Im letzten Jahr hat die Verlagsgruppe Beltz den 70. Geburtstag von Beltz | Der KinderbuchVerlag gefeiert. Die Reaktionen in den Medien und vor allem der Leserinnen und Leser führten deutlich vor Augen, dass die Bücher des Verlags nicht nur ein wichtiger Baustein deutscher Kinderbuchgeschichte sind, sondern für viele Menschen eine Kindheitserinnerung, auf die sie nicht verzichten möchten. Generationen von Leserinnen und Lesern lernten mit dem kleinen Angsthasen in wichtigen Situationen Mut zu beweisen, dass bei der Feuerwehr manchmal der Kaffee kalt wird und warum sich Hirsch Heinrich im Wald einsam fühlt.
Der Verlag wurde am 1. Juni 1949, dem Internationalen Tag des Kindes, in Ost-Berlin gegründet. Das erste Buch des Programms war Bertolt Brechts Kalendergeschichte „Der verwundete Sokrates“ mit Illustrationen von Frans Haacken.
Das Buch erschien in einer Startauflage von 100.000 Exemplaren. Zwischen 1949 und 1990 folgten rund 4.700 Titel mit einer Gesamtauflage von 270 Millionen Exemplaren. Der Verlag war Trendsetter, Begleiter und Vorbild: Von Bilder- über Erstlesebüchern bis zu Romanen und Sachbüchern entstand eine Fülle der verschiedensten literarischen Genres und illustrativen Stilrichtungen.
Die beeindruckende Vielfalt prägte die Kinderliteratur der DDR. Geschichten von Benno Pludra, Hannes Hüttner, Eva Strittmatter oder Werner Heiduczek wurden von Illustrationen von Werner Klemke, Gerhard Lahr, Ingeborg Meyer-Rey oder Elizabeth Shaw begleitet. So hat z. B. Elizabeth Shaw, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, mit dem „Kleinen Angsthasen“ eine unsterbliche Kinderbuchfigur geschaffen.
Die Büchermacher um Verleger Günther Schmidt – und später Fred Rodrian – hatten einen hohen Anspruch an Text und Bild; das macht die Bücher bis heute attraktiv und modern.
In den 1970er Jahren vergab der KinderbuchVerlag Berlin, der der zentrale Verlag für Kinderliteratur der DDR war, auch Förderpreise an Autorinnen und Autoren und Grafikerinnen und Grafiker, so z. B. den Hans-Baltzer-Preis für Illustratoren, den Edwin-Hoernle-Preis für Theorie und Literaturkritik, den Sally-Bleistift-Preis für junge Autoren sowie „Das rote Flügelpferd“ für Verdienste um die Literaturentwicklung.
Im Juni 1990 wurde der Verlag unter der Verwaltung der Treuhandanstalt in eine GmbH umgewandelt und es schien, als würde er wie fast alle anderen DDR-Verlage eingestellt. Nur zehn der 78 DDR-Verlage haben die Wende überstanden. Auch für den Kinderbuchverlag fand sich erst 1992 mit dem Münchner Verleger Hans Meisinger ein Käufer. Die Meisinger Verlagsgruppe, deren bekanntester Verlag die Middelhauve Verlagsgruppe war, führte den KinderbuchVerlag Berlin als Imprint weiter.
Mit diesem Kauf begann die Renaissance des KinderbuchVerlag Berlin, denn der damalige Verleger begann, nicht nur die Restbestände aus dem Lager abzuverkaufen, sondern auch das Programm aktiv zu betreuen. So fanden neben den bekannten Kinderbuchklassikern Neuerscheinungen bekannter ostdeutscher Autorinnen und Autoren und Illustratorinnen und Illustratoren Eingang in das Programm; junge Autorinnen und Autoren wie Ingrid Uebe konnten für Projekte ebenso gewonnen werden wie namhafte englische Illustratorinnen und Illustratoren wie Ruth Brown, Diz Wallis oder P. J. Lynch. Besondere Beachtung fanden die Bilderbuch- und Märchenbuchprojekte.
Diese sorgfältige verlegerische Arbeit wurde mit der Übernahme durch die Verlagsgruppe Beltz im Jahr 2002 weitergeführt und ausgebaut. Seit dem Jahr 2003 erscheint das Imprint mit einer eigenen Vorschau und ist so wieder im Buchmarkt sichtbar. Eine besondere Verbindung zum KinderbuchVerlag bestand bei Beltz auch über den ursprünglichen Verlagssitz im thüringischen Bad Langensalza. Die dortige Druckerei VEB Thomas Müntzer druckte nicht wenige der Klassiker. Anfang der 1990er Jahre wurde das alte Stammhaus an die Verlagsgruppe Beltz zurück übertragen und in den Folgejahren zu einer modernen Druckerei und Großbuchbinderei umgewandelt.
Derzeit sind im Beltz | Der KinderbuchVerlag über 140 Titel lieferbar. Darunter Standardwerke der DDR-Kinderliteratur, die stetig neu aufgelegt werden. Oder bisher unveröffentlichte Werke bekannter Autorinnen und Autoren sowie Illustratorinnen und Illustratoren. Zu den erfolgreichsten zählen „Die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm“, „Der kleine Angsthase“ von Elizabeth Shaw, „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ von Hannes Hüttner, Fred Rodrians „Hirsch Heinrich“, „Bootsmann auf der Scholle“ von Benno Pludra und das Kinderlexikon „Von Anton bis Zylinder“.
Seit 2009 erschienen außerdem sechs Sammelbände mit den beliebtesten KinderbuchVerlags-Geschichten. Der erste Band, „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen“, hat heute eine Gesamtauflage von 250.000 Exemplaren erreicht.
All diese Geschichten und Bilder haben auch 30 Jahre nach der Wende nichts von ihrer Leuchtkraft eingebüßt. Viele von ihnen haben Kultstatus erreicht. Ungefähr 80 Prozent der Auflagen werden in Ostdeutschland verkauft. Die Buchtitel oder die Autorinnen und Autoren haben dort einen familiären Klang und wecken Erinnerungen. Sie berichten vom ganz normalen Kinderalltag mit seinen Abenteuern, Sorgen und Träumen. Ihre Aussagen sind außerordentlich zeitgemäß, vermitteln aber immer auch etwas aus der Zeit ihrer Entstehung. Das Spannungsfeld aus Realismus und Fantastik, Nostalgie und Aktualität ist es wohl, was die anhaltende Faszination dieser Klassiker ausmacht.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.