In 30 Sekunden nicht zu erklären

Christian Bollert im Gespräch über differenzierte Berichterstattung und deutsch-deutschen Dialog

Der Dialog ist unabdingbar, da stimme ich natürlich zu. Sind Sie es trotzdem manchmal leid, „den Osten“ immer wieder erklären zu müssen?

Ja, ganz klar. Ich kann es auch nicht ganz verstehen, dass es z. B. nach Landtagswahlen immer wieder diesen Impuls gibt zu sagen: „Bitte erklären Sie doch mal ›den Ossi‹“ Das ist natürlich Quatsch. Da müssten wir mittlerweile einen Schritt weiter sein. Ich muss zugeben, dass ich nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt entsetzt war, dass es immer noch die gleichen sehr einfachen Erklärungsversuche sind, die angewendet werden, anstatt sich mit der komplexen Realität auseinanderzusetzen und zu versuchen, nicht die einfachen Antworten zu geben – auch wenn das medial schwierig ist, das ist mir vollkommen klar. Aber in 30 Sekunden wird sich die Geschichte der ostdeutschen Bundesländer nicht erklären lassen.

 

Sie fordern mit „Wir sind der Osten“ auch mehr Aufmerksamkeit für Menschen in Ostdeutschland ein, die sich gegen alle Widerstände engagieren. Wie kann es gelingen, diese zu erzeugen?

Eine einfache Antwort aus unserer Perspektive ist unsere Webseite: wirsindderosten.de. Dort kann man fast 500 Leute sehen, die sich engagieren, die Dinge tun, die sich ehrenamtlich einbringen, die gesellschaftlich aktiv sind, die sich in diesem berühmten vorpolitischen Raum – in Gewerkschaften, in Kirchen, in Vereinen und Verbänden – bewegen. Menschen, die einfach dafür sorgen, dass ein größerer demokratischer Nährboden entsteht. Der muss sich natürlich erst entwickeln. Das musste er auch erst in den westdeutschen Bundesländern nach 1945. Uns geht es darum „Role Models“ zu zeigen, das heißt Menschen eine Plattform zu geben, die sich z. B. in der Altmark für ihren Ort engagieren, was dazu führen kann, dass andere Leute erfahren, was das Besondere – städtebaulich und historisch – dort ist, oder die im Erzgebirge demokratische Initiativen aufbauen. Diesen Menschen einfach ein Gesicht zu geben, ist unglaublich wichtig. So können die oft schablonenhaften Erklärungsmuster durchbrochen werden. Denn es gibt eben viel, viel mehr als die frustrierten Wähler, die populistische Parteien wählen.

 

Erklärtes Ziel von „Wir sind der Osten“ ist es, wie erwähnt, die Berichterstattung in den Medien zu verändern. Was fordern Sie konkret von den Medien diesbezüglich?

Es geht auch da nur über Repräsentanz. Wir brauchen in den Redaktionen, und vor allem natürlich in den Entscheidungsebenen, Menschen mit ostdeutschen Biografien – oder Menschen, die lange Zeit in Ostdeutschland gelebt haben, die Probleme verstehen und sich seit Jahren mit den Menschen hier auseinandersetzen. Es wird auf Dauer nicht möglich sein, eine sinnvolle Berichterstattung über ostdeutsche Länder ausschließlich aus Köln, Hamburg, München oder Berlin-Mitte zu machen. Das geht am Ende nur über Menschen, die aus diesen Regionen kommen. Entsprechend müssen die auch gefördert werden, dass sie ansatzweise so repräsentiert werden, wie sie auch in der Bevölkerung vertreten sind. Dann kann es auf lange Sicht auch gelingen.

Im vergangenen Jahr haben wir ganz bewusst unsere Initiative noch mal erweitert um den Punkt „Rübergemacht“. Hier stellen wir Menschen vor, die nicht in den fünf ostdeutschen Bundesländern geboren sind, aber diese auch repräsentieren.

In diesem Sommer werden wir im Vorfeld der Bundestagswahl gucken, dass wir engagierte Politikerinnen und Politiker auf der Plattform einbinden. Natürlich wollen wir auch die Menschen zeigen, die sich ganz konkret im politischen Raum engagieren. Da arbeiten wir gerade an neuen Formaten und Ideen. Das als kleiner Ausblick.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Christian Bollert & Theresa Brüheim
Christian Bollert ist Journalist, Moderator, Unternehmer und Gründer des Podcast-Radios detektor.fm. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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