Erinnerung als Auftrag

Die DDR ist Teil der europäischen Geschichte

Als die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 1998 vom Deutschen Bundestag gegründet wurde, lag die Friedliche Revolution neun Jahre zurück. Die öffentliche Diskussion über die DDR wurde damals von zwei Themen beherrscht; zum einen dominierte die Stasi die öffentliche Auseinandersetzung. Zum anderen hatte sich neun Jahre nach der Friedlichen Revolution in Ost und West Ernüchterung über die Realität der deutschen Einheit eingestellt. In den ostdeutschen Bundesländern verdrängte die „Ostalgiewelle“ die Erinnerung an Repression und Unfreiheit. Im Westen schwand nach der kurzen Einheitseuphorie das Interesse an den „Neuen“. Die DDR war auf dem besten Wege zu der 1990 beschriebenen „Fußnote“ zu werden.

 

In dieser Situation empfahl die 1992 eingerichtete Enquete-Kommission dem Deutschen Bundestag, die Beschäftigung mit der Diktatur in SBZ und DDR durch die Gründung einer Bundesstiftung dauerhaft sicherzustellen. Der unserer Stiftung mit auf den Weg gegebene Auftrag war denkbar breit. Die Stiftung sollte die Auseinandersetzung mit Ursachen, Geschichte und Folgen der kommunistischen Diktatur in SBZ und DDR sowie der deutschen Teilung und deren Folgen mitgestalten, das geschehene Unrecht und die Opfer in Erinnerung halten, die deutsche Einheit stärken, den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft festigen und an der Aufarbeitung von Diktaturen im internationalen Maßstab mitwirken.

 

Für uns bedeutet dieser Auftrag, immer wieder deutlich zu machen, dass die DDR nicht ostdeutsche Regionalgeschichte, sondern Teil der gesamtdeutschen und europäischen Geschichte ist. Wir verstehen uns einerseits als flexibles Förderinstrument des Bundes, um dezentral und regional Projekte und Vorhaben zu fördern und Initiativen zur Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in Deutschland, aber auch den kommunistischen Diktaturen im internationalen Kontext anzustoßen, zu beraten und zu unterstützen. Andererseits verstehen wir uns als vom Gesetzgeber berufene Mittlerin unseres Themas zwischen Politik, Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit sowie als Kommunikationszentrum und Dienstleister. International bringen wir unsere Expertise bei der Diktaturaufarbeitung – Transitional Justice – auf vielfältige Weise ein. Letztlich geht es uns darum, mit unseren Angeboten Impulse zu setzen, Interesse zu wecken und zu einer differenzierten Auseinandersetzung beizutragen.

 

Wie sieht das nun konkret aus? Seit unserer Gründung haben wir etwa 3.400 Projekte bundesweit gefördert. Das sind Ausstellungen, Dokumentarfilme, Konferenzen, Stipendien, Bildungsmaterialien, Publikationen, Online-Angebote und Veranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen. Um auch jungen Leuten den Zugang zu einer Zeit zu ermöglichen, mit der sie keine eigenen Erinnerungen oder Erfahrungen verbinden, machen wir Geschichte am Beispiel konkreter Erfahrungen in der Diktatur gegenständlich. Hierfür haben wir 2009 ein Zeitzeugenportal eingerichtet, in dem mehrere hundert Personen mitwirken. Es geht um Fragen, wie: Was hieß es, ohne grundlegende Freiheiten in einer Diktatur zu leben? Welche Handlungsspielräume gab es? Wie viel Mut erforderte es, nicht mitzumachen, und welche Folgen konnte dies nach sich ziehen? Um die Unterschiede von Demokratie und Diktatur möglichst anschaulich zu machen, nutzen wir unterschiedliche Vermittlungsformen wie Filme, Ausstellungen, Comics oder auch Wettbewerbe. Ergänzt werden unsere Angebote durch vielfältige Online-Ressourcen, die nicht nur als Recherchetools, sondern auch als Mediatheken und Wissensspeicher dienen.

 

Zu unseren erfolgreichsten Angeboten gehören die seit 2003 produzierten bisher 16 Plakatausstellungen. Die über 40.000 Exemplare sind nicht nur in der gesamten Bundesrepublik, sondern weltweit zu sehen. Wir nutzen dabei Jahrestage, um über historische Ereignisse und deren Folgen bis in die Gegenwart zu informieren. Es geht dabei nicht nur darum, zeithistorisches Wissen zu verbreiten, sondern auch aktuelle Debatten aufzugreifen. Diese Ausstellungen bestehen jeweils aus 20 Plakaten und sind für viele Ausstellungsorte auch ohne großen Aufwand nutzbar. In Auflagen von mehreren Tausend Stück hergestellt, werden sie von Schulen, Volkshochschulen, Museen, Landratsämter, Landtagen, Kirchgemeinden etc. genutzt. Die mit den Ausstellungen verbundenen Veranstaltungen sind wiederum Anlass, um gern auch kontrovers zu diskutieren. Unsere jüngsten Ausstellungen widmen sich z. B. „Der Macht der Gefühle“ und im 30. Jahr der Friedlichen Revolution natürlich den Ereignissen von 1989.
Unser Anspruch ist es, sowohl die langen Linien bei historischen Entwicklungen deutlich zu machen als auch über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen. Zum einen stellen wir immer wieder fest, dass das Wissen über die kommunistischen Diktaturen oftmals nicht sehr ausgeprägt ist. Zum anderen bedeutet diese »Leerstelle« in der kollektiven Erinnerung, dass die Erfahrungen der Menschen, die nach 1945 hinter dem »Eisernen Vorhang« leben mussten und eine doppelte Diktaturerfahrung mitbringen, bisher keinen angemessenen Platz im öffentlichen Gedächtnis gefunden haben. Jubiläen bringen eine erhöhte öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für Fragen der jüngsten Vergangenheit und deren Folgen mit. Anlässlich der beiden Jubiläumsjahre 2019 und 2020 haben wir unter dem Titel #revolutionTransformation einen thematischen Schwerpunkt und entsprechende Angebote entwickelt, um sich mit dem Untergang der kommunistischen Regime in Europa und deren Folgen in einem Mix aus erinnerungskulturellen, international vergleichenden sowie zeithistorischen Perspektiven zu befassen. Wir wollen damit in Erinnerung rufen, dass die damaligen Freiheitsrevolutionen zum demokratischen Erbe Europas gehören. Dazu gehört auch, die Erfahrungen in den Umbruchszeiten einzubeziehen. Die Transformation war für nahezu alle Menschen im einstigen Ostblock mit traumatischen Erfahrungen verbunden: Massenarbeitslosigkeit, Verlust einstiger sozialer Sicherheiten, massive Abwanderung von jungen, gut ausgebildeten Leuten. Oftmals war dies mit dem Gefühl von Hilf-, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit verbunden. Diese Erfahrungen führten bei vielen Menschen zu einer nostalgischen Rückschau, bei der die Erfahrungen der Umbruchzeit in Vergessenheit geraten ließen, wie das alltägliche Leben mit Mangel, fehlender Entscheidungsfreiheit und Repressionen gewesen war. Vergessen wurde dabei, auch in welchem Zustand sich die Länder befanden und dass die sozialen Wohltaten auch ohne den Zusammenbruch der Regime nicht mehr hätten finanziert werden können, weil die sozialistischen Staaten schlicht und einfach vor dem wirtschaftlichen Bankrott standen. Und so widmet sich unser Schwerpunkt im kommenden Jahr den „Umbrucherfahrungen“ – nicht nur in der dann wiedervereinigten Bundesrepublik, sondern auch in vergleichender Perspektive. Kreative und innovative Ideen zur Umsetzung sind dabei immer willkommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2019-01/2020.

Anna Kaminsky
Anna Kaminsky ist Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
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