2021: Der Durchbruch der Smartness

Was sind Smart Cities?

Happy New Year. Ein neues Jahr hat begonnen und es dürfte ein Jahr der Veränderungen werden. Neben der andauernden Pandemie, die uns weiterhin von unserem gewohnten Alltag abhält, zu erwartenden massiv erstarkenden wirtschaftlichen Verwerfungen, resultierenden gesellschaftlichen Herausforderungen und dem bedrohlich über allem schwebenden Klimawandel, wird sich die Welt auch im Hinblick auf den Technologieeinsatz verändern. Letzteres zeichnet sich in vielen Regionen spätestens seit dem Frühherbst 2020 ab, seitdem das Pandemiegeschehen beschleunigend auf die Digitalisierung, den Einsatz künstlicher Intelligenz und auf die internationale Smart-City-Entwicklung wirkt. Zahlreiche Nationen machen sich auf den Weg, neue Technologien in Kombination mit künstlicher Intelligenz verstärkt in Anwendung zu bringen. Als Argumente dienen hierfür insbesondere die Themen Sicherheit und Versorgungssicherheit.

 

Zeit für Veränderungen

 

Dass die Zeit gleichsam reif für Veränderungen ist, ist eine Gegebenheit. Es gibt zahllose Prozesse und Sachverhalte, welche die Weltgemeinschaft abstellen sollte. Umstände, die unter anderem durch die Pandemie und den Klimawandel seriell ins Licht gerückt werden und die nun auch breite Bevölkerungsschichten für inakzeptabel befinden. Im Kern geht es dabei stets um gesellschaftliche Fehlentwicklungen und die Zerstörung unserer natürlichen Lebenswelt. Es geht um Vorgänge, welche nun von Politik und Wirtschaft korrigiert werden sollen. Diese Grundstimmung kann sowohl gesellschaftliche Chancen als auch wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen, sofern man die Handlungsnotwendigkeiten und -gelegenheiten erkennt und nicht nur als Bedrohung versteht. Aber was haben diese Entwicklungen mit Smart Cities zu tun?

 

Warum smart werden?

 

Mehr denn je haben wir heute die Möglichkeit, globale und lokale Herausforderungen gemeinschaftlich und durch Einzelmaßnahmen zu adressieren. Dies betrifft vor allem den Umwelt-, Klima-und Ressourcenschutz, die Förderung von Nachhaltigkeit und Resilienz oder auch das Abstellen von unerwünschten Prozessen, wie die Verschmutzung der Ozeane, die Zerstörung der Wälder, das Artensterben, die Ausbeutung von Menschen, Grausamkeiten gegenüber Tieren usw. Zur Erreichung dieser Ziele und einer partiellen Kompensation des damit teilweise einhergehenden Verzichts, befähigt uns der Einsatz intelligenter Lösungen und moderner Technologien. „Smartness“ erlaubt uns die Reorganisation und Optimierung unserer Infrastrukturen, die Etablierung von Kreislaufwirtschaftsprozessen, die Verbesserung von Produktionsprozessen und der Produktqualität, die Implementierung geeigneter Allokations- und Distributionsprozesse sowie mehr Sicherheit. Außerdem soll Smartness das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen mit weniger negativen Aus- und Wechselwirkungen sowie mit generell mehr Komfort ermöglichen. Natürlich haben diese potenziellen Verbesserungen, die insbesondere durch Effizienzgewinne und vielfältig genutzte Informationen realisiert werden, einen Preis, doch dazu kommen wir später.

 

Was sind Smart Cities?

 

Städte und Gemeinden, welche die genannten Ziele konsequent verfolgen und entsprechende Maßnahmen erfolgreich umsetzen, kann man als „Smart Cities“ bezeichnen. Darüber hinaus werden Smart-City-Projekte regelmäßig mit sozialem Fortschritt, mit einem gemeinschaftlicheren Zusammenleben sowie mit einer stärkeren partizipativen Einbindung der Bewohner der Städte oder Gemeinden verbunden. In einigen Projekten soll sich diese Haltung zudem in einer neuen baulich-strukturellen Gestaltung der Kommune ausdrücken. Bis hierhin stimmen die individuellen Smart-City-Konzepte überein.

 

Was die Konzepte unterscheidet, sind die Vorstellungen vom guten (Zusammen-)Leben. Dabei ist festzustellen, dass sich manche der Ansätze nicht mit unserer pluralistischen Vorstellung vom guten Leben und auch nicht mit einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Dies betrifft sowohl technokratisch und stark ökonomisch getriebene Ansätze als auch solche, die in hohem Maße kontrollierende und sanktionierende Mechanismen nutzen.

 

Vor diesem Hintergrund benötigen wir einen gesellschaftlichen Diskurs, eine gemeinschaftliche Haltung, eigene technische Entwicklungen und entsprechende Regulierungen jeweils auf EU-, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, um moderne Technologien in unseren Kommunen koordiniert in Anwendung zu bringen. Auf dieser Basis können Gesamtstrategien entwickelt und Smart Cities geschaffen werden, die den Wünschen der Bevölkerung entsprechen und erlebbaren Nutzen stiften.

Wo findet man Smart Cities?

 

Die Führungsrolle im Bereich der Smart-City-Entwicklung nimmt derzeit Asien ein. Hier sind Millionenstädte zu steuern, die bis zu zehnmal größer sind als Berlin. In den riesigen Agglomerationen Asiens müssen die Grundversorgung und die Funktionsfähigkeit der Städte gewährleistet werden. Häufig werden große Stadtteile oder ganze Städte neu gebaut oder so umgestaltet, dass sie – mindestens hinsichtlich ihrer Infrastrukturen – in einem sehr hohen Maß steuerbar werden.

 

Die Entschlossenheit, mit der die Gestaltung von Zukunftsstädten im Ausland verfolgt wird, zeigt aktuell das Projekt „Woven City“in Japan, in welchem die Firma Toyota den Prototyp einer Zukunftsstadt forschend gestalten will. Doch auch außerhalb Asiens verstärken zahlreiche Staaten ihre Bemühungen im Bereich Smart City. Eine Smart City im Sinne einer ganzheitlichen Gestaltung, wie wir sie mit dem „Blisscity-Konzept unterstützen, gibt es bislang allerdings nicht.

 

Gibt es in Deutschland bereits Smart Cities?

 

Richten wir den Blick auf Deutschland, scheinen die Digitalisierung und das Thema Smart City trotz zahlreicher Aktivitäten etwas stiefmütterlich behandelt zu werden. Neben den zuvor beschriebenen Diskrepanzen und den sich daraus ergebenden Aufgaben in der Stadtgestaltung, liegt dies sicher auch an einer deutlich besseren Ausgangssituation im Bereich der Infrastrukturen. Die Notwendigkeit der Implementierung moderner Technologien ist in Deutschland schlicht anders begründet als in anderen Regionen. Wir benötigen smarte Lösungen weniger zur Deckung von grundlegenden Versorgungsbedarfen als zur Realisierung von Effizienzen, neuer Services und der Energiewende.

 

Auch fehlen uns in den Kommunen häufig die benötigten Kompetenzen, Ressourcen und Mittel, um Smart-City-Ansätze umsetzen zu können. Gleichzeitig gibt es in der Bevölkerung kaum wahrgenommene Berührungspunkte mit der künstlichen Intelligenz oder Smart Solutions, sodass beide Themenfelder in der breiten Masse bislang nur wenig Begeisterung evozieren.

 

Smartness im Lichte der Pandemie

 

Durch die Pandemie wird unseren Infrastrukturen und der Digitalisierung allerdings auch in Deutschland unerwartet viel Aufmerksamkeit zuteil. Einerseits wurde deutlich, wie hilfreich die Digitalisierung sein kann, z. B. beim Testing, Tracking, bei der Prävention und Impfstoffentwicklung oder in der Telemedizin. Andererseits wurde erkannt, dass Verteilungs-, Logistik- oder Monitoringprozesse, sämtliche Infrastrukturen und das Stadtmanagement z. B. durch die Nutzung von digitalen Zwillingen oder anderen technischen Lösungen optimiert werden könnten. Es wurde ersichtlich, welche Bedeutung einer Kultur der Resilienz in unserem Zusammenleben zukommt. Und schließlich haben auch Alltagsanwendungen wie das Onlineshopping, die Nutzung von Lieferdiensten, Mappinglösungen, On-Demand-Diensten, das Homeschooling oder das Arbeiten im Homeoffice das Thema Smart City etwas näher rücken lassen.

 

In der gegenwärtigen Situation wird offenkundig, welche Gesellschaftsbereiche Verbesserungspotenziale aufweisen. Wie eingangs erwähnt, erfährt das Themenfeld Smart City dadurch weltweit einen enormen Schub.

 

Smart Cities und KI

 

Auch die künstliche Intelligenz (KI) erlebt in diesem Zusammenhang eine Hochphase, da die intensivere Auseinandersetzung mit Smart-City-Anwendungen immer mehr Menschen die zentrale Rolle der KI in smarten Kommunen bewusst werden lässt. So werden die meisten aller Smart-City-Prozesse angesichts der großen interpretierbaren Datenmengen durch Algorithmen unterstützt. Die resultierende in einer Smart City installierte Summe an KI muss deshalb als mächtiges Ökosystem gedacht werden, das den Lebensalltag der Bewohner in allen Lebensbereichen signifikant beeinflussen wird.

 

Trotz diesbezüglich möglicher Bedenken, wird es KI sein, deren Einsatz maßgeblich dazu beitragen wird, die eingangs genannten Ziele zu erreichen. Daher gilt es, die entsprechenden Systeme und Anwendungen so zu gestalten, dass sie in unsere Lebenswelt passen. In den Kommunen sollte es weder zu einer maßlosen Kontrolle noch zu einer übermäßigen Ökonomisierung des Zusammenlebens kommen. Beide Aspekte sind in der expansiv und auf das Vermessen angelegten Smart-City-Welt potenzielle Ausprägungen.

 

Deutschland als Heimat für Smart Cities?

 

Es ist wichtig, dass wir eine Haltung bezüglich unserer zu bewahrenden Lebensbedingungen entwickeln. Darauf aufbauend können wir mit einem ganzheitlichen, kooperativen und wertebasierten Ansatz in Deutschland und Europa attraktive, nutzenstiftende Lösungen hervorbringen, die unseren Ansprüchen genügen und nicht nur für hiesige Märkte attraktiv sein werden. Wenn wir Smart Cities und die dahinterstehenden Technologien bewusst gestalten, haben wir eine Chance, unsere Lebensverhältnisse, die ja auch ein Element unseres Heimatverständnisses sind, zu bewahren, wirtschaftlich relevant zu bleiben und nachhaltiger zu werden. Daher freue ich mich darüber, dass sich nun auch der Kulturbetrieb des Themas Smart City annimmt. Die Mitwirkung der Kulturschaffenden wird dringend benötigt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Chirine Etezadzadeh
Chirine Etezadzadeh leitet das SmartCity.institute und ist Gründerin des Deutschen Smart City Expertenrats. Sie veröffentlichte unter anderem das Buch „Smart City – Made in Germany“.
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