorare gezahlt oder neue Leistungen entwickelt und gefördert. Gleichzeitig stehen aber auch zahlreiche kommunale kulturelle Einrichtungen vor ungelösten finanziellen und organisatorischen Problemen, die ebenfalls bewältigt werden müssen. Angesichts des Fortdauerns der Pandemie und der Unklarheit über die Perspektiven erscheint es mehr denn je erforderlich, nicht nur über kurzfristige Hilfsmaßnahmen nachzudenken, sondern auch längerfristig ausgerichtete Konzepte zu entwickeln, wie Kultur baldmöglichst schrittweise wieder geöffnet und für die Zeit nach der Pandemie gesichert werden kann.

 

Perspektiven

 

Neben der finanziellen Unterstützung ist die wichtigste Maßnahme, Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden die Wiederaufnahme ihres künstlerischen und wirtschaftlichen Betriebes und damit quasi einen Re-Start des städtischen Lebens zu ermöglichen. Das Tempo dabei wird sicherlich von der Entwicklung des Infektionsgeschehens abhängen. Gleichwohl erscheint es wichtig, bereits jetzt Szenarien für eine stufenweise Öffnung des Kulturbetriebes zu erarbeiten. Der von der Kultur-Ministerkonferenz dazu eingeleitete Diskussionsprozess, an dem auch kommunale Spitzenverbände beteiligt sind, ist vor diesem Hintergrund zu begrüßen und sollte fortgesetzt werden.

 

Die öffentlichen Haushalte aller staatlichen Ebenen und damit auch der Kommunen sind durch die finanziellen Unterstützungsleistungen, zusätzliche pandemiebedingte Ausgaben, aber auch durch Steuerausfälle erheblich belastet worden. Neue Schulden mussten aufgenommen werden. Bei vielen kulturellen Einrichtungen und Kulturschaffenden besteht daher die begründete Befürchtung, dass es nach der Pandemie zu Einschnitten kommen könnte, die dann insbesondere die Kultur betreffen. Angesichts des hohen Anteils der Kommunen an der Kulturfinanzierung werden insbesondere bei der kommunalen Kulturförderung in diesem vermeintlich „freiwilligen“ Bereich Kürzungen befürchtet. Diese müssen unbedingt vermieden werden. Dafür wird entscheidend sein, dass Bund und Länder für eine aufgabengerechte Kommunalfinanzierung Sorge tragen. Der Bund hat eine Kompensation der Gewerbesteuerausfälle für das Jahr 2020 sowie eine dauerhaft wirksame höhere Beteiligung bei den Sozialkosten zugesagt. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen, muss aber auch für 2021 fortgesetzt werden, um die kommunalen Haushalte stabil zu halten und eine Kulturförderung zumindest im bisherigen Umfang zu ermöglichen. Der Deutsche Städtetag setzt sich gerade mit Blick auf die Kultur nachdrücklich dafür ein.

 

Schließlich ist festzustellen, dass die Krise – neben allen Problemen – auch positive Effekte hat: Zum einen ist die Wertschätzung für Kunst und Kultur als unverzichtbarer Teil des gesellschaftlichen Lebens bei den Menschen und auch in der Politik deutlich geworden und gestiegen. Es steht zu hoffen, dass dies auch bei der zukünftigen Aufstellung von Haushalten und Finanzzuweisungen für die Kultur im Bewusstsein bleibt. Zum anderen hat die durch die beiden Lockdowns erzwungene Isolation im Kulturbereich zu einem Innovationsschub geführt. Digitale Formate, kreative und partizipative Angebote entwickeln sich dynamisch in den Städten und Quartieren vor Ort. Auch wenn digitale Formate nicht das analoge Kulturleben ersetzen können, ergeben sich daraus Chancen für die Zukunft. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse müssen ausgewertet und für die Weiterentwicklung von Kunst und Kultur in den Städten genutzt werden. Dann könnte die Krise zumindest teilweise auch als Chance für die Weiterentwicklung der Stadtkultur genutzt werden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Klaus Hebborn
Klaus Hebborn ist Kulturdezernent des Deutschen Städtetages.
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