Unter dem Highway lauert die Vergangenheit

Die Ausstellung „Umbruch Ost“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Halle (Saale)

Halle an der Saale hat sich zum 31. Jahrestag der deutschen Einheit fein gemacht. Bereits am Vorabend stehen in den Fußgängerzonen der Innenstadt perfekt gestylte Installationen mit viel digitaler Technik. Das diesjährige Gastland Sachsen-Anhalt und die anderen Bundesländer präsentieren sich für die geplanten Feierlichkeiten des nächsten Tages. Die milde Oktobersonne hat viele Hallenser zu einem Stadtspaziergang verlockt. Mehr oder weniger interessiert werden die beweglichen Bild- und Toninstallationen betrachtet. Man lässt sich die milde Oktobersonne auf den Buckel scheinen und genießt in einem der vielen Straßencafés einen Cappuccino und schlendert durch das in den letzten Jahren wunderbar restaurierte Stadtzentrum.

 

Im Wendejahr 1990 befand sich die Stadt nach 40 Jahren Sozialismus in einem grausigen Verfallszustand. Selbst in den zentralen Einkaufspassagen sah man schmutzig graue Fassaden, Abrisshäuser mit Brettern vor den Türen und Sperrholzplatten in den Fenstern. Bog man gar um die Ecke, hatte man den Eindruck, vor wenigen Tagen hätte der letzte Bombenangriff stattgefunden. Dabei war Halle während des Krieges von schweren Luftangriffen weitgehend verschont geblieben. Die schlimmsten Schäden hatten nicht die alliierten Bombardements angerichtet, sondern die sozialistische Stadtplanung.

 

Die nachhaltigste städtebauliche Wunde ist die 1968 fertiggestellte auf gigantischen Betonpfeilern ruhende Hochtrasse. Sie zerschneidet brutal die historisch gewachsenen Zusammenhänge der mehr als tausendjährigen Stadt. Zwischen den barocken Anlagen der Franckeschen Stiftungen und dem Altstadtviertel rund um den Altmarkt ist damals eine Riesenkreuzung entstanden, die seit dem sozialistischen Stadtumbau unter Walter Ulbricht nichts von ihrer menschenfeindlichen Unbehaustheit eingebüßt hat. Auf beiden Seiten des Highways sind inzwischen beispielhaft restaurierte Ensembles entstanden. Doch unterhalb der Betontrasse ist nur selten ein Fußgänger zu sehen. Im Minutenrhythmus unterqueren quietschende und klappernde Straßenbahnen die Hochstraße. Zwischen den grauen, mit Graffiti beschmierten Betonfundamenten scheint bei jedem Wetter ein ungemütlicher Wind zu pfeifen.

 

Ein unmöglicher Ort für eine Ausstellung, die ja Menschen anlocken will, die plaudernd von Tafel zu Tafel flanieren, vielleicht etwas verweilen und miteinander reden. Und doch gibt es für die Plakate vielleicht kaum einen besseren Platz, als an dieser bis heute nicht verheilten Bruchstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wie sie die Stadtentwicklung zurückgelassen hat. Es geht in der Plakatausstellung „Umbruch Ost“, wie schon der Titel sagt, ja um die Brüche in der Zeit und um die Wunden, die sie geschlagen hat.

 

Bilder und Texte

Die Plakatausstellungen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind inzwischen ein anerkanntes Erfolgsmodell. Sie hat seit 2010 insgesamt 17 Plakatausstellungen mit Bildern und Texten zur Geschichte der DDR und des Kommunismus erarbeitet und weltweit verbreitet. Auf 20 Tafeln wurden zu 18 Themen jeweils etwa 100 Fotos zusammengestellt. Die Besonderheit besteht darin, dass die Plakate in verschiedenen Ausführungen und Übersetzungen für ein sehr geringes Entgelt bestellt werden können. So wird es Institutionen aller Art ermöglicht, die Ausstellungen zu zeigen. Das Spektrum der Veranstalter reicht von Schulen, Bildungsträgern, kommunalen Einrichtungen, Kirchengemeinden, Galerien bis hin zu den diplomatischen Vertretungen Deutschlands, Goethe-Instituten und Vertretungen der politischen Stiftungen und Universitäten im Ausland. Häufig werden die Ausstellungen durch ein Programm mit Vorträgen und Diskussionen begleitet.

 

Die Ausstellung „Umbruch Ost“ widmete sich dem Umbau der Gesellschaft seit dem 3. Oktober 1990. Die Prozesse, die damals begannen, sind im Fluss und vor allem heftig umstritten. Am heftigsten gehen immer noch die Emotionen hoch, wenn die Sprache auf die Treuhand kommt. An diesem Beispiel lassen sich die Schwierigkeiten beim Schreiben der nur 1.000 Zeichen umfassenden Texte und der Auswahl der Bilder erklären.

 

Das Plakat zu diesem Thema ist mit dem Schlagwort „Abwicklung“ überschrieben. Allein das Wort Abwicklung wurde als Westimport empfunden. Für die westlichen Manager war es ein „terminus technicus“, für die Betroffenen der Verlust ihrer Biografie. In der DDR war die Arbeit mit einer fast religiösen Aureole umgeben gewesen. Natürlich war das auch politische Propaganda. Trotzdem stand im Alltag der Betrieb im Mittelpunkt des Lebens. Das alles brach seit 1990 weg. Dabei ging es nicht vorrangig um die materielle Absicherung, sondern vor allem um den Verlust des Eigenwertes von Menschen, die sich bisher über ihre Arbeit definiert hatten. Als die eiserne Klammer des Zwangssystems fiel, wurden die eingeübten Überlebensstrategien der Mangelgesellschaft gegenstandslos. Die Mauer beengte das Leben nicht mehr, bot aber auch keinen Schutz vor dem kalten Wind des Kapitalismus, der gerade in die Phase einer schrankenlosen Globalisierung getreten war. Die relative Gleichheit der sozialistischen Einheitsgesellschaft wich schnell einer neuen Ungleichheit zwischen den Verlierern und Gewinnern der Wende. Es waren vor allem die Schattenseiten der Marktwirtschaft, mit denen die Bewohner der Neuen Länder nun in Berührung kamen. Die politischen Parolen und Symbole der SED-Herrschaft wurden ersetzt durch eine aufdringliche Werbung. Die neue Gesellschaft sonderte einen beträchtlichen Prozentsatz der erwerbsfähigen Bevölkerung als nicht brauchbar aus. Menschen, die ihren eigenen Wert durch ihre berufliche Tätigkeit definierten, waren plötzlich nutzlos.

 

Als großformatiges Leitfoto wurde ein Bild gewählt, das diesen schmerzhaften Umbruch illustrieren soll. Es zeigt eine Werkhalle im Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ (TRO) in Berlin-Oberschöneweide, kurz vor der Übergabe an die AEG, der das Werk bis 1945 gehört hatte. Zwar könnte der Arbeiter, der mit dem Besen die Halle fegt, überall und zu jeder Zeit dieser Tätigkeit nachgegangen sein, doch vermittelt die Atmosphäre etwas von der Trostlosigkeit des Abschieds und des Verlustes.

 

Stefan Wolle
Stefan Wolle ist Publizist, Historiker und wissenschaftlicher Leiter des Berliner DDR-Museums. Er hat Text und Konzeption zur Ausstellung „Umbruch Ost“ erstellt.
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